75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Montag, 25. November 2024, Nr. 275
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 14.09.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Europäische Union

Brüssel sucht Milliarden

Debatte um Verlängerung von Coronakrediten. Reformierte EU-Schuldenregeln erhöhen Kürzungsdruck
Von Sebastian Edinger
9.jpg
Düster: Ex-EZB-Chef Mario Draghi sieht eine Investitionslücke von 800 Milliarden Euro (Frankfurt am Main, 11.9.2024)

Keine zehn Jahre ist es her, da galt die BRD als Musterschüler der EU – und als Zuchtmeister. Den fleißigen und vor allem sparsamen Deutschen sollten die verschuldeten Südländer nacheifern. Drakonische Kürzungsdiktate wurden verhängt, drastische Schuldenregeln eingeführt. Ganz nach deutschem Vorbild. Einer der wichtigsten Vollstreckungsgehilfen war seinerzeit der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Der will nun, dass die EU ein weiteres Mal nach Berlin schaut und lernt. Zwar ist Deutschland mittlerweile eher Klassendepp als Musterschüler, doch immerhin hat man in Berlin bereits Erfahrung damit, die realitätsfremden Regeln zu umgehen.

Schattenhaushalte, Sondervermögen und dergleichen gibt es hierzulande schließlich zahlreiche. Wenn die Mitgliedschaft »im Westen« Milliardenausgaben für die Ansiedlung von US-Konzernen in Ostdeutschland oder Waffenlieferungen nach Osteuropa erfordert, werden die Mittel gefunden – Schuldenbremse hin oder her. Auch auf EU-Ebene hat der im Zuge der Eurokrise tief in den EU-Verträgen verankerte Kürzungsdruck verheerende Folgen gezeigt. Die Investitionslücke ist gigantisch, Draghi beziffert sie auf 800 Milliarden Euro. Die Infrastruktur verfällt, statt zukunftsorientiertem Umbau gibt es industriellen Verfall. Der Vorsprung Chinas und der USA auf bedeutenden und zukunftsfähigen Märkten ist kaum mehr aufzuholen.

Doch jetzt soll investiert werden. In Brüssel wird krampfhaft überlegt, woher die benötigten Milliarden kommen könnten. Wie die Financial Times berichtet, will die EU-Kommission die Mittel aus dem Coronawiederaufbaufonds verlängern. Dabei geht es immerhin um 350 Milliarden Euro. Während der Pandemie hatten die EU-Staaten sich notgedrungen erstmals für eine gemeinsame Kreditaufnahme entschieden. Der deutsche Widerstand gegen die »Haftungsunion« war angesichts der wirtschaftlichen Katastrophe nicht haltbar. Zähneknirschend hatte die Bundesregierung zugestimmt. Das hiesige Verfassungsgericht sah den Schritt daraufhin als rechtlich zulässig an – weil die Schuldenaufnahme einmalig und zeitlich begrenzt war.

Auch Draghi befürwortet die Verlängerung. Andernfalls könnten die Rückzahlungskosten die EU in den kommenden Jahren weiter lähmen, argumentiert er. Auch eine weitere gemeinsame Kreditaufnahme, in Form sogenannter Euro-Bonds, wird diskutiert. Doch aus der BRD und anderen auf strikte Haushaltsdisziplin bedachten Staaten wie den Niederlanden, Finnland oder Österreich sind bereits Mahnungen zu vernehmen. »Mit einer gemeinsamen Schuldenaufnahme durch die EU lösen wir die strukturellen Probleme nicht«, verlautbarte etwa Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Einer Vergemeinschaftung von Haftung und Risiken werde Deutschland »nicht zustimmen«, zitiert ihn das Handelsblatt.

Derweil zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, dass die im Frühjahr beschlossene Reform der EU-Schuldenregeln den Kürzungsdruck eher noch erhöht, statt ihn zu lockern. »Einige europäische Länder wie Frankreich, Italien und Spanien könnten in den kommenden Jahren zu erheblichen Einsparungen gezwungen sein. Das liegt an einer teilweise problematischen Methodik der Regeln«, schreiben die Autoren. Bemängelt wird etwa das Fehlen einer Ausnahme für kreditfinanzierte öffentliche Investitionen bei der Berechnung der »Schuldentragfähigkeit«. Auch Deutschland sei vom zusätzlichen Kürzungsdruck betroffen.

»Es war richtig, dass die EU die Fiskalregeln reformiert hat, weil die alten Regeln wachstumsfeindlich waren«, betonte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, bei der Präsentation der Ergebnisse. Leider sei die Reform aber nur zum Teil gelungen. Auch die neuen Regeln drohten zur Wachstumsbremse zu werden, weil Spielräume für öffentliche Investitionen unnötig eingeschränkt werden. »Hier sollte die Europäische Kommission schnell nachbessern. Es ist auch Aufgabe der Bundesregierung, eine solche Korrektur in Brüssel anzumahnen.« Das ist jedoch ein eher unwahrscheinliches Szenario: »All die vielen Schulden, von denen viele träumen, wären mit europäischem Recht nicht vereinbar«, argumentierte Lindner diese Woche in der Haushaltsdebatte.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit