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Aus: Ausgabe vom 17.09.2024, Seite 7 / Ausland
Griechenland

Syriza wieder am Scheideweg

Griechenland: Parteichef Kasselakis durch Misstrauensvotum abgesetzt
Von Hansgeorg Hermann
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Kurze Karriere als Parteichef: Stefanos Kasselakis ist erst mal weg vom Fenster (Nikosia, 20.7.2024)

Nach dem Sturz ihres Kurzzeitchefs Stefanos Kasselakis am 8. September steht die griechische Oppositionspartei Syriza (Koalition der radikalen Linken) wieder einmal am Scheideweg: Will sie sich künftig als »echt linke« Partei aufstellen oder sich wie bisher in sozialdemokratischer Manier dem wirtschaftsliberalen Kurs der Mitte-Rechts-Partei Nea Dimokratia von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis anpassen? Der letztgenannte Weg hatte Syriza bereits im Juni 2015 gespalten und in eine schwere Identitätskrise geführt, die bis heute anhält. Ihr zuvor im Januar des Jahres zum Regierungschef gewählter Anführer Alexis Tsipras hatte damals – das Ergebnis einer von ihm selbst angeordneten Volksabstimmung missachtend – vor der Europäischen Kommission kapituliert und mit seiner Unterschrift unter das berüchtigte dritte EU-»Hilfspaket« für die angeblichen »Pleitegriechen« sein Volk dem Finanzkapital ausgeliefert.

In folgenden Wahlen steckte die Partei Niederlagen ein, und als Tsipras bei der Parlamentswahl im Juni vergangenen Jahres weniger als 20 Prozent der Wählerstimmen holte, trat er zurück. Die politische Bühne betrat der bis dahin gänzlich unbekannte, 36 Jahre alte Kasselakis, der es zuvor als Banker bei Goldman Sachs und als Schiffsreeder in den USA zum Dollar-Millionär gebracht hatte. Voll des Lobes für den Gegner Mitsotakis, mit dem ihn nach eigenen Angaben »ein sehr gutes Verhältnis verbindet«, wählte ihn die Parteibasis im September 2023 dennoch unter fünf Kandidaten mit 45 Prozent zum neuen Vorsitzenden. Sein Programm unterschied sich von dem des rechten Regierungschefs Mitsotakis nur in Nuancen – Kasselakis selbst definierte es als im gesellschaftspolitischen Sinn »deutlich progressiver«. Seine Wahl zum Parteichef spaltete Syriza ein zweites Mal. Hunderte Funktionäre und der linke Flügel, angeführt von Tsipras’ ehemaligem Finanzminister Euklid Tsakalotos, verließen die Partei im November und nahmen elf Parlamentssitze mit. Die von der »Umbrella« genannten Gruppe gegründete Nea Aristera (Neue Linke) verfehlte im Juni mit knapp 2,5 Prozent der Stimmen den Einzug ins EU-Parlament.

Unter Kasselakis verlor die Partei in nur wenigen Monaten ihren bis dahin noch gehaltenen Status als »linke« Partei und stürzte in Meinungsumfragen auf knapp zehn Prozent ab. Den Rang als wichtigste Oppositionspartei lief ihr schließlich sogar die PASOK ab, die 1974 nach dem Ende der Militärdiktatur gegründete sozialdemokratische Panhellenische Bewegung. Nicht nur der Führungsstil des neuen Syriza-Chefs erinnerte alte Parteikader an jenen des ­PASOK-Patriarchen An­dreas Papandreou, der sich ab 1981 mit mehreren »Säuberungen« seines linken Parteiflügels entledigte, sondern auch das von beiden bisweilen exzessiv zur Schau gestellte Privatleben. So wie Papandreou gegen Ende seines Lebens mit einer 35 Jahre jüngeren Geliebten über die Titelseiten der Skandalblätter zog, so bot sich auch Kasselakis mit seinem jungen männlichen Partner der interessierten Klatschpresse an.

Nicht zuletzt der von Kasselakis »diktatorisch« durchgezogene Parteiausschluss verdienter aber oppositioneller Mitglieder des Zentralkomitees führte nach nur einem knappen Jahr zum Sturz des »Amerikaners«: Mit 163 gegen 120 Delegiertenstimmen einer ZK-Sondersitzung wurde er aus dem Vorstand entfernt. Einen neuen Chef will sich die Partei voraussichtlich im Dezember wählen. Zu den Favoriten gehört zweifellos Nikolas »Nikos« Pappas, 48 Jahre alter Politiker aus Athen und seit dem 24. August Vorsitzender der Syriza-Fraktion im Parlament. Er löste Sokratis Famellos auf diesem Posten ab, einen innerparteilichen Gegner des geschassten Kasselakis. Am Wochenende ließ Pappas allerdings erkennen, wofür er wohl stehen wird: Für eine weitgehend sozialdemokratisch geprägte »Politik der linken Mitte«. Auch Kasselakis sei keineswegs völlig aus dem Rennen und könne, »demokratisch«, wie es die Parteisatzung vorschreibe, erneut für den Vorsitz kandidieren.

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