Interaktive Blumentöpfe
Von Maximilian SchäfferDie großartigste Erfindung zur 100. Internationalen Funkausstellung in Berlin stammt aus Norwegen. Herr Leif Askeland erfand den interaktiven Blumentopf. Der misst nicht nur die Feuchtigkeit in der Erde, der reagiert auch auf Sprache und Berührung. Wie einst ein Tamagotchi muss man sein Pflänzlein hegen und pflegen, dann macht’s Männchen. Es dreht und kippt sich also munter. Beschallt mit Bluetooth und papageit die eigene Stimme nach. Um die 70 Euro kostet so ein Blumentopf, den Herr Askeland trotz oder gar wegen der offensichtlichen Exzentrizität der Sache erfand. Viele Menschen sind heute einsam, meint er. Da hilft so eine wackelnde Pflanze schon ein bisschen, bringt Leben in die Bude. Die »Plantpetz« dürfen sinngemäß stellvertretend für die ganze IFA 2024 stehen. Eine Technikmesse, die sich in Eintönigkeit und Dystopie verliert.
Und das fernab der Großhändler aus Fernost, die die immergleiche Powerbank und das immergleiche Rentnerhandy in Tausenden verschiedenen Formen anbieten. Direkt aus Shenzhen, natürlich. Und klimaneutral und nachhaltig. Und eine Prise KI ist überall mit dabei. Gleich in Halle eins darf der Besucher einem Weltkonzern begegnen. Samsung, Platzhirsch aus Südkorea, präsentiert sein gesamtes »smartes« Portfolio. Von der KI-Waschmaschine, zum KI-Fernseher, vom KI-Handy zum KI-Solarpanel. Das KI-Scheißhaus wird nicht ausgestellt, es versteht sich von selbst, dass man sich bereits in ihm befindet.
Hübsche, junge Helferlein (m/w/d) aus allen Berliner Unis haben sich zum Nebenjobben eingefunden und lotsen den Messebesucher überfordert durch unzählige Videos und Touchscreens und Panels. Man darf an einer Tombola erst teilnehmen, wenn man acht verschiedene QR-Codes erfolgreich gescannt hat. Purer Terror, Kopfschmerz setzt ein, LED-Lichter können nicht für mich denken. Ich soll ja auch nicht mehr denken, sondern die Waschmaschine für mich, ich gewinne jetzt eine Powerbank von Samsung. Nicht KI, sondern eine altertümliche Lostrommel hat am Ende entschieden.
Beim Stand des Bundesministeriums für Verkehr und Digitales stehen (noch) keine interaktiven Blumentöpfe, dafür aber ein KI-Avatar des Krautkopfs von Volker Wissing (FDP) in einer Telefonzelle. Ich frage den KI-Minister, warum er gar so gut aussieht. Er erzählt mir digitaljovial was von faustdicken Hinterohren, dann bricht Herrn Wissings Wiedergänger das Gespräch mit mir ab. Ebenso der Referent des Ministeriums, der mir felsenfest verklickert, dass die Bundesregierung nicht mit meinen Daten handelt. Weder nachrichtendienstlich noch für kostenlose Pommesgutscheine von McDonald’s. Gaslighting erkenne ich sofort, der Regierungsreferent erkennt einen Wutbürger erster Güte, der es nicht zu schätzen weiß, dass man sich nun über die Legalität seines Drohnenflugs über ein Onlineportal informieren kann. Und dass die überforderten Ämter jetzt von kafkaesken Onlineformularen und »intelligenten« Assistenten ersetzt werden. Und dass das Elektroauto jetzt mit einem Ladesäulennetzwerk vom Staat noch mal gerettet wird. Wo den scheiß VW ID.3 doch eh kein Chinese je gekauft hat. Ich gebe auf, da drüben bei AEG gibt es kostenloses Lachsfilet auf Rösti mit Rote-Beete-Schaum.
Das Essen auf der IFA ist ja ansonsten ekelhaft und unbezahlbar. Asianudelbox mit Huhn für 15 Euro, Burger mit Pommes und Cola für 23 Euro, Brezel vier Euro. Kostenloses Durchfressen an den Präsentationsständen ist leider nur sehr begrenzt möglich. Ich simuliere Interesse an einer italienischen Eismaschine, die für 529 Euro in fünf Minuten ungefähr 80 Milliliter Eis zaubert. Dafür ist sie anderthalbmal so groß wie ein Thermomix. Noch mal doppelt so groß ist ein Bierbrauautomat, der für 999 Euro in einer Woche fünf Liter Bier braut. Ein Schnapsglas voll bekomme ich nach zehn Minuten investigativem Fragen spendiert. Hefeweizen vom Fass. Ich bin angeekelt und beleidigt.
Da vorne ist Tesla! Ich sehe kein E-Auto und keine Ladesäule, und den Elon erwarte ich ja gar nicht erst – aber Lockenwickler und Haartrockner? Man klärt mich auf, dass eine serbische Firma unter demselben Namen und einem sehr ähnlichen Logo fungiert. Alle Markenrechte sind anscheinend geklärt. Ich kann mir das nicht erklären. Auch nicht, wie solche Firmen immer gleich alles, also wirklich ALLES herstellen. Blaupunkt und Nordmende machen jetzt Fernseher und Kühlschränke und Ladegeräte und Elektroroller. Miele macht in Westfalen einen Staubsauger, der aussieht wie von Dyson aus England, der aussieht wie 1.000 andere moderne Staubsauger aus China. Hisense macht alle Küchengeräte der Welt, genauso wie Sharp und Thomson und Changhong und Haier und Panasonic. Shenzhen muss eine unglaubliche Stadt sein, die alles für jeden zaubern kann. Der Motor der ruinierten Welt. Da hinten spielt Timo Boll mit einem Klapphandy Tischtennis, und ich rieche den Kanzler.
Tausende Tonnen künstliche Intelligenz schaffen es nicht, mich und die Massen von der strukturellen Verelendung abzulenken, die der ganzen »schlauen« Kosmetik zugrundeliegt. Was mache ich mit der gewonnenen Freizeit und Energie, die mir die Technik erwirtschaftet hat? Ich bin depressiv, ich hungere, und ich habe mit niemandem geredet, außer mit Verkäufern und Volker Wissings fauligem digitalen Atem. In der allerletzten Halle lasse ich mich zur Erholung von einer elektronischen KI-Faszienrolle massieren. Ich liege auf dem Boden, stöhne vor Schmerz, und das französische Fernsehen hält gierig drauf. Endlich frische Luft, den siebten kostenlosen Kaffee kippe ich auf die Erde. Und die Kaffeemaschine hat’s bestimmt gesehen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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