Christ und Palästinenser
Von Helga Baumgarten, JerusalemEr ist ein unermüdlicher Kämpfer für ein Ende des »Krieges« gegen die Menschen in Gaza. »Ich bin Christ und Palästinenser. Genau wie ich meiner Kirche zutiefst verbunden bin, bin ich meinem Volk und unserer ›Sache‹ zutiefst verbunden.« So stellt sich Erzbischof Theodosius von Sebastia, im Volksmund schlicht »Abuna« (unser Vater) Hanna Atallah genannt, mir vor. Am 24. Dezember 2005 wurde er in der Grabeskirche in Jerusalem geweiht. Abuna ist der zweite Palästinenser in der Geschichte der Diözese, der das Amt des Erzbischofs bekleidet.
Er ist eben aus Ramallah zurückgekehrt. Dort sprach er vor 150 Schülern im Jugendforum Scharek, das Jugendliche mobilisiert, damit sie sich aktiv in ihre Gesellschaft einbringen. Sein Tag begann sehr hart: Drei Stunden brauchte er, bis er in Ramallah angekommen war. Grund war ein Anschlag (so die israelische Version) mit einem Tanklastwagen bzw. ein Unfall (so die palästinensische Version) an der Abzweigung nach Ramallah nordöstlich von Jerusalem. Ein Soldat wurde getötet, der Lastwagenfahrer wurde angeschossen und schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Rückfahrt verlief nicht besser. Aber Abuna wollte unseren Termin einhalten, ehe er weiterfuhr zur nächsten Veranstaltung in Bethlehem.
Allein diese Fahrt nach Ramallah zeigt, dass der Erzbischof ohne jegliche Privilegien reist – anders als die palästinensische Regierung von Präsident Mahmud Abbas, aber auch anders als in Palästina aktive internationale NGOs. Darauf angesprochen meint er, er sei ein Palästinenser wie alle anderen. Er betrachte sich nicht als bevorzugt wegen seiner Stellung in der Kirche. Ganz im Gegenteil: Er wolle alles mit seinen Landsleuten teilen.
Zusammen mit anderen Christen sowie mit säkularen Menschen hat er 2009 die Bewegung »Kairos Palästina« mit der Veröffentlichung des Dokuments »A Moment of Truth« (Ein Moment der Wahrheit) gegründet. Kairos Palästina baut auf den Erfahrungen des theologischen Kommentars zu Südafrika (1985), dem Kairos-Dokument, auf und dem letztendlich erfolgreichen Kampf dort gegen Rassismus, gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung und gegen das Apartheidregime. Ziel war die Herstellung von Gerechtigkeit und der Aufbau einer Demokratie für alle. Genau dies sind auch die Ziele von Kairos Palästina, das Christen in aller Welt in der Sprache anspricht, die sie kennen: der des Evangeliums. Es vermittelt eine im Westen oft geflissentlich übersehene Tatsache, dass nämlich Palästina das Land ist, in dem Jesus die erste christliche Gemeinde gründete. Gleichzeitig kommuniziert es eine zentrale Botschaft, dass es in eben diesem Land um die gerechte Sache eines Volkes geht, das endlich in Frieden und Freiheit auf der Grundlage von Gerechtigkeit leben möchte, in seinem eigenen Land. Das betrifft zuallererst die Menschen in Gaza, die in der Hölle zu überleben versuchen, in die sie die israelische Armee gebombt hat.
Während Christen und Muslime unter ständigen Angriffen in der Jerusalemer Altstadt zu leiden haben, stehen derzeit die Armenier und die Aktionen israelischer extremistischer Siedler gegen sie – unterstützt von der rechtslastigen Stadtverwaltung – im Mittelpunkt. Die Siedler wollen große Teile des armenischen Viertels konfiszieren. Mit einer großen Delegation stattete Abuna den bedrohten Armeniern einen Solidaritätsbesuch ab.
Immer wieder betont er auch, dass die Lösung der palästinensischen Sache überfällig ist: nicht eine Lösung à la Netanjahu, der alles tut, um die Palästinenser loszuwerden und der Landkarten zeigt, auf denen nur Israel zu sehen ist: »from the river to the sea.« Jeder Mensch, egal wer er ist und wo er lebt, muss deshalb, so Abuna, die Palästinenser unterstützen. Denn es geht um Freiheit für Menschen, die schon viel zu lange jeglicher Rechte beraubt sind. »Meine Botschaft an die Welt«, so schließt er, »ist eine Botschaft der Liebe, ein Appell für Frieden, für die Unterstützung meines palästinensischen Volkes. Es geht um die Verteidigung meines unterdrückten und gepeinigten Volkes. Es geht um das Ende des Völkermordes in Gaza«. Es sei eine Botschaft »gegen Rassismus, gegen Hass, gegen das Böse, für Menschlichkeit und Brüderlichkeit«. Diese zu vermitteln, »immer und immer wieder, ist meine Pflicht als Christ und als Mensch«.
Dies ist der elfte »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten. Brief zehn über den Mufti E'krima Sabri der Aksa-Moschee erschien in der Ausgabe vom 7. September
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