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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 2 / Inland
Egon Krenz

»Für mich ist Frieden das erste Menschenrecht«

Die Passage der Taiwanstraße von Schiffen der Bundesmarine erinnert an Provokationen aus früheren Zeiten. Ein Gespräch mit Egon Krenz
Interview: Frank Schumann
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Egon Krenz am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park (Berlin, 9.5.2023)

In der vergangenen Woche passierten zwei deutsche Kriegsschiffe die Meerenge zwischen dem chinesischen Festland und der Insel Taiwan. Weil dies »der kürzeste und angesichts der Wetterlage auch der sicherste Weg« gewesen sei, sagte SPD-Minister Boris Pistorius. Beijing zeigt sich empört. Sie auch?

Selbstverständlich. Was haben die Fregatte »Baden-Württemberg« und ihr Begleitschiff »Frankfurt am Main« überhaupt in Fernost verloren? Die kreuzten nicht wegen des Wetters vor der chinesischen Küste, sondern um zu provozieren. Solche Kanonenbootpolitik hat Tradition. Das erinnert mich etwa an den sogenannten Panthersprung nach Agadir 1911. Kaiser Wilhelm II. schickte zur Machtdemonstration sein Kanonenboot »Panther« an die marokkanische Küste, um der Kolonialmacht Frankreich seine Mordinstrumente zu zeigen. Im Unterschied zu heute protestierte damals der SPD-Parteivorstand und rief zu Friedensdemonstrationen auf. Das deutsche Großkapital jedoch jubelte damals wie heute. 1911 fragten ihre Blätter »Wann werden wir marschieren?« Heute heißt es: »Die deutsche Industrie bestärkt die Bundesregierung darin, die bereits erodierende regelbasierte internationale Ordnung so weit wie möglich aufrechtzuerhalten«, was im Klartext heißt: Zeigt den Chinesen, wo der Hammer hängt.

Das klingt wie des Kaisers imperiales Getröte vor über 100 Jahren.

Sie denken an die Verabschiedung des »Expeditionskorps« 1900 nach China, an Wilhelms berüchtigte »Hunnenrede«? »Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht«, befahl er damals den Soldaten in Bremerhaven, »(…) möge der Name Deutscher in China auf 1.000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!« Diese imperialistische Großmannssucht sollte in den Ersten Weltkrieg münden. Ich sehe beklemmende Parallelen. Dank des chinesischen Friedenswillens ist es zu keiner Gegenreaktion gekommen. Das sollte die Ampelregierung aber nicht missverstehen.

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Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« auf dem Weg zum Manöver im Pazifik (Tokio, 20.8.2024)

Wird diese Kriegsgefahr, in der wir uns befinden, Gegenstand Ihrer Rede sein, die Sie am 5. Oktober in Berlin halten werden?

Mit dieser Veranstaltung im Kino Babylon soll an die Gründung der DDR vor 75 Jahren erinnert werden. Eine Woche vor Gründung der DDR betrat die Volksrepublik China 1949 die politische Weltbühne. Und selbstverständlich werde ich, wenn ich über Vergangenheit und Gegenwart nachdenke, nicht die Friedenspolitik dieser beiden Staaten ausblenden. Der Kampf gegen den Krieg und für den Frieden ist doch die zentrale Frage jeder sozialistischen Außenpolitik. Das bleibt von der DDR. Und China wird bleiben, so lange es ökonomisch und auch militärisch in der Lage sein wird, dem globalen Imperialismus die Stirn zu bieten und sich nicht provozieren zu lassen.

Der Friedensgedanke zieht sich leitmotivisch durch Ihre »Erinnerungen«. Zwei Bände sind bereits in der Edition Ost erschienen. Der dritte und letzte war vom Verlag für den 18. November angekündigt. Kommt er?

Er kommt, aber nicht zum angekündigten Termin. Wahrscheinlich erst Anfang nächsten Jahres. Ich habe aufgrund vieler Verpflichtungen weniger Zeit am Computer zubringen können, als ich gemusst hätte. Zeit und Energie sind in meinem Alter bekanntlich begrenzt. Man muss darum Prioritäten setzen. Und die von der DDR gesetzte und in dieser Zeitung in den achtziger Jahren publizierte Priorität war und ist nicht die schlechteste: »Jetzt erst recht alles für den Frieden. Gegen US-Raketen Frieden schaffen!« Wer behauptet, Freiheit sei wichtiger als Frieden, weiß nicht, was Krieg bedeutet. Ich habe das Ende des Zweiten Weltkrieges noch als Kind erlebt. Für mich ist Frieden das erste Menschenrecht. Es gegen die NATO zu verteidigen, sollte erste Bürgerpflicht sein.

Egon Krenz war der letzte Generalsekretär des ZK der SED. Am 5. Oktober wird er Gastredner bei der jW-Veranstaltung »75 Jahre DDR. Was bleibt?« im Berliner Kino Babylon sein.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (18. September 2024 um 15:27 Uhr)
    Die DDR im Verbund des Warschauer Vertrages unter Führung der Sowjetunion hat diesem Kontinent 40 Jahre Frieden beschert. Einen solchen Zeitraum Frieden hat es in Europa bis dahin nicht gegeben und wie es derzeit aussieht, wird es das so bald nicht wieder geben. Das Ende der Sowjetunion und ihrer verbündeten Staaten war zugleich das Ende der friedlichen Entwicklung. Der Westen, der sich als Sieger gerierte, hatte sofort nichts Besseres zu tun, als einen neuen Feind für seine NATO zu suchen und in Russland und China zu finden. Krieg ist dem NATO-Imperialismus immanent. Krenz hat daher recht, wenn er Frieden das erste Menschenrecht nennt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (18. September 2024 um 08:45 Uhr)
    Egon Krenz hat völlig Recht. Frieden ist das oberste Gebot. Ohne Frieden ist alles andere nichts! Alles, was unterlassen wird, um diesen Frieden zu sichern, ist eine Todsünde. Ralph Dobrawa, Gotha

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