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Aus: Ausgabe vom 14.09.2024, Seite 8 / Feuilleton
Repressionen gegen Antifaschisten

»Problematisch ist die ausbleibende Aufarbeitung«

Filmkollektiv veröffentlicht Dokumentation zu Razzien gegen Antifaschisten in Sachsen und Thüringen. Ein Gespräch mit Sven Wolf
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Antifaschistische Demonstration gegen das Neonazijahrestreffen »Tag der Ehre« in Budapest (11.2.2023)

Sie haben jüngst den Dokumentarfilm »Zwischen Trauma und Gewalt: Hausdurchsuchungen gegen Antifas auf dem Prüfstand« online veröffentlicht, der sich kritisch mit den Razzien in Jena und Leipzig am 15. März 2023 befasst. Was haben Sie im Rahmen des Films untersucht?

In unserem Film haben wir uns mit dem polizeilichen Mittel der Hausdurchsuchung am Beispiel der Razzien vom 15. März beschäftigt. Dabei haben sich unsere Recherchen auf das Erlebte der Betroffenen konzentriert. Unser Ziel war es, die Abläufe und Nachwirkungen einer Durchsuchung zu erklären und das zum Teil fragwürdige Handeln der Polizistinnen und Polizisten aufzuarbeiten. Wir haben dabei mit verschiedenen Personen gesprochen, die die Geschehnisse politisch, psychologisch und juristisch eingeordnet haben.

Was ist an diesem Tag genau geschehen?

Am 15. März 2023 wurden in Leipzig und Jena 13 Wohnungen durchsucht. Die Hausdurchsuchungen liefen dabei teilweise erschreckend rabiat ab. Wir sprechen von entwürdigendem Verhalten durch Sondereinsatzkommandos, sowie rechtsstaatlich prekärem Vorgehen. Betroffen von den Durchsuchungen waren im Übrigen ausschließlich nicht-beschuldigte Personen – also Eltern, minderjährige Geschwister sowie Mitbewohnerinnen und Mitbewohner.

Weshalb wurden die Razzien angeordnet?

Hintergrund der Hausdurchsuchungen waren körperliche Auseinandersetzungen im Kontext des sogenannten Tags der Ehre im Februar 2023 in Budapest. Das ist ein seit Jahren bestehendes Event mit tausenden Neonazis, welches an ein Gefecht von Wehrmachtssoldaten in Budapest erinnert. Das Wochenende dient primär der offenen Verherrlichung der Nazis und ihrer Ideologie.

Im Verlauf Ihrer Recherchen kamen noch weitere Ereignisse ans Licht, die im Film nicht berücksichtigt werden konnten. Können Sie diese umreißen?

In Leipzig und Jena wurden zum Beispiel zwei Wohnungen unbeteiligter Menschen gestürmt, für die die Polizei auch keinen Durchsuchungsbeschluss hatte. Offenbar verwechselten sie die Wohnungstüren. Vor dem Hintergrund, dass dort unbeteiligte Dritte von gewaltvollen und möglicherweise traumatisierenden Maßnahmen betroffen waren, ist die ausbleibende Aufarbeitung sehr problematisch. Darüber hinaus gab es weitere Berichte von Betroffenen, die wir aufgrund des Umfangs nicht in den Film aufnehmen konnten, wie verbale Entgleisungen und möglicherweise rechtswidriges Verhalten von Beamtinnen und Beamte. Fragwürdig war auch die spontan legitimierte SEK-Erstürmung von fünf Wohnungen eines Mehrfamilienhauses in Leipzig. Zum Öffnen von Türen wurden hier Schusswaffen eingesetzt. Das LKA vermutete einen Beschuldigten aus dem Budapest-Verfahren darin, was sich als Verwechselung mit einem langjährigen Bewohner herausstellte.

In Leipzig, besonders in Connewitz, werden häufig Hausdurchsuchungen durchgeführt. Teilen Sie die Kritik an den zuständigen Behörden, dass der Stadtteil gezielt kriminalisiert wird?

Als Journalistinnen und Journalisten möchten wir uns in der politischen Beurteilung zurückhalten, um eine notwendige Neutralität zu bewahren. Gleichwohl werfen unsere Recherchen definitiv Fragen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und Zielsetzung der häufigen Razzien gegenüber der linken Szene in Leipzig und Connewitz auf. Am 15. März wurde sogar eine Mutter mit ihrer minderjährigen Tochter von vermummten Polizeibeamten verdachtsunabhängig kontrolliert, nur weil sie sich in der Nähe eines Hausdurchsuchungsortes aufgehalten haben.

Im Allgemeinen sind Hausdurchsuchungen in Connewitz für die Leipziger Zivilgesellschaft nichts Besonderes mehr. Dass mehrere Durchsuchungen gegen linke Aktivistinnen und Aktivisten in Connewitz mittlerweile als rechtswidrig eingestuft wurden, findet in der Berichterstattung keinen Platz. Die gegebenenfalls politische Funktion der Einheit »Soko LinX« in diesem Zusammenhang ist ein Aspekt, der definitiv weiterer Untersuchung bedarf.

Sven Wolf (Name geändert) ist Sprecher des »Filmkollektivs LeJe«, dessen Film über Hausdurchsuchungen gegen Antifaschisten auf dem Youtube-Kanal »Insight Reports« veröffentlicht wurde

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