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Aus: Ausgabe vom 14.09.2024, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Putin warnt NATO

Einsatz weitreichender Raketen gegen Ziele in Russland wäre »Kriegseintritt« von westlichen Ukraine-Verbündeten
Von Reinhard Lauterbach
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Marschflugkörper bedeuten Kriegseintritt der NATO: Taktisches Raketensystem ATACMS während einer Übung in Südkorea

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die NATO nachdrücklich davor gewarnt, der Ukraine den Einsatz weitreichender Raketen und Marschflugkörper gegen Ziele im Inneren Russlands zu erlauben. Wenn es hierzu käme, wäre dies »klar der Eintritt« derjenigen Staaten, die die Waffen geliefert haben, in den Krieg gegen Russland. Denn für die Programmierung der Zielkoordinaten solcher Raketen seien Spezialisten der Herstellerländer erforderlich; ukrainische Militärs könnten dies nicht tun, so Putin am Donnerstag im russischen Fernsehen. Er drohte mit »entsprechenden Gegenmaßnahmen«, ohne ins Detail zu gehen.

Am Freitag wollten in Washington US-Präsident Joseph Biden und der britische Premier Keir Starmer unter anderem über eine mögliche Freigabe solcher Raketenschläge beraten. Starmer sagte auf dem Flug in die USA zu Journalisten, Britannien wolle keinen Konflikt mit Russland, aber die ­Ukraine müsse sich verteidigen können, und dazu leiste London seinen Beitrag. Für die Freigabe solcher Schläge mit Hilfe westlicher Raketen sprachen sich auch verschiedene Politiker der Berliner Ampelregierung aus, darunter Michael Roth (SPD), Marcus Faber (FDP) und Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen). Mit einer Entscheidung schon an diesem Wochenende wird allerdings nicht gerechnet. Sowohl der britische Außenminister David Lammy als auch sein US-Kollege Antony Blinken verwiesen auf den 22. September in New York: Die UN-Vollversammlung wäre eine bessere Gelegenheit dazu, hieß es.

Unterdessen unterzeichneten in Berlin Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und sein litauischer Kollege Laurynas Kasčiūnas ein Regierungsabkommen über die Bedingungen für die Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in dem baltischen NATO-Staat. Der Vertrag regelt nach Auskunft aus Berlin verschiedene praktische Fragen wie die Steuerpflicht der Soldaten, die Einrichtung deutschsprachiger Schulen und Kitas an den zwei litauischen Stationierungsorten, die Integration von Familienangehörigen in den litauischen Arbeitsmarkt – im Prinzip schon durch EU-Recht geregelt – und vieles andere mehr. Geplant ist, ab 2027 eine voll einsatzbereite deutsche Brigade von bis zu 5.000 Mann (und Frau) in den litauischen Ortschaften Rūdninkai und Rukla zu unterhalten. Bisher bereitet ein etwa 20 Personen starkes Vorkommando die Stationierung vor, Anfang Oktober sollen 200 weitere Soldaten in Litauen eintreffen. Rūdninkai liegt etwa 30 Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt, Rukla im Landesinneren.

In der Ukraine war in der Nacht zum Freitag erstmals seit längerer Zeit wieder Odessa Ziel von Drohnenangriffen. Es entstand nach Angaben der ukrainischen Behörden leichter Sachschaden an etwa 20 Privatgebäuden. Zuvor wurde von einer Explosion in der nahe Odessa gelegenen Hafenstadt Juschne berichtet. Im Donbass eroberten russische Truppen einige weitere kleinere Dörfer südlich von Pokrowsk oder näherten sich diesen an. Für Verunsicherung in der ukrainischen Öffentlichkeit sorgte der Bericht eines Evakuierungshelfers aus der Stadt Ukrainsk bei Pokrowsk. Er wurde am Donnerstag beim Einladen von Zivilisten in einen Kleinbus von einem russischen Soldaten überrascht, der ihn aber unbehelligt mit seinen Fahrgästen davonfahren ließ. Die Standarderzählung lautet, dass russische Soldaten alle Zivilisten erschössen, die ihnen vor die Gewehre kämen. Der Helfer postete die Frage: »Kann man diesen Soldaten als in Ordnung bezeichnen? Wohl ja.«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (14. September 2024 um 15:55 Uhr)
    Was wird hier gespielt? Das Argument Kiews ist nachvollziehbar: Um sich wirksam verteidigen zu können, müsse es Militärflugplätze, Munitionslager und andere logistische Kriegsinfrastruktur direkt in Russland angreifen, um die Operationsbasis der russischen Armee zu schwächen. Zwar hat Russland mittlerweile die meisten dieser Einrichtungen in sicherem Abstand zur Front verlegt, doch neue Waffensysteme könnten die Risiken und Kosten für den Einsatz von Bombern, die etwa tödliche Gleitbomben auf ukrainische Verteidigungslinien abwerfen, erheblich erhöhen. Es ist irreführend und fatal, dass der Westen bislang keine einheitlichen Ziele und Strategien für den Ukraine-Krieg formuliert hat. Weder die USA noch die Ukraine unterstützende Nationalstaaten oder der NATO-Generalsekretär folgen einem abgestimmten medialen Kurs – im Gegenteil, oft werden widersprüchliche Aussagen getroffen. Könnte es aber sein, dass diese »Versuch-und-Irrtum-Strategie« bewusst verfolgt wird? Ein Ansatz, der darauf abzielt, Russland zu zermürben – allerdings auf Kosten der Ukrainer, die als naive Stellvertreter agieren. Zwar nicht ohne Kosten für den »Wertewesten«, jedoch weitgehend ohne eigene Blutopfer. In einer Demokratie könnte dies als moralisch vertretbar und politisch durchsetzbar erscheinen.

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