75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 23. / 24. November 2024, Nr. 274
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 11.09.2024, Seite 16 / Sport
Staatsfeind Fußballfan

Pfeffer, Taser, Knarre

Dachverband der Fanhilfen warnt vor Repressionswelle in Stadien
Von Oliver Rast
imago1049465553h.jpg
Rebellische Kurve auf Schalke mit massentauglichem Ausruf (Gelsenkirchen, 1.9.2024)

Sie belagern, sie überfallen, sie verletzen: Polizisten, Einsatzhundertschaften samt Spezialkräften in voller Montur; Tonfas, Pfefferspray, bisweilen Schusswaffen, alles im Anschlag. Im Visier: Fußballfans. Spieltag für Spieltag. Mit solcherlei Exzessen soll nun Schluss sein. Das fordert der Dachverband der Fanhilfen. Die Aktivisten für den rechtlichen Flankenschutz der organisierten Kurven hatten sich am Wochenende in Münster zum bundesweiten Jahrestreffen versammelt. Und einen Beschluss gefasst. Zur Entmilitarisierung der Arenen samt Umfeld – Headline: »Die Polizei muss abrüsten.«

Bereits vor der Fußballeuropameisterschaft im Sommer in der BRD waren die Gazetten voll von »Untergangszenarien mit Blick auf die Sicherheitslage in und um die Stadien«, steht im Beschluss der Fanhelfer. Eine »zu jeder Zeit realitätsferne Erzählung«. Dennoch Grundlage für eine »massive Aufrüstung von Polizeieinheiten im Rahmen von Fußballspielen«, Maßnahmen, die »einer Militarisierung der Polizei gleichkamen«.

Indizien gibt es genug, mehr noch: Belege aus der vergangenen Saison. Jüngst hatte der Dachverband mindestens 24 Übergriffe von Einsatzkräften auf Fußballfans aus der vergangenen Saison dokumentiert. Maß und Mitte seien verlorengegangen. Und die Aussichten scheinen nicht besser zu werden, nicht nach den ersten Partien der neuen Spielzeit. »Wir blicken zurückhaltend auf den Saisonstart in den Ligen und befürchten eine anhaltende Repressionswelle gegen Fußballfans«, wurde Linda Röttig, Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen, am Montag in einer Mitteilung zitiert. Es müsse ein Umdenken innerhalb der Polizei stattfinden – »grundlegend«. Etwa in der Ausbildung neuer Polizisten: »Fußballfans sind keine Staatsfeinde.« Zumal Polizeistatistiken zu Straftaten beim Fußball nur eines zeigen: Die Anzahl der Vergehen rund um Kicks liegt seit Jahren im Promillebereich. Kaum messbar also.

Was fordern die 26 lokalen Fanhilfen des Dachverbands? Vielerlei. Ein Schusswaffenverzicht, denn das offene Tragen von Schießeisen führe zu keinem erhöhten Sicherheitsgefühl rund um Spielstätten. Mitnichten. Beispiel: Beim Ligastart der vorherigen Saison ballerte ein Pistolero des bayerischen USK in Augsburg in einen Fanbus Gladbacher Auswärtsfahrer. Die Knarre sitzt mitunter recht locker im Holster. In Baden-Württemberg würden sogar teils vollautomatische Waffen mitgeführt. Eine Drohkulisse sondergleichen.

Folglich fordern Fanhilfen »Polizeispezialeinheiten raus aus dem Fußball«. Jene hochgerüsteten und »maximal konfrontativ auftretenden Einheiten« seien für besondere Gefahrensituationen vorgesehen. Für sonst nichts. Ein enormes Verletzungspotential berge ferner der Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei, vor allem in vollbesetzten Blöcken. Deshalb: Das Kampfspray hat im weiten Rund nichts zu suchen. »Verbieten!« Und nicht zuletzt warnt Röttig vor der Nutzung von Tasern durch die Bundespolizei. Die soll nach Plänen der Ampelkoalition künftig erlaubt sein. »Kreuzgefährlich, es sind bereits etliche Menschen durch Taser getötet worden.«

Einer hingegen zelebriert weiter das Feindbild Fan: Rainer Wendt. Erfahrungsgemäß, so der Obersheriff der »Deutschen Polizeigewerkschaft« am Montag gegenüber dpa, seien Personen bei Fußballspielen »auf Randale und Konfrontation mit der Polizei aus.« Das erfordere die polizeiliche Ausstattung. Übersetzt: Die Zeichen stehen weiter auf Krawall der bewaffneten Staatsmacht.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (11. September 2024 um 15:00 Uhr)
    Gewalt erzeugt Gegengewalt. Das ist eine Binsenweisheit. Aus dieser Erkenntnis irgendwann einmal Lehren zu ziehen, ist diesem Staat und seinen Ländern bisher nicht gelungen. Dabei ist es doch so einfach, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem man einfach die Fußballclubs für ihre Fans verantwortlich macht. Soll heißen, für jeden, durch Fanrandale erforderlichen Polizeieinsatz sind der DFB und die jeweiligen Clubs finanziell haftbar zu machen. Ich bin ziemlich sicher, dass diese Maßnahme ganz schnell für einen Durchbruch, soll heißen für eine deutliche Entspannung an der »Fußballfront« führen würde. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass der Steuerzahler für Polizeieinsätze und die Reparatur der Schäden aufkommen soll, was wiederum neue Randalen nach sich zieht. Ohne dass die Verantwortlichen die Kosten für ihr Tun oder Lassen zu tragen haben, wird sich daran nichts ändern.
  • Leserbrief von N. Schreiber aus München (11. September 2024 um 10:34 Uhr)
    »In Baden-Württemberg würden sogar teils halbautomatische Waffen mitgeführt.« Halbautomatisch sind die Knarren, der sich den Herrschern der Kapitaldiktatur andienenden Cops doch alle. Vermutlich sind also Vollautomatische Waffen gemeint, wie Maschinenpistolen. Werden sicher nicht wenige der gewaltaffinen Schranzen davon träumen, damit mal »so richtig reinzuhalten«. Anstatt wie bisher nur ein harmloses, schwer traumatisiertes Kind, Mouhamed Dramé, während seines Hilferufs unmittelbar nach dem Tasern in seinen Hoden damit zu durchsieben.

Mehr aus: Sport