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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 1 / Titel
Pressefreiheit

World Wild West

US-Regierung und Internetkonzerne blocken vermeintlich russische Staatsmedien. Auch linke Videoplattform Red Media betroffen
Von Nick Brauns
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Uncle Sam bläst zur Agentenjagd. Diesmal geht es gegen Mitarbeiter tatsächlicher und vermeintlicher russischer Staatsmedien. Denen wirft die in solchen Angelegenheiten keineswegs unbescholtene US-Regierung weltweite, verdeckte Einflussnahme vor. Ins Fadenkreuz geraten ist dabei auch das von Berlin aus operierende linke Medienkollektiv Red Media. Dessen Youtube-Kanal wurde am Montag durch den ­Google-Konzern abgeschaltet. Auch Meta verbannte das Medium aus seinen Apps wie Facebook und Instagram. Der russische Auslandssender RT und andere verwandte Organisationen – gemeint ist wohl unter anderem Red Media – seien nun »wegen ausländischer Einmischungsaktivitäten« weltweit von den Anwendungen des Konzerns ausgeschlossen, so der Meta-Konzern gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Die Videoplattform Red Media, mit der junge Welt mehrfach kooperiert hat, berichtet von sozialen Protesten und antiimperialistischen Kämpfen in aller Welt. Sie zeigt Polizeigewalt auf und enthüllt faschistische Aktivitäten. Reichweite hat sich die Plattform mit Hunderttausenden Followern in den vergangenen Monaten insbesondere durch ihre Berichte von Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina geschaffen.

Die Zensurmaßnahmen der Social-Media-Konzerne erfolgten, nachdem US-Außenminister Antony Blinken am Freitag den Sender RT beschuldigt hatte, »vollwertiges Mitglied des Nachrichtendienstes« Russlands zu sein. Anschließend benannte Blinken Red Media als angeblich verdeckt von RT betriebenes Medium. Dabei bezog sich der US-Minister ausdrücklich auf Behauptungen des Berliner Tagesspiegel, wonach die Videoplattform »an der Organisation von Protesten in Deutschland teilgenommen« habe. Das wegen seiner Polizeinähe in linken Berliner Kreisen »Tagesspitzel« titulierte Blatt hatte nach der Besetzung der Humboldt-Universität durch Palästinaaktivisten im Juni beklagt, dass Red Media »offenbar Hand in Hand mit der propalästinensischen Szene der Hauptstadt arbeitet«. Schließlich hätten dessen Journalisten als erste aus dem besetzten Institut berichtet und seien offenbar vorab informiert gewesen. Weiterhin unterstellte die Zeitung der von einer Aktiengesellschaft in der Türkei betriebenen und nach eigenen Angaben spendenfinanzierten Medienplattform »Verbindungen nach Moskau«. So gingen nicht näher bezeichnete »deutsche Sicherheitskreise« laut Tagesspiegel davon aus, dass Red Media Nachfolgerin des 2023 in Folge von EU-Sanktionen abgewickelten Mediums Redfish sei, das mit der staatlichen russischen Agentur Ruptly verbunden war. Diese unbewiesenen Behauptungen wurden nun eins zu eins von der US-Regierung übernommen.

