Autoindustrie schrottreif
Von Oliver RastDa verlassen Abertausende Karossen im Tagestakt das Band – und gammeln auf Werkshöfen vor sich hin. Absatzkrise nennt sich das. Also, von wegen automobil, immobil ist die Lage. Mit Folgen: Die Autoindustrie ist im freien Fall. Immer tiefer. Europaweit. Vertreter des europäischen Automobilverbands ACEA treten auf die Klötzer, rammen mit Wucht das Stoppschild in die Piste. Und mahnen: Millionen Jobs seien in der Branche gefährdet. Etwa weil verschärfte EU-Klimavorgaben nicht einzuhalten wären, berichtete dpa am Sonnabend aus einem internen Verbandspapier.
Das Politikum: die sogenannten Flottengrenzwerte. Die legen die Schwellenmarke für den Kohlendioxidausstoß von Benzinkutschen fest. Wird jene im EU-Durchschnitt überschritten, gibt’s für die Hersteller eines auf die Motorhaube. Derzeit liegt der Grenzwert bei 115,1 Gramm CO2 pro Kilometer pro Fahrzeug. Er soll 2025 auf 93,6 Gramm und 2030 auf 49,5 Gramm sinken.
Nicht zu schaffen, meinen die Autobauer. Weil: »Es gibt keine reinen Verbrennungsmotoren, die weniger als 95,6 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen«, heißt es im ACEA-Papier. Auch kaum ein Hybrid – also ein Auto mit Elektro- und Verbrennungsmotor – schaffe es, unterhalb der Marke zu bleiben. »Folglich wird die EU-Industrie mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe konfrontiert.« Wer Strafen entgehen wolle, habe faktisch keine andere Wahl, »als die Produktion erheblich zu drosseln, was Millionen von Arbeitsplätzen in der EU bedroht«, so der ACEA.
Pure Alarmstimmung der Industriellen, finden hingegen Umweltschützer. Der Vorstoß von ACEA sei an Dreistigkeit fast nicht zu überbieten, sagte Sebastian Bock, Geschäftsführer der Umweltorganisation Transport & Environment Deutschland, am Sonnabend gegenüber dpa. Schließlich haben die Autobosse in den vergangenen zwei Jahren rund 130 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Dank der Mehrwertproduktion der Beschäftigten, wohlgemerkt. Ferner sei das CO2-Ziel seit 2019 bekannt. Genügend Zeit also, die Produktion zu transformieren. Das sieht Marion Tiemann ähnlich. Es sei »ein Armutszeugnis«, wenn nun die Autoindustrie kurz vor knapp mehr Zeit beim Klimaschutz fordere, betonte die Greenpeace-Sprecherin. »Das Jammern über angeblich zu strenge Grenzwerte kann die fehlende langfristige Strategie nicht verdecken.«
Dicke Luft herrscht besonders bei VW. Für Konzernbosse steht offenbar alles zur Disposition. Jobs, Werke, Zukunft. Betriebsbedingte Kündigungen samt Standortschließungen würden krisenbedingt erwogen, hatte jüngst der Pressestab aus der Wolfsburger Firmenzentrale verlautbart. Kurz vor Beginn der Tarifgespräche ab 25. September. Ein historischer Tabubruch, so die Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo am Wochenende im Magazin Focus. Das ließen sich Kollegen und Belegschaftsorganisation nicht gefallen. Sie würden sich »wehren mit allem, was wir haben«. Bis hin zum Arbeitskampf, mit Streiks.
Bloß: Wer zieht die Karren aus dem Dreck, besser die SUVs von der Halde auf die Straße? Das scheint völlig offen. Längst ist die Rede davon, VW solle mal lieber wieder Volkswagen basteln. Klein, günstig, verbrauchsarm, so für die Massen.
Zunächst geht es aber PS-stark weiter: Am Dienstag startet die IAA, die Internationale Automobilausstellung für Nutzfahrzeuge in Hannover. Eine gigantische Leistungsshow dreckiger Spritmonster und elektromobilen Truckschrotts in spe. Auch hier zeigt die Kurve der Neuzulassungen: nach unten.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Dass jetzt aber ausgerechnet der für das Land Niedersachsen als Aufsichtsrat in das Kontrollgremium des VW-Konzerns entsandte Ministerpräsident Weil nach staatlichen Subventionen und Kaufanreizen aus Steuermitteln für E-Autos ruft, kommt etwas spät. Zu früh war dagegen seine Feststellung vor ca. drei Jahren, als er in einer Antwortmail an mich behaupten ließ, der Abgasskandal sei ausgestanden, das Land Niedersachsen habe bereits wieder 180 Millionen € Dividende erhalten. Er gibt sich also mit »peanuts« zufrieden, statt seine Aufsichtspflichten gewissenhaft zu erfüllen.
Leidtragende sind die »kleinen« Beschäftigten an den Bändern der Produktion und in den Büros des VW-Konzerns die jetzt von Massenentlassungen bedroht sind.