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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Wohnungsbau im »Roten Wien«

Die »Wilden« von Transdanubien

Österreich: In der Zwischenkriegszeit dienten Siedlungen jenseits der Donau der Selbstversorgung. Rotes Wien gab dafür staatliche Unterstützung
Von Barbara Eder, Wien
1932 Bretteldorfer Nachrichten.jpg
Die Bretteldorfer Nachrichten stellten sich 1932 zur Aufgabe, »als Kampforgan für die Gesamtinteressen der werktätigen u. arbeitslosen Bewohnerschaft« zu wirken

Auf ihrer Parzelle züchteten sie nicht nur Obst und Gemüse, sie versteckten auch den Vervielfältigungsapparat der Floridsdorfer Kommunisten im Gartenhäuschen. Der 23jährige Malergehilfe Hans Schneider und die ein Jahr jüngere Haushaltsgehilfin Hedi Bock zählten zu den jüngeren unter den Siedlungswilligen in der heute zu Wien gehörenden Leopoldau. Die meisten Siedler waren zwischen 30 und 35 Jahre alt und kamen aus Wien oder der angrenzenden Umgebung. In der Mehrzahl waren kinderlose Paare und Familien mit einem Kind, trotz vorab festgelegter Altersgrenze wurden in Ausnahmefällen auch Personen über sechzig aufgenommen.

Im Dezember 1942 wurden Bock und Schneider am Wiener Landesgericht enthauptet. Ihr widerständiger Geist lebt in den Gärten und Bauten fort, an die einige wenige Häuser in der Heinrich-Mitteis-Gasse noch erinnern. Sie stammen aus der zweiten Bauphase der transdanubischen Siedlung, ihre Reste mussten in den Sechzigern der Großfeldsiedlung weichen. Der Grund für die Behausungen der letzten autonomen Selbstversorgerexistenzen am Ufer der Donau ist heute Gold wert. Auf enteignetem Boden befinden sich kajütenähnliche Eigentumswohnungen.

Unweit des Ufers der Alten Donau beginnt der Radweg zu einem noch jungen Teil der österreichischen Hauptstadt. Erst seit 1904 gehört die ehemalige Marktgemeinde Leopoldau zu Wien. Das dazumal kaum erschlossene, dörfliche Gebiet ist heute mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Zwischen den Gemeindebauten finden sich Rudimente unterschiedlicher Kleingartensiedlungen. In der Zwischenkriegszeit dienten die Siedlerhäuser als Notbehelfsunterkünfte. Trotz zahlreicher Umbauten und Erweiterungen sind die Grundrisse bis heute ähnlich: Die größtenteils unterkellerten Gebäude mit einer Wohnfläche von weniger als dreißig Quadratmetern sind in Küche und Schlafraum unterteilt.

Neben eigentümerlosen Feldern, Holzhütten und Gartenhäusern begannen wilde Siedler im Wien der Zwischenkriegszeit, unbewohntes Gebiet zu besetzen. In Kaisermühlen, begrenzt durch den Hubertusdamm und die heutige Wagramer Straße, entstanden schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten »wilden« Wohnstätten. Das sogenannte Bretteldorf hatte in den 1930er Jahren ungefähr 374 Parzellen und etwa 1.000 Bewohner. 1935 wurden die Liegenschaften Bruckhaufen und Bretteldorf jedoch vom Stift Klosterneuburg verkauft und zu staatlichem Eigentum im austrofaschistischen Österreich. Das Gebiet des ehemaligen Bretteldorfes im Bereich des heutigen Donauturms geriet zur Deponiefläche: Bis 1937 siedelte die Stadt Wien aus dem angeeigneten Areal rund 100 Siedlerfamilien ab, die Verbliebenen mussten damit rechnen, von Müll überschüttet zu werden – die Siedlung Bruckhaufen wurde nicht legalisiert.

Die Arbeit am Aufbau der Erwerbslosensiedlung Leopoldau begann im Jahr 1932 – und damit noch im Roten Wien. Für die achtzig Siedlerstätten der ersten Bauphase steuerte die Gesiba (Gemeinwirtschaftliche Siedlungs- und Baustoffanstalt) die nötigen Baumaterialien bei. Bauleiter Richard Bauer entwarf den Prototypen für das mustergültige Siedlerhaus, es bestand aus großformatigen Leichtbetonbausteinen und Innenwänden aus Gips; erst im nachhinein wurde entschieden, wem das jeweilige Haus gehören sollte. Gebaut wurde für die Allgemeinheit, erst nach Fertigstellung verteilte man die Häuser unter den Beteiligten.

Erwerbslose und Ausgesteuerte errichteten auf dieser Fläche ihre Häuser, aus den Erträgen aus Obstbau und Kleintierzucht sollten sie sich selbst versorgen. Von ihnen wurde erwartet, insgesamt 2.000 Arbeitsstunden zu erbringen, geleistet auf der Baustelle, in der Baustoffanstalt und der Tischlerwerkstätte. Bei Dienstantritt bekam man das Arbeitslosengeld ausbezahlt; alle, die aus besonders großer Entfernung anreisten, erhielten von der Gesiba zudem den Betrag für Fahrscheine und Übernachtungsmöglichkeiten. Dennoch konnten nicht alle Erwerbslosen am Aufbau der Siedlung mitwirken – in der zweiten Bauphase waren die Plätze auf 345 limitiert.

Langzeitarbeitslosigkeit – bis heute ist sie durch mindestens ein erwerbsloses Jahr definiert – war eine gute Voraussetzung für die Teilhabe am Projekt: Sie wurde jedoch nicht wesentlich besser bewertet als das gänzliche Fehlen von staatlichen Unterstützungen. Dauerhaft vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossene erhielten hingegen die dreifache Punkteanzahl im Vorfeld der Teilnahme – ihnen sollte das Projekt mit dem Ziel der autarken Selbstversorgung am ehesten zugute kommen. Drei Punkte gab es zudem für den Eignungsnachweis als Bautischler oder Schlosser, zwei für mehrjährige Erfahrungen als Kleingärtner oder Tierzüchter; Menschen mit Kenntnissen im Tischlern, Malen und Anstreichen erhielten je einen weiteren Punkt.

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