75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Freitag, 22. November 2024, Nr. 273
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 16.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Zahlenspiele

Das deutsche Aserbaidschan: Sachsen-Anhalt

Von Bernhard Spring
imago0754142964h.jpg
Blühende Landschaften? Eher nicht in Zerbst

Vor zehn Jahren fing es an. Da wurde die Wirtschaftsleistung Sachsen-Anhalts – Zahlen sind ja immer so dröge und schwer zu fassen – vom Spiegel kurzerhand mit der von Aserbaidschan verglichen. Seitdem war das ärmliche Bundesland am Harz je nach Stand im Kassenbuch mal Äthiopien, mal Guatemala oder Usbekistan. Zuletzt setzte ZDF Info in einem Facebook-Post das Land mit Kroatien gleich. In Zahlen ausgedrückt, lagen die Bruttoinlandsprodukte des Balkan- und des Bundeslandes bei jeweils rund 70 Milliarden Euro.

Solche Vergleiche sind auf den ersten Blick sehr beruhigend. Immerhin findet sich zu jeder Zeit irgendein Land auf der Welt, das genauso blöd dasteht wie Sachsen-Anhalt. Kann also nicht so dramatisch sein in Magdeburg. Kroatien ist schließlich auch nicht pleite.

Aber auf den zweiten Blick tun sich Fragen auf: Warum kriegt Sachsen-Anhalt immer die uncoolen Länder zugeteilt, während Bayern das deutsche Schweden sein darf und NRW Saudi-Arabien? Sogar das abgeschlagene Saarland wird mit Estland verglichen. – Sie wissen schon: das Land, bei dem bereits alles digital ist. Und warum liegt Äthiopien, acht Jahre nach dem Gleichstand mit Sachsen-Anhalt, heute bei einem BIP von 120 Milliarden und Sachsen-Anhalt nur bei 78 Milliarden Euro? Sind die Politiker in Addis Abeba am Ende cleverer als die in Magdeburg?

Umgekehrt ist es natürlich nicht gerade sehr respektvoll, darauf hinzuweisen, dass es selbst so ein schlappes Bundesland wie Sachsen-Anhalt mit einer ganzen Nation aufnehmen kann. Was Hallenser oder Dessauer vielleicht mit Stolz erfüllt, dürfte in Zagreb oder Guatemala-Stadt eher zornig machen, weil solche Vergleiche den immer noch krassen Unterschied zwischen »Erster« und »Dritter Welt« deutlich machen.

Der Rest ist ein wahlloses Zahlenspiel: Geht es nach dem BIP pro Kopf, liegt Sachsen-Anhalt mit Saudi-Arabien gleich und vor Japan und Italien. Sehr schön. Geht es nach dem BIP pro Land, hat nicht nur Äthiopien Sachsen-Anhalt überholt. Auch Guatemala und Usbekistan sind inzwischen enteilt. Nach zehnjähriger Weltreise hat Sachsen-Anhalt wieder das Niveau von Aserbaidschan. Darüber kann man jetzt viel philosophieren. Muss man aber nicht.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. September 2024 um 23:00 Uhr)
    Also, wenn ich mir das Bild anschaue, sehe ich eine blühende Landschaft. Irgendeine Sau hat aber alle Mauerblümchen mit Stumpf und Stiel herausgerissen. Die Fassade könnte bis zum Balkon blütenübersät sein.

Mehr aus: Feuilleton