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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 4 / Inland
Grundrechte

Geheimdienst zurechtgewiesen

Berliner VS-Bericht muss korrigiert werden. Hessisches Verfassungsschutzgesetz teils rechtswidrig
Von Henning von Stoltzenberg
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Der hessische Inlandsgeheimdienst durfte offiziell zuviel (Wiesbaden, 2.9.2024)

Gleich zwei Gerichtsbeschlüsse aus den letzten Tagen weisen die Landesämter für Verfassungsschutz (VS) in Berlin und Hessen in ihre Schranken. Im ersten Fall hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) bereits am 13. September einen Verbotsbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin zum Verfassungsschutzbericht des vergangenen Jahres ergänzt und die Nennung des Vereins Furkan e. V. darin verboten. Dieser betreibt eine Moschee in Berlin-Neukölln, die vom Berliner Inlandsgeheimdienst in dem beanstandeten Bericht als von Salafisten dominierter Versetzungsort bezeichnet wurde.

Das OVG habe sich ausführlich mit den vom VS genannten Zitaten aus Predigten in der besagten Moschee beschäftigt, wie der Verteidiger Johannes Eisenberg am Dienstag mitteilte. Dabei wurde festgestellt, dass der VS teilweise den Sinn der Predigten missinterpretiert, Zitate aus dem Zusammenhang gelöst und damit ihren Sinn verändert habe.

Zu einer Predigt aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar hatte das Gericht ausgeführt, der Beschwerde sei auch darin zu folgen, dass die Ausführungen des Antragstellers nicht auf eine salafistische Gesinnung schließen lasse. Die Verfassungsschützer hatten ihre Einschätzung damit begründet, dass der Prediger verlangt habe, die dortigen »Bräuche, Gebräuche und Werte« zu beachten. Allerdings hatte er gleichzeitig betont, dass Muslime ebenfalls die Verhaltensregeln in nichtmuslimischen Ländern zu beachten hätten.

Laut Gericht sei das nicht salafistisch, sondern werde von einer Vielzahl von Menschen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Hintergründen vertreten. Der Berliner VS sei demnach nicht in der Lage, im betroffenen Verein gehaltene veröffentlichte Predigten in angemessener Weise zu deuten und eine zutreffende Deutung seiner Einschätzung hinsichtlich der Verfassungstreue zugrunde zu legen, sagte Verteidiger Eisenberg.

Während also in Berlin der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 korrigiert werden muss, ist das Land Hessen nun verpflichtet, das gesamte Landesverfassungsschutzgesetz zu ändern. Dort sind gleich mehrere Regelungen, in denen es um die Erhebung und Übermittlung von Daten geht, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Dies geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe hervor. Die beanstandeten Regelungen verstoßen laut Gericht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dabei geht es unter anderem um Regelungen zur Handyortung und zum Einsatz von Spitzeln.

Dabei wurde das Landesverfassungsschutzgesetz in Hessen erst im vergangenen Jahr geändert, nachdem das Gericht im Jahr zuvor bereits das bayerische Gesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt und Grundsätze aufgestellt hatte, die für alle Bundesländer verbindlich gelten und an die sich auch der Geheimdienst halten muss.

Doch auch die neue Fassung von 2023 verletzt die informationelle Selbstbestimmung, wie die Richter nun entschieden. Sie beanstandeten vor allem, dass die Eingriffsschwelle für eine technische Handyortung nicht ausreiche. Die Regelungen gelten nach dem Beschluss vorübergehend bis Ende 2025 weiter, allerdings eingeschränkt. Eine Regelung, in der es um die Weitergabe von Daten an Strafverfolgungsbehörden geht, wurde teilweise für nichtig erklärt.

Damit war eine Verfassungsbeschwerde von fünf Beschwerdeführern partiell erfolgreich. Zwei von ihnen sind nach Gerichtsangaben Mitglieder einer Organisation, die der hessische Verfassungsschutz als »linksextremistisch« einstuft. Zwei weitere vertreten als Anwälte Personen, die vom Geheimdienst beobachtet werden, ein weiterer Beschwerdeführer ist Journalist. Unterstützt wurden sie unter anderem von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. Diese sprach am Dienstag von einem »Erfolg für die Grundrechte«.

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