»Wir müssen im Alltag wieder sichtbar werden«
Interview: Nico PoppSie wollen bei der Landtagswahl am Sonntag das Kunststück fertigbringen, den östlich von Berlin gelegenen Wahlkreis Märkisch-Oderland II, zu dem unter anderem die Stadt Strausberg gehört, für die Partei Die Linke zu gewinnen. Warum ist das aus Ihrer Sicht machbar? Schon 2019 hat Ihre Partei in dem Wahlkreis viele Stimmen verloren, und aktuell liegