Die spinnen, die Bosse
Von Oliver RastEs ist Druck im Kessel, spürbar. Knapp 2.000 Stahl- und Hüttenwerker haben sich am Montag mittag in der Duisburger Innenstadt vor der Mercatorhalle versammelt. Dort, wo sonst Philharmoniker auf die Pauke hauen, Becken scheppern, Trommelfelle beben. Mobilisiert hatte die IG Metall (IGM) – zum Auftakt des in der Halle tagenden »Nationalen Stahlgipfels«. Noch seien nicht alle Kollegen wachgerüttelt, sagte Özgür Kaya (Name geändert) gleichentags im jW-Gespräch. Aber wenn weiter der stählerne Industriesektor demontiert würde, »gibt’s Aufruhr an der Ruhr«, versichert der Vorarbeiter bei Thyssen-Krupp. Ein »zweites Rheinhausen«.
Wer gipfelt da eigentlich? Die Üblichen. Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker, ferner Industriebosse, aber auch IGM-Vize Jürgen Kerner. Eine Gipfelei mit etwa 350 Teilnehmern. Fades Motto: »Gemeinsam für eine nachhaltige und klimaneutrale Stahlindustrie«. Ein »transformierter« Branchensektor, der am Anfang zahlreicher Wertschöpfungsketten stehe, sei der Hebel, »um langfristig Arbeitsplätze zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken«, heißt es im Gipfeltext.
In hiesiger Stahlindustrie sind rund 80.000 Arbeiter beschäftigt, allein beim deutschen Big Player Thyssen-Krupp Steel 27.000, davon 13.000 in Duisburg. Beschäftigte produzieren jährlich gut 35 Millionen Tonnen Rohstahl, und durch eine Dekarbonisierung könnten zirka 30 Prozent der industriellen Kohlendioxidemissionen in der BRD eingespart werden, erklärten Anfang September Vertreter des »Niedersächsischen Stahldialogs« in Hannover.
Was ist beim Gipfel rausgekommen? Ein »Aktionsplan Stahl«, ein »nationaler« gar. Vor allem aber viele Sprechblasen. Diese etwa: »Von Duisburg geht heute ein kraftvolles Signal aus. Grüner Stahl made in Germany ist unser Antrieb«, wurde Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag in einem Statement zitiert. Weniger blumig formulieren die Gewerkschafter: Von Unternehmen sei ein Bekenntnis zum Industrieort Deutschland erforderlich, betonte Artur Siemens, Pressesprecher des IGM-Vorstands, gegenüber jW. »Dazu braucht es Investitionen in die heimische Produktion und nicht zuletzt einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis.«
Bloß, Garantien für Jobs und Werke fehlen, von Thyssen-Krupp-Bossen jedenfalls. Im Gegenteil, »die Situation wird immer düsterer«, weiß Kaya. Tausende Arbeitsplätze seien in Gefahr. Noch mehr nach dem jüngsten Trouble in Vorstand und Aufsichtsrat des Konzerns samt Neubesetzungen. Jede Pommesbude werde momentan seriöser geführt als der Stahlkoloss, sagen Malocher hinter vorgehaltener Hand. Einige befürchten gar Insolvenzen, damit die Stahlsparte billig verramscht werden könne.
Und im Osten, etwa bei Arcelor-Mittal in Eisenhüttenstadt? »Die Situation ist aktuell nicht so schlecht wie im Westen«, sagte Holger Wachsmann, erster Bevollmächtigter der IGM Ostbrandenburg, am Montag zu jW. Kurzarbeit, Jobabbau stünden erst einmal nicht zur Debatte. Dennoch: Horrende Energiekosten drückten, machten wasserstoffbasierte Stahlproduktion in jetziger Form unwirtschaftlich. Und überhaupt, ist »grüner« Stahl machbar? »Das ist in der Fläche mehr Planung als alles andere«, räumt der Metaller ein.
Was auffällt, ist: Viele Kollegen scheinen noch in Stahlwolle gewickelt. Orchestrierter Protest – erst punktuell. Thyssen-Krupp-Vorarbeiter Kaya: »Wir werden aber nicht tatenlos zugucken, dass Duisburg zur Industrieruine wird.«
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Leserbrief von Uli Schäfer (17. September 2024 um 06:50 Uhr)WirtschaftministerInnen versprechen blühende Landschaften, die durch grünen Wasserstoff ermöglicht werden sollen. Für die kommenden Jahrzehnte sollen dadurch die Dividenden der Aktionäre gesichert werden. Ein Grund für diese Situation sollen die hohen Energiekosten sein, da die billige Energie von Russland abhandengekommen ist. Durch diese Industriepolitik handelte sich die Ampel den Vorwurf ein, die dümmste Regierung zu sein. Bärbel Bas, auch Aufsichtsratsmitglied im Stahlkonzern, könnte doch auch im Interview mit der jW darlegen, wieso die Gefahr bestünde, dass Deutschland deindustrialisiert und kein Stahl mehr produziert werde.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (17. September 2024 um 06:24 Uhr)Wenn die Situation für den Stahlstandort Deutschland besser werden soll, wenn die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall erfolgreich kämpfen wollen, ich denke, das wollen sie, dann geht das nur erfolgreich, wenn der Kampf um die Arbeitsplätze sich mit dem Kampf um den Frieden vereint. Ohne das Ende von Boykotten, Sanktionen und Kriegspolitik ist die (weitere) Deindustrialisierung vorprogrammiert. Energiewende, grüner Wasserstoff – ohne Flankierung durch »billiges« Erdgas und ohne Beendigung von Krieg und Hochrüstung ist unbezahlbar. Metaller, kommt zahlreich am 3. Oktober zur bundesweiten Friedensdemo nach Berlin und macht eure Position klar.
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