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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der Wille zählt

Viel Sendungsbewusstsein: Doris Metz’ Dokumentation über die grüne Politaktivistin Petra Kelly
Von Maximilian Schäffer
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Bis zur Selbstaufgabe: Petra Kelly (1983)

Als ich einmal Luisa Neubauer bedienen durfte, fragte sie mich nach glutenfreiem Bier. Ich lebe in dieser Welt moralisierter Fetische, also weiß ich, was das ist, konnte ihr aber nur Apfelcidre anbieten. Auch ihr Partner, »Hart aber Fair«-Moderator Louis Klamroth, wählte solidarisch das Mostgetränk.

Neubauer ist Multimillionärin in spe, eine Reemtsma-Erbin. Sie ist Mitglied der Grünen und nennt Petra Kelly ein Vorbild, gar einer der Gründe für ihr politisches Engagement. Gemein hat sie mit der 1992 im Alter von 44 Jahren gestorbenen Parteimitgründerin höchstens das Sendungsbewusstsein, ansonsten fehlt es nicht nur am Idealismus. Neubauer ist die Ausgeburt dessen, weshalb Petra Kelly, wenn nicht zerbrach, so doch zumindest desillusioniert aus dem politischen Zirkus der BRD schied. Die Grünen wurden zu etwas, vor dem Kelly immer wieder gewarnt hatte, »eine biedere, konventionelle Machtpartei«. Bomben auf Belgrad erlebte sie nicht mehr. Vor Rüstungsexzessen in der Ukraine und Ausländergeknirsche blieb sie erst recht verschont.

Eine aktuelle Dokumentation heißt »Petra Kelly – Act Now!«. Sie geizt – wie alle hier porträtierten Figuren – nicht mit Sendungsbewusstsein. Vom »Guten« in Opposition zum »Bösen« möchte Regisseurin Doris Metz, stellvertretendes Mitglied des WDR-Rundfunkrats, ausgehen. Grundsätzlich. Wir leben anscheinend längst in der politisch genormten Zivilgesellschaft, da dürfte jedem klar sein, wer heute wie vor 40 Jahren die Feinde sind bzw. waren: Franz Josef Strauß, Ronald Reagan, Helmut Kohl, überhaupt Männer, Umweltsäue, Atomkraftbefürworter, die Sowjets, die DDR-Führung (auch Männer), Putin, die AfD, Polizei und Krieg. Auf der anderen Seite: Die Grünen, Solarenergie, Frauen, Schwarze, Native Americans, Robert Kennedy, Hubert Humphrey, Martin Luther King, die Ukraine, der Frieden, die Wende, Otto Schily und Luisa Neubauer.

Nun ist der Wahrheitsgehalt solcher Einordnungen bei weitem nicht so schlüssig, wie es uns der Film weismachen will. Auch die Figur der Petra Kelly ist gewiss ambivalenter, nicht zu reduzieren auf ihren missionarischen Ansatz. Ähnliches mag für Greta Thunberg gelten, die mit ihrer beinahe vollständigen Selbstaufgabe Kelly erheblich näher sein dürfte als die realpolitische Unternehmerin Neubauer. 104 Minuten lang darf man also in die erschöpften Augen einer mutigen Aktivistin schauen, ihren Verkündungen im Geiste einer blockfreien, feministischen, friedlichen Welt lauschen. Der Wille zählt?

Von leidenschaftlicher Rigorosität war sie jedenfalls, die Kelly. Das nahmen ihr viele übel. Sie mischte sich in machtpolitische Fragen ein, wohl mit Phrasen, die sie allerdings eher als moralische Selbstverständlichkeiten begriff. Sie ging Rechtsradikalen und Rassisten selbstverständlicher auf den Sack als manche K-Gruppe. Manche fanden »böse« Gründe, ihr so etwas übelzunehmen, spielten linken Machismus aus. Stellten ekelhafte Fragen, auf die man nicht antworten kann. Schrieben Briefe, die selbst resilienten, öffentlichen Figuren irgendwann Angst machen. 1992 wurde Petra Kelly von ihrem Liebhaber, dem »Friedensgeneralmajor« Gert Bastian, im Schlaf ermordet. Bastian richtete sich danach selbst. Es blieb viel Stoff für Verschwörungstheorien, die glatt über den Atlantik schwappten. Bastians Motive bleiben bis heute im Dunkeln. Seine Stasi-Akte wollte Bastian nicht einsehen lassen.

Eva Quistorp (Bündnis 90/Die Grünen) erinnert sich im Film mit einem Sendungsbewusstsein an Petra Kelly, das man den Toten allenfalls als evangelische Theologin nicht ersparen möchte. Von »Slava Ukraini« bis zur »Letzten Generation« wäre ihre alte Mitstreiterin heute überall dabei. Am Asphalt festgeklebt, in »Blau-Gelb«. So dringt es unwidersprochen durchs Framing der Regie. Am Ende vergisst ein Aktivist vom (radioaktiv verstrahlten) Stamm der Lakota in South Dakota eine Träne. Luisa Neubauer predigt von der Zukunft.

Die meisten Deutschen können sich an Petra Kelly kaum mehr erinnern. Ich werde mich zukünftig daran erinnern, wie mir Luisa Neubauer, in einer Zeit, in der es das Bargeld noch nicht abgeschafft war, 2,80 Euro Trinkgeld gab. Der Wille zählt.

»Petra Kelly – Act Now!«, Regie: Doris Metz, BRD 2024, 109 Min., bereits angelaufen

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. September 2024 um 22:19 Uhr)
    Frau Neubauer sollte sowieso kein Bier trinken. So spricht nämlich die Rheumalige Schweiz: »Die Gicht ist seit der Antike bekannt als eine Wohlstandskrankheit derer, die sich täglich Wein und Fleischmahlzeiten gönnen. (…) Purine werden im Stoffwechsel zu Harnsäure umgewandelt. Steigt deren Konzentration im Blut über einen gewissen Wert, beginnt sich die Harnsäure auszukristallisieren und an Gelenken, Schleimbeuteln und im gelenknahen Bindegewebe abzulagern. (…) Biertrinker, die sich täglich 2 Glas Bier gönnen, erhöhen ihr Risiko, einen Gichtanfall zu erleiden, um 200%. Grund dafür ist das Purin in der Hefe, die bei der Bierherstellung den Gärprozess in Gang setzt (übrigens auch bei alkoholfreiem Bier). Weniger schlimme Auswirkungen hat der Weinkonsum. Männer dürfen sich täglich maximal 2 Gläser und Frauen maximal 1 Glas Wein gönnen, ohne das Gichtrisiko merklich zu erhöhen.«

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