Gegründet 1947 Freitag, 8. November 2024, Nr. 261
Die junge Welt wird von 2974 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 13.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Singer-Songwriter

»Nach dem Krieg sind alle schlauer«

Vorsicht, schwierig: Wenzel und Band im Geyserhaus Leipzig
Von Sarie Teichfischer
10.JPG
Ist mit seinen Zweifeln gar nicht so alleine: Wenzel auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2024

»Also zehn Jahre mindestens schon.« – »Ich glaube, es sind 13.« So genau weiß keiner, wie lange der Liedermacher Wenzel schon sein jährliches Gastspiel auf der Open-Air-Bühne des Leipziger Geyserhauses gibt – weder die Bühnentechniker noch der Musiker selbst. Man kennt sich gut, die Zusammenarbeit läuft. Man steht füreinander ein. Für Wenzel ist das eine Kostbarkeit, vor allem nach dem Konzert im Dezember vorigen Jahres im Leipziger Werk 2 und dem Eklat, den es nach sich zog: »Hier hab ich mich immer gut verankert und wohl gefühlt«, sagt der 69jährige vor dem Auftritt am vorigen Sonnabend im Geyserhaus. Eine Zeitung, erzählt er weiter, hatte beim Veranstalter im Frühjahr angefragt, ob er ihn noch einladen wolle, nachdem das Werk 2 politische Bedenken gegen ihn geäußert hatte. »Die mussten sich ernsthaft zu mir bekennen. Das sind eben anständige Leute«. Der Termin für nächstes Jahr stehe bereits. Die Veranstalter seines alljährlichen Dezemberkonzertes in der Stadt seien hingegen abgesprungen. »Die trauen uns wohl nicht mehr«, so Wenzel, »wir haben dafür jetzt das Haus Leipzig gemietet.« Es gäbe eine allgemeine Feigheit, die das Land lähme.

Deshalb spricht der Musiker an diesem lauen Spätsommerabend nach dem ersten Lied eine Triggerwarnung aus: »Es kommt ein schwieriger Abend auf euch zu«, ruft er lachend. Das Publikum lacht mit. Die meisten Zuhörer verfolgen Wenzel seit Jahrzehnten. Auch Ursula Weber kennt ihn noch aus DDR-Zeiten und kommt regelmäßig zu seinen Konzerten ins Geyserhaus. Zu den Nachwehen des Werk-2-Konzerts sagt sie: »Das wurde aus irgendeinem Grund sehr hochgespielt.« »Wir haben das gelesen und uns an den Kopf gegriffen«, bemerkt ihre Nachbarin Gabriele Schramm dazu: »Wenn man zu Wenzel geht, weiß man, worauf man sich einlässt.« Ähnlich sieht es Silke Steinert: »Man muss Wenzel in seiner Generation und mit seiner Geschichte sehen. Er hat immer seine Meinung gesagt. Ich fand die Vorwürfe vom Werk 2 übertrieben. Seine Texte waren schon immer kritisch, das wusste man doch vorher.«

Es wird viel gelacht und getanzt an diesem Abend. Mühelos groovt sich Wenzels über Jahre eingespielte Band durch die Genres. Mit ihrer musikalischen Finesse und Vielfalt tragen die Musiker das Publikum durch den Abend. Das liebt den Künstler offensichtlich neben der Musik auch für seine Zwischenansagen: »Die Menschheit wird immer nur nach Katastrophen und Kriegen klüger. Hoffentlich schaffen wir es diesmal ohne Krieg«, sagt Wenzel unter Applaus, bevor er ein Lied von seinem demnächst erscheinenden neuen Album anstimmt: »Teile und herrsche« beginnt mit der Zeile: »Nach dem Krieg sind alle schlauer, falls man noch am Leben ist.«

Wenzel ging und geht es immer vor allem um eins: Menschlichkeit. In Zeiten von Kriegsvorbereitungen setzt er sich für den Frieden ein. Dafür wird er zunehmend verunglimpft. Er habe sich überlegt, diese Beschimpfungen in einem Lied zu verarbeiten: »Poetisch verbrämter Populist geht allerdings nicht – das ist zu lang, da reimt sich nix drauf«, sagt er lachend. So ist es der Titel »Pazifist« geworden. Manchmal wolle er die Flinte ins Korn werfen, so sehr mache ihn die »Blödheit in diesem Land« fertig, gibt der Künstler auf der Bühne zu. »Aber dann kommt so ein Abend wie dieser, und ich sehe in eure Gesichter und wir merken, dass wir mit unseren Zweifeln gar nicht so alleine sind, wie es manchmal scheint.« Er bedankt sich beim Publikum »dafür, dass Ihr heute vielleicht auch eine Meinung ertragen habt, die nicht eure eigene ist. Vor allem bedanke ich mich bei den Leuten vom Geyserhaus dafür, dass sie uns hier auftreten lassen.«

Deshalb will er auch die 22-Uhr-Grenze nicht überschreiten: »Wir könnten locker noch bis zwölf spielen, aber wir wollen das Geyserhaus nicht in die Bredouille bringen.« Er beschließt den Abend traditionsgemäß mit dem »Kamper Trinklied«. Die letzte Zeile bekommt heute ein besonderes Gewicht: »(…) froh, dass wir am Leben sind.«

Wenzels neues Album »Strandgut der Zeiten« erscheint am 4. Oktober.

Hinweis in eigener Sache:

Da haben wir nochmal Glück gehabt: Der Künstler Wenzel ist natürlich nicht tot sondern alive and kickin’ wie man unter Musikern sagt, und wird seinem Anfang Oktober erscheinenden neuen Album hoffentlich noch viele weitere folgen lassen. Aufgrund eines – in diesem Fall besonders bedauerlichen – technischen Fehlers, war an den Ende des Textes »›Nach dem Krieg sind alle schlauer‹« von Sarie Teichfischer in der jW-Ausgabe vom 13. September 2024 (S. 10) und in der an dieser Stelle veröffentlichten Online-Version ein Absatz des Nachrufs auf den Kunsthistoriker Friedrich Möbius von Peter Michel aus der Ausgabe vom 11. September 2024 geraten. Aber ob von Boykottbestrebungen oder den Tücken der Technik – davon lässt sich weder ein Wenzel, noch die Redaktion ins Bockshorn jagen. Wir bitten den Musiker, die Autorin und sie, liebe Leserinnen und Leser, um Nachsicht. (jW)

Wenzels neues Album »Strandgut der Zeiten« erscheint am 4. Oktober

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio:

Mehr aus: Feuilleton