Da deren Vorwurf nicht mehr nur auf »Desinformation«, sondern auch auf Agententätigkeit laute, befürchten die Mitarbeiter des linken Medienkollektivs nun Repression auch in Deutschland. Hier solle eine Stimme zum Schweigen gebracht werden, die die Mitschuld des deutschen Staates und der deutschen Medien am Völkermord in Palästina sowie das brutale Vorgehen gegen propalästinensische Stimmen thematisiert, so Red-Media-Gründer Hüseyin Doğru am Dienstag gegenüber jW. Mitverantwortlich sei der Tagesspiegel. »Sie haben das Gewehr mit falschen Anschuldigungen geladen und Blinken hat uns ins Visier genommen. Jetzt warten wir darauf, dass die deutsche Regierung den Abzug betätigt – natürlich alles im Namen des Schutzes der Meinungs- und Pressefreiheit.«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Hans Schoenefeldt (19. September 2024 um 11:36 Uhr)
    Es gibt einen sehr schönen Satz von John F. Kennedy aus dem Jahr 1962. Anna Belkina, sie ist stellvertretende Chefredakteurin im Sender Russia Today, hat ihn zitiert: »Wir haben keine Angst, dem amerikanischen Volk unangenehme Fakten, fremde Ideen, fremde Philosophien und konkurrierende Werte anzuvertrauen. Denn eine Nation, die Angst hat, ihr Volk in einem offenen Markt über Wahrheit und Lüge urteilen zu lassen, ist eine Nation, die Angst vor ihrem Volk hat.«
    Vom russischen Revolutionär und Wirtschaftstheoretiker Nikolai Bucharin stammt der Satz: »Die Demokratie ist die Staatsform des Bürgertums, wenn es keine Angst hat, Faschismus, wenn es Angst hat.«
    Ich will gleich klarstellen, dass es weder in den USA noch in Europa oder sonstwo einen Faschismus an der Macht gibt. Es ist wichtig dies zu betonen, weil eben dieses »Bürgertum« das Wort Faschismus in seinen Grundwortschatz einverleibt hat. Das wurde in gezielter Absicht vorgenommen, um (nur) die AfD als Nazis und Faschisten zu bezeichnen. Mit dieser Stigmatisierung war sie bisher einigermaßen erfolgreich, und dies gleich in doppelter Hinsicht. Denn hinter diesem Versuch, die Bevölkerung stramm auszurichten, wird nahezu geräuschlos ein autoritärer Umbau des Staats vorangetrieben. Die Innenministerin fährt in den Spurrillen des Gesetzes von 1933 zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Dem Gesetz folgend konnten Beamte, die in oppositionellen Parteien tätig waren oder mit ihnen sympathisiert hatten, entlassen werden. Frau Faesers Treiben steht außerdem sowohl in einem nationalen wie auch im transatlantischen Kontext. Es geht nicht nur um die Befriedigung ukrainischer Waffenhilfe, es geht auch nicht nur um die Kriegsertüchtigung einer wehrbereiten Bevölkerung. Die ausufernden Restriktionen gegen oppositionelle Medien werden, so Themba Godi, ehemaliges Mitglied der südafrikanischen Nationalversammlung, »von der Angst vor einem Wettbewerb in der multipolaren Welt angetrieben«. Um diese zu überwinden, werden andere Sichtweisen mit der Machete als Joker benutztem Schlagwort »Desinformation« erschlagen. Durch dick und dünn, wie Reinhard Lauterbach in seinem Kommentar, jW. 18. Sept., schreibt.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. September 2024 um 10:52 Uhr)
    Die Situation, dass die US-Regierung und große Internetkonzerne russische Medien blockieren, zeigt, wie tief der sogenannte »Wertewesten« in einen Sumpf aus Doppelmoral und Zensur geraten ist. Einst stolze Verteidiger der Meinungsfreiheit, greifen sie nun zu Methoden, die sie selbst jahrzehntelang bei autoritären Staaten kritisierten. Jetzt wird die »falsche« Information einfach abgeschaltet – frei nach dem Motto: »Was wir nicht hören wollen, gibt es nicht.« Dabei ist das Ganze ein Boomerang. Statt Vertrauen in die westlichen Institutionen zu fördern, schafft man Misstrauen und schürt den Verdacht, dass »die andere Seite« vielleicht doch etwas Interessantes zu sagen hat. Es ist, als würde man einem Kind ständig verbieten, etwas Bestimmtes zu tun – die Neugierde wächst nur. Der Bürger, der angeblich mündig genug ist, um Wahlen zu entscheiden, wird nun als zu unfähig dargestellt, sich selbst eine Meinung zu bilden. »Argument der Macht« nennt sich das dann. Der richtige Weg? Mehr Gelassenheit und ein bisschen Vertrauen in die Menschen. Statt Inhalte zu blockieren, sollte man sich auf die Kraft der besseren Argumente verlassen. Diskussion statt Zensur, Dialog statt Abschalten – das wäre eine Demokratie, die auch ihre eigenen Ideale ernst nimmt.

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