Brüchiger Burgfrieden in Katalonien
Von Carmela NegreteIn der katalanischen Hauptstadt Barcelona nahmen am Mittwoch laut der Guardia Urbana rund 70.000 Menschen an der Diada-Demonstration teil, dem Nationalfeiertag Kataloniens. Nur halb so viele Protestierende wie im Vorjahr – und weit entfernt von den rund 1,2 Millionen Menschen, die 2014 für die Unabhängigkeit auf die Straße gegangen waren. Im diesjährigen Demonstrationsaufruf stand: Der Dreiklang »Gerechtigkeit, Heimat und Zukunft« solle betonen, »dass die Unabhängigkeit das einzige Zukunftsprojekt für ein politisch und sozial gerechteres Katalonien ist«. Es gebe, solange Katalonien Teil des spanischen Staates bleibe, »weder Gerechtigkeit noch Heimat noch eine würdevolle Zukunft«. Aber: Die geringe Beteiligung symbolisiert die Spaltung innerhalb des Lagers der Unabhängigkeitsbefürworter.
Und pünktlich zur Diada das: Der Richter am Obersten Gerichtshof, Pablo Llarena, hatte die Berufung des Expräsidenten Carles Puigdemont abgelehnt – und damit den katalanischen Politiker von der Amnestie ausgeschlossen. Eine Gerichtsentscheidung, die als eine Art Einmischung in die Regierungsarbeit verstanden werden kann. Denn mit einer Begnadigung Puigdemonts sollte ein »neuer, friedlicherer Zyklus« eingeleitet werden. Zuletzt war der Chef der liberalen Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) am 8. August kurz in Katalonien erschienen, um eine Pressekonferenz zu abzuhalten. Im Anschluss begab er sich zurück ins Exil. Die Podemos-Europaabgeordnete Irene Montero kommentierte den Richterentscheid gegenüber dem Portal Diario Red so: »Eine demokratische Entscheidung in einem Rechtsstaat zu ignorieren, ist ein Schlag gegen die Demokratie.«
Die Analystin Laura Arroyo erklärte im linken TV-Sender Canal Red: »Das Gericht hat ein neues Hindernis errichtet, als ob noch ein weiteres nötig wäre, bei der Bildung jener parlamentarischen Mehrheit, die Präsident Pedro Sánchez (PSOE) am Wochenende bereits für tot erklärt hatte.« Der sozialdemokratische Ministerpräsident Sánchez hatte am vergangenen Samstag versichert, er würde weiterregieren, auch wenn es keine Mehrheit für den Haushalt im Parlament gäbe. »Wir werden die Agenda entschlossen vorantreiben, mit oder ohne die Mitwirkung einer Legislative, die notwendigerweise konstruktiver und weniger einschränkend sein muss.« Diesen sperrigen Satz ließ Sánchez auf einem Treffen seiner Partei fallen und empörte gleichzeitig den Koalitionspartner sowie die Opposition. Weiterregieren ohne das Parlament? Die Opposition forderte Neuwahlen für den Fall, dass Sánchez keine Mehrheit findet. Die linke Tageszeitung Público will aus PSOE-Quellen wissen, dass Sánchez bei der anstehenden Haushaltsabstimmung auf die sieben Abgeordneten der Puigdemont-Partei setzt.
Der Zermürbungskrieg der konservativen spanischen Justiz hat nicht nur die Unabhängigkeitsbewegung gespalten und geschwächt. Es dürfte auch Unruhe in die politische Landschaft Spaniens bringen. Sehr zum Ärger der Sozialdemokraten. Regieren die doch sei dem 10. August mit Sánchez’ Vertrautem, Salvador Illa, und dessen PSOE-Ableger PSC in der Region und haben die Unabhängigkeitsbefürworter verdrängt.
Die Situation in Katalonien bringt auch die Regierung in Madrid in Schwierigkeiten. Ein Kabinett, das aufgrund zahlreicher kleiner Koalitionspartner von Beginn an auf wackligen Füßen stand. Kaum verwunderlich: Opposition und Analysten bringen Neuwahlen ins Spiel. Eigentlich hat Amtsträger Sánchez noch drei Jahre vor sich. Bereits im Mai 2023 hatte der Premierminister Parlamentswahlen vorgezogen und konnte mit einer sehr knappen Mehrheit eine Regierung bilden. Doch seitdem ist die Partei Podemos aus der Koalition ausgestiegen, könnte nun auch JxCat Druck ausüben und eventuell seine sieben Abgeordneten zurückziehen. Das Haushaltsgesetz hätte dann keine parlamentarische Mehrheit mehr. Im Fall von Neuwahlen sehen die Umfragen derzeit die rechtskonservative Volkspartei PP mit fast 35 Prozent der Stimmen vorn.
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