Den Haag macht dicht
Von Gerrit HoekmanAm Freitag hat Ministerpräsident Dick Schoof in Den Haag das Programm der neuen niederländischen Regierung mit der Überschrift »Leidenschaftlicher Pragmatismus« vorgestellt. Für die Asylpolitik wäre jedoch Fanatismus wohl das richtige Wort. Die zuständige Ministerin, Marjolein Faber, erklärte gleichentags: »Ich setze mich für die strengste Asylpolitik aller Zeiten ein.« Die Regierung ergreife »Maßnahmen, um die Niederlande für Asylsuchende so unattraktiv wie möglich zu machen«. Deshalb will Faber, die als absolute Hardlinerin innerhalb der ultrarechten PVV von Geert Wilders bekannt ist, für die nächsten ein bis zwei Jahre eine Asylkrise ausrufen und das Notstandsrecht aktivieren. Damit kann Faber das Parlament umgehen.
Schutzsuchenden sollen drastisch die Daumenschrauben angezogen werden. Das Land könne die hohe Zahl nicht mehr bewältigen, die Asylunterkünfte seien restlos überfüllt, heißt es. Alle niederländischen Bürgerinnen und Bürger würden die Folgen am eigenen Leib spüren. Es fehlten 400.000 Wohnungen, in den Schulen werde es immer enger, und das Gesundheitswesen sei überlastet. Die Regierung macht aber nicht etwa die Politik für diese zweifellos vorhandenen Probleme verantwortlich, sondern die Asylsuchenden. Sie gaukelt vor, die Lösung seien strengere Grenzkontrollen und die Ruckzuckausweisung derjenigen, die möglicherweise keinen Anspruch auf Schutz haben – notfalls unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen. Noch in dieser Woche wollen die Niederlande in Brüssel ein sogenanntes Opting-out für sich beantragen, eine Ausnahme von den Asylgesetzen der EU. Dafür wird allerdings die Zustimmung aller Mitgliedstaaten benötigt.
Sollte Den Haag mit dem Ansinnen Erfolg haben, befürchtet die Flüchtlingshilfeorganisation Vluchtelingenwerk Nederland einen schlimmen Wettlauf in der EU: »Jeder für sich, strenger als die Nachbarn, unter völliger Missachtung grundlegender Menschenrechte«, schrieb die NGO am Freitag auf ihrer Internetseite. Die ganze Panik sei völlig übertrieben. »Es gibt keine Asylkrise. Wir können es nicht oft genug sagen«, so Vluchtelingenwerk. Das Notstandsrecht sei für plötzlich eintretende Situationen wie Kriege oder Naturkatastrophen gedacht. Es mangele aber nur an Unterkünften. »Und die Politiker selbst haben diesen Mangel durch jahrelange Haushaltskürzungen verursacht.«
Auch die Familienzusammenführung soll weiter eingeschränkt werden. Nachziehen dürfen nur noch minderjährige Kinder und Ehepartner. Außerdem erhalten Geflüchtete nicht mehr automatisch nach fünf Jahren eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Sobald ihr Heimatland wieder als sicher gilt, müssen sie zurück, egal wie lange sie bereits in den Niederlanden leben. »Wie kann man sich auf die Integration in einem neuen Land konzentrieren, wenn man nicht sicher ist, ob man dort lange bleiben kann?« kritisiert Vluchtelingenwerk. Das von der Vorgängerregierung eingeführte »Spreidingswet«, das eine gerechte Verteilung der Migrantinnen und Migranten auf alle niederländischen Gemeinden vorsieht, will die Koalition ebenfalls außer Kraft setzen. Für Vluchtelingenwerk der falsche Weg: »Das Spreidingswet sorgt für Frieden. Sowohl für Asylsuchende als auch für die Gesellschaft.«
Obwohl der parteilose Premier Schoof das Regierungsprogramm vorstellte, ist sonnenklar, wer bei der Asylpolitik die Feder geführt hat: Wilders. Seine PVV ist seit den Parlamentswahlen am 22. November die stärkste Partei. »Der Wähler hat uns einen deutlichen Auftrag erteilt: Das Ruder muss herumgerissen und der Zustrom sofort reduziert werden«, erinnerte Asylministerin Faber am Freitag noch einmal an die neuen Machtverhältnisse. Ungeachtet des Wahlsiegs verfehlte die PVV allerdings deutlich die absolute Mehrheit. Sie ist auf drei Koalitionspartner angewiesen: die rechtsliberale VVD, die mit Mark Rutte die vergangenen 14 Jahre den Regierungschef stellte, die Boer Burger Beweging (BBB) und der Nieuw Sociaal Contract (NSC), die Neugründung des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt.
Um überhaupt eine Koalition auf die Beine zu stellen, musste Wilders zähneknirschend das Amt des Ministerpräsidenten dem Kompromisskandidaten Schoof überlassen. Wilders sitzt jetzt als Fraktionschef im Parlament. Seinen größten Widersacher in der Koalition ist er indes erst einmal los: Auf Anraten der Ärzte zieht sich der streitbare Geist Omtzigt für die nächsten Wochen in sein Haus in Enschede zurück. Er leidet unter Burnout. Nicht zum ersten Mal.
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