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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Migrationsabkommen BRD–Kenia

»Früher unsere Bodenschätze und nun das Humankapital«

Deutsch-Kenianisches Abkommen zementiert neokoloniale Verhältnisse. Ein Gespräch mit Gathanga Ndung’u
Interview: Tim Krüger
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In Schleswig-Holstein werden Kenianerinnen und Kenianer zu neuen Busfahrern ausgebildet (Flensburg, 10.9.2024)

Vor wenigen Tagen hat die BRD mit Kenia ein ­Migrationsabkommen unterzeichnet. Wie bewerten Sie den geschlossenen Deal?

Der Export von Arbeitskraft aus Afrika ist keine neue Erscheinung. In der Vergangenheit war Afrika Zentrum des transatlantischen Sklavenhandels. Für uns ist es unverständlich, dass wir hier Arbeiter ausbilden, nur damit sie dann der Wirtschaft anderer Länder dienen. Selbstverständlich hängt das Abkommen auch mit dem Aufstieg rechter Antimigrationsparteien wie der AfD zusammen, denn es geht auch darum, ungewollte Migranten wieder zurückzuführen. Die deutsche Regierung hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie bekommen die besten Arbeiter und gleichzeitig einen Weg, diejenigen, die sie nicht wollen, wieder zu deportieren.

Die Jugend Kenias ist im Juni gegen hohe Lebenshaltungskosten und Erwerbslosigkeit auf die Straßen gegangen. Könnte der Weg nach Deutschland neue Chancen bieten?

Im Ergebnis der Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF wurde unserem Land ein Spardiktat auferlegt. Die Jugend, die mehr als Problem und nicht als Ressource behandelt wird, kämpft verzweifelt um Arbeit. Doch von dem Deal profitiert in erster Linie die deutsche Wirtschaft. Das wird kein Problem lösen, sondern unser eigenes System weiter verkrüppeln. Wenn sie die besten Fachleute abwerben, wer wird dann noch übrig bleiben, um unser Land aufzubauen?

Die Unterentwicklung Afrikas geht bis weit in die Kolonialzeit zurück. Damals haben sie unheimlich viele Ressourcen aus dem Kontinent gepresst. Früher waren es unsere Bodenschätze und nun das Humankapital. Wenn diejenigen, die unseren Kontinent nach vorne bringen könnten, von uns genommen werden, um die Metropolen weiter auszubauen, die schon mit unseren Ressourcen errichtet wurde, dann wird Afrika weiter unterentwickelt bleiben. Während der Proteste haben die jungen Menschen deutlich gemacht, dass sie in ihrem Land arbeiten wollen, wo ihre Familien, Freunde und die gesamte soziale Infrastruktur sind. Sie forderten bessere Arbeitsplätze in ihrer Heimat. In der Vereinbarung wurde auch nicht gesagt, ob die Wanderarbeiter mit ihren Familien umziehen dürfen. Wenn nicht, würde das ihr soziales Leben stark beeinträchtigen.

Also denken Sie, die Abwanderung der Arbeitskräfte nach Deutschland könnte die Situation in Kenia noch weiter verschlechtern?

Die Migration ist nur eine kurzfristige Lösung, mit der ein Präsident, der seine Legitimität verloren hat, versucht, sein Überleben zu sichern. Das Problem ist, dass in unserem Land die Produktionsmittel in den Händen einiger weniger Reicher liegen. Kenia ist zu einer Nation von zehn Millionären und zehn Millionen Bettlern geworden, wie der kenianische Sozialist J. M. Kariuki es vor über 50 Jahren vorhergesehen hatte. Nach der Unabhängigkeit hat die Kompradorenklasse das Land der Kolonisten in Besitz genommen, aber das Volk hat bis heute kein Land. Um eine Lösung zu finden, müssen wir die sozioökonomische historische Ungleichheit überwinden. Als Land haben wir ein Defizit in verschiedenen Sektoren, etwa im Gesundheitswesen, wo das Verhältnis von Medizinern zu Patienten bei 1:17.000 liegt, während der empfohlene Standard bei 1:1.000 liegt. Diese Abwanderung von Fachkräften wird das Land schwer beeinträchtigen.

Das Bildungssystem Kenias wird in der deutschen Öffentlichkeit als sehr fortschrittlich gelobt. Sehen Sie eine Entwicklung?

Nicht wirklich, denn unsere Bildungssysteme in Kenia und in ganz Afrika wurden auf die Bedürfnisse der Industrien des globalen Nordens zugeschnitten. Haben wir uns jemals hingesetzt und darüber nachgedacht, wie wir ein Bildungssystem aufbauen können, dass unseren afrikanischen Bedürfnissen dient, die koloniale Ordnung umwirft und einen Beitrag dazu leistet, unser Denken zu dekolonisieren? Schon Paolo Freire (brasilianischer Pädagoge, jW) sprach über die befreiende Rolle der Bildung. Aber wenn das Bildungssystem nicht hilft, lokale Lösungen zu entwickeln, um unser Volk zu befreien, wem nützt es dann?

Gathanga Ndung’u vom Mathare Social Justice Center in Nairobi ist Mitglied des Organic Intellectuals ­Network in Kenia

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