Seouls Informationskrieg
Von Martin Weiser, SeoulDass die konservative Regierung Südkoreas mit allen Mitteln versucht, die Öffentlichkeit gegen den Norden aufzuwiegeln, ist bereits bekannt. Ein neuer Fall und der Umgang des Ministeriums mit Kritik legt aber noch einmal die Dreistigkeit offen, mit der vorgegangen wird. So hat eine Anfrage eines südkoreanischen Abgeordneten in der vergangenen Woche offengelegt, dass das Kulturministerium Südkoreas die Bevölkerung über die Volksrepublik im Norden absichtlich in die Irre führt: Zwei vollkommen unverifizierte Nachrichtenmeldungen von der Massenerschießung Minderjähriger wurden als vom südkoreanischen Staat anerkannte Tatsachen dargestellt.
Am 9. September berichtete auf Hinweis des Abgeordnetenbüros von Yoon Hu-dok erst die Hanguk Ilbo und dann die englische Schwesterzeitung Korea Times über die Falschdarstellungen in einem Comic, den das Kulturministerium bereits am 30. Juli veröffentlicht hatte. Über 19 Kästchen gibt der Comic vor, nur den staatlichen Menschenrechtsbericht vorzustellen, der einen Monat zuvor herausgekommen war. Am Anfang werden aber zwei »Exklusivmeldungen« des rechten Fernsehsenders TV Chosun zu angeblichen Massenerschießungen wegen des Anschauens südkoreanischer Videos zitiert, ohne das als Nachrichtenmeldung zu kennzeichnen und die Quelle zu benennen. Direkt darauf folgt der Hinweis auf den Menschenrechtsbericht, der grausamste Strafen für den Kontakt mit südkoreanischen Medien belegen will. Der unbedarfte Leser nimmt natürlich an, dass die Regierung diese Anschuldigung geprüft und für stichhaltig befunden hat.
Das Büro von Yoon Hu-dok hakte deswegen extra beim Wiedervereinigungsministerium nach, ob sich diese Exklusivmeldungen denn überhaupt in dem Menschenrechtsbericht finden. Das war nicht der Fall. Das Ministerium wollte auch die Exklusivmeldungen nicht bestätigen, obwohl in beiden Fällen ein anonymer »Regierungsmitarbeiter« die Informationen geliefert haben soll. Schon am 27. Juni hatte der Fernsehsender, der mit der Zeitung Chosun Ilbo zur Chosun Media Group gehört, berichtet, in Nordkorea habe man vor kurzem 60 Jugendliche beim Anschauen südkoreanischer Videos erwischt. Mehr als 30 davon seien entweder zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt worden. Am 10. Juli meldete der Sender dann die öffentliche Hinrichtung von über 30 Schülern wegen des Anschauens von Videos, die südkoreanische Aktivisten per Luftballon in den Norden geschickt hatten. Ob es sich dabei nicht vielleicht doch um dieselbe Information handelte, die ein anderer Regierungsmitarbeiter nach Gutdünken ausgeschmückt hatte, blieb offen.
Während die »Exklusivmeldungen« in den südkoreanischen Medien breit zitiert wurden, blieb eine kritische Auseinandersetzung mit den Fakten aus. Und auch dieses Mal war das mediale Echo über die Falschdarstellung sehr begrenzt. Nach dem Bericht der Hanguk Ilbo schrieben darüber nur noch die linke Zeitung Kyonghyang und die Webseite MediaUs. Das Ministerium verweigert weiterhin eine Korrektur und gibt vor, die Meldungen seien von mehreren Medien bestätigt worden.
Es wäre nicht das erste Mal, dass wichtige Details für Sensationsmeldungen ausgelassen werden. Südkoreas wichtigste Zeitung Joongang Daily behauptete etwa, im Juli 2010 habe man im Norden jemanden für den Konsum von Drogen und südkoreanischen Videos hingerichtet. Im Menschenrechtsbericht des staatlichen Thinktanks stellte sich das Vorkommnis anders dar. Die Hinrichtung erfolgte demzufolge für die Ermordung eines Polizeibeamten, der zwei Brüder bei dem Konsum erwischt hatte.
Auch bei der jetzigen Anschuldigung, Nordkorea habe Minderjährige hingerichtet, schien weder den wenigen Kritikern der Exklusivmeldungen noch des Comics die Erwähnung wert, dass das nordkoreanische Strafrecht das explizit ausschließt. Nicht zuletzt blieb unerwähnt, dass die Information zum Alter der angeblich Hingerichteten von TV Chosun in den verqueren Satz verpackt wurde, es seien »Mittelschüler im Oberstufenalter« gewesen. Doch im Titel wollte der Fernsehsender dann doch lieber Mittelschüler schreiben.
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