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Aus: Ausgabe vom 16.09.2024, Seite 8 / Ansichten

Scheitern im Blick

Strategie des Westens für Ukraine-Krieg
Von Reinhard Lauterbach
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Der immer hilfsbereite Boris Johnson wird am Freitag in Kiew zum Strategiegipfel empfangen

Wenn man ernst nimmt, was der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt hat, steht das westliche Militärbündnis vor einer strategischen Niederlage. Man wisse es im nachhinein nie genau, so Stoltenberg, aber es wäre besser gewesen, wenn der Westen die Ukraine schon viel früher aufgerüstet hätte, um »diesen Krieg zu verhindern«. Ob dies aber möglich gewesen wäre, sei »unmöglich zu sagen«. Irgendwann müsse es wieder einen Dialog mit Russland geben. Aber aus einer ukrainischen Position der Stärke.

Nur: Woher sie nehmen und nicht stehlen, diese Stärke? Am Wochenende waren in Kiew 700 Vertreter der westlichen »Kriegspartei« zu einer Konferenz der Stiftung »Yalta European Strategy« versammelt und rangen öffentlich die Hände: »Wir haben zu lange gezögert«, so US-General David Petraeus. »Die Ukraine kann nur siegen oder untergehen«, so Gastgeber Wiktor Pintschuk. Boris Johnson, der Mann, der die Ukraine aus den Waffenstillstandsverhandlungen mit Russland herausgedrängt hat: »Ein Sieg der Ukraine wird der Welt zeigen, dass die Guten siegen können und siegen werden.« Der Zirkelschluss ist unübersehbar. Und Ex-US-Verteidigungsminister Michael Pompeo sagte: »Wir müssen zeigen, dass Länder darauf vertrauen können, dass die USA den Westen schützen können.« Es geht den Eliten des kollektiven Westens nur am Rande um die Ukraine. Es geht ihnen um sich selbst, um die Weltordnung, die sie 1991 geschaffen haben und konservieren wollen. Und um deren Änderung nach russischem Narrativ der Krieg in der Ukraine in Wahrheit geführt wird.

Allgemeiner Konsens in Kiew war: Her mit den Langstreckenwaffen und der Erlaubnis für die Ukraine, sie auf Ziele im Inneren Russlands zu verschießen. Wenn dies gegeben sei, zitierte Bild am Wochenende aus dem »Friedensplan« von Wolodimir Selenskij, dann könne die Ukraine »lokalen Waffenstillständen an einzelnen Frontabschnitten zustimmen«. Von seiten der ukrainischen Präsidialverwaltung wurde der Bericht als »Fake« dementiert.

Wer also lügt hier? Die Ukraine, der daran gelegen ist, Zuversicht zu verbreiten? Oder geht Bild auf Distanz zu dieser Durchhaltepropaganda? Es herrscht offenkundig Wunschdenken auf höchster Ebene. Faktisch hat sich der kollektive Westen, indem er Kiew die Mittel dafür geliefert hat, den Krieg zu verlängern, selbst in eine Sackgasse manövriert. Und aus der fällt ihm nur ein Ausweg ein: weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt. Das kann man gern wörtlich nehmen – in der Ukraine jetzt schon, und bald womöglich auch außerhalb ihrer Grenzen. Um der Welt zu zeigen, dass »die Guten gewinnen können«. Die »Yalta European Strategy« bot genau keine Strategie, sondern eine Mischung aus »Weiter so« und Märchenstunde. Eine politische Bankrotterklärung.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (16. September 2024 um 11:15 Uhr)
    Wenn inzwischen sogar eine Strack-Zimmermann im Deutschlandfunk (gleich zwei »proukrainische« Propagandamaschinen) Verhandlungen mit Russland nicht mehr ausschließen mag – selbstverständlich nicht ohne die Notwendigkeit weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine zu betonen – muss es schon ziemlich übel bestellt sein um das Vertrauen in die Fähigkeit zum Sieg durch die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer in diesem Krieg.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (16. September 2024 um 10:10 Uhr)
    Außen- und Innenpolitik eines Landes stehen sich nicht separat und zusammenhangslos gegenüber, sondern bedingen einander. Wer permanent mit seinen Nachbarn im Streit liegt, wird auch im eigenen Haus nicht in Frieden und Harmonie leben können. Die praktische Anwendung dieser trivialen Erkenntnis nannte man früher mal »Diplomatie«.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (15. September 2024 um 21:31 Uhr)
    Vom Glauben an Fukuyamas »Ende der Geschichte« geschmeichelt und getäuscht, ist der Westen träge und bequem geworden. Die Schwerindustrie wurde ausgelagert, weil sie als schmutzig und kräftezehrend galt – genau richtig für die sogenannten Entwicklungsländer. Dies führte dazu, dass Rohstoffausbeutung, Produktion und Handel weit voneinander entfernt liegen. Nun zeigt sich die Verwunderung darüber, dass der Westen im Jahr 2023 nicht in der Lage war, die versprochene eine Million Schuss Munition an die Ukraine zu liefern – lediglich ein Drittel davon konnte bereitgestellt werden. Im selben Jahr stellte Russland auf Kriegswirtschaft um und produzierte drei Millionen Schuss Munition. Während der Westen seit Beginn des Krieges Verwirrung und Konzeptlosigkeit verbreitet, gibt in Moskau Putin allein die Richtung vor. Weder die NATO noch die USA, geschweige denn Brüssel, hatten einen klaren Plan oder konnten die Führung übernehmen. Es wurde viel geredet, jedoch in verschiedene Richtungen und ohne klares Konzept oder eine einheitliche Strategie. Dies brachte jedoch nicht den Gegner aus der Bahn, sondern legte die eigene Orientierungslosigkeit bloß. Ein Beispiel: Der Kreml hätte die rund vierzig Dnepr-Brücken komplett zerstören können, um die Ostukraine und die Front vollständig vom Nachschub abzuschneiden. Dass dies nicht geschah, lässt vermuten, dass Moskau noch Pläne mit der Ukraine hat. Das nennt man Strategie – etwas, das dem »Wertewesten« offenbar völlig fehlt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. September 2024 um 20:40 Uhr)
    Inzwischen müssen sie konservieren wollen, vorher wollten sie weiter schaffen. Weitermarschieren war vorher auch schon die Parole, allerdings sollte etwas anderes in Scherben fallen, noch nicht alles. Eine in Politik dilettierende Trampolinspringerin verkündete die Notwendigkeit des Sieges auf dem Schlachtfeld, der WW macht eine Dreihundertsechziggradwende. Oder mit Stoltenberg: Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen gefangen. Oder für das Arbeitszeugnis: Die herrschaftlichen Charaktermasken haben stets versucht, unsere Anforderungen zu verstehen.

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