»Gürteln« als freundliches Ritual
Von Silke Makowski, HeidelbergIm sogenannten Normannia-Prozess hat am Montag die Berufungsverhandlung gegen zwei Mitglieder der Burschenschaft vor dem Landgericht Heidelberg begonnen. Dabei geht es um das Urteil wegen eines antisemitischen Angriffs im Haus der Normannia vor vier Jahren. Der Fall geht zurück auf die Nacht vom 28. zum 29. August 2020. Damals fand das jährliche Stiftungsfest in dem Haus der Rechtsaußenburschenschaft statt.
Die Heidelberger Verbindung Normannia ist seit langem für ihre unverhohlenen Kontakte in rechte Milieus, Vorträge mit Schoah-Leugnern und rassistische sowie antisemitische Vorfälle bekannt. Bei der Veranstaltung im Sommer 2020 wurde ein Gast, der einer anderen Heidelberger Verbindung angehört, antisemitisch angegriffen, nachdem er zugegeben hatte, jüdische Vorfahren zu haben. Unter antisemitischen Beschimpfungen wurde er von anwesenden Burschenschaftsmitgliedern mit Gürteln verprügelt und mit Münzen beworfen, woraufhin er Strafanzeige stellte. Weil der Vorfall bundesweit für Schlagzeilen sorgte und polizeiliche Ermittlungen nach sich zog, löste die Burschenschaft ihre Aktivitas – die Gruppe der studierenden Mitglieder – auf.
Je zwei Mitglieder der Burschenschaft Normannia und der Kölner Burschenschaft Germania hatten gegen die später verhängten Strafbefehle Einspruch eingelegt. Im erstinstanzlichen Prozess waren drei Angeklagte zu Bewährungsstrafen von je acht Monaten verurteilt worden, der vierte wurde mangels Beweisen freigesprochen. Zwar hatten alle drei Verurteilten zunächst Rechtsmittel eingelegt, doch zog einer die Berufung wenige Tage vor dem Auftakt am Montag zurück und wird nun als Zeuge geladen.
Beide Angeklagten machten ausführliche Einlassungen zur Sache und behaupteten, keine entsprechende Situation am Abend wahrgenommen zu haben. Im Mittelpunkt der am Montag präsentierten Version der Ereignisse steht die Behauptung, das Schlagen mit Gürteln sei ein freundschaftliches Ritual in dem Verbindungshaus gewesen, das auch dem Geschädigten bekannt gewesen sei. Geschlagen habe nur der angeklagte Normanne als Begrüßungsscherz. Das Mitglied der Burschenschaft Germania behauptet, als Neuling die Abläufe ohnehin nicht durchschaut zu haben. Damit widersprechen sie sämtlichen Erkenntnissen der ersten Instanz.
So kannten die als Zeugen vorgeladenen Vorsitzenden der »Alten Herren« der Normannia das angebliche Ritual des »Gürtelns« bis dahin nicht und hielten an ihren Aussagen fest, es habe mehrere Beteiligte gegeben, wie ihnen die jüngeren Burschenschaftsmitglieder damals selbst bestätigten. Zugleich verstrickten auch sie sich in Widersprüche und brachten erkennbare Falschaussagen vor, die den Vorfall am Abend und frühere rechte Vorfälle bei der Burschenschaft verharmlosen sollten. Dass der stellvertretende Vorsitzende des Altherrenverbands in seiner Funktion als damaliger Polizeibeamter in die Ermittlungen einzugreifen versuchte und den Polizeipräsidenten kontaktierte, gibt einen ersten Eindruck in die Abläufe hinter den Kulissen.
Wie schon in der ersten Instanz ziehen sich durch sämtliche Aussagen angebliche Erinnerungslücken, die meist auf den extremen Alkoholkonsum am Abend zurückgeführt werden. In der ersten Instanz hatte die Staatsanwaltschaft die Geschehnisse bei der Normannia als »toxische Mischung aus Weltanschauung und Suff« bezeichnet. Die kommenden drei Prozesstage mit insgesamt 16 Zeugen dürften zu einer ähnlichen Einschätzung führen.
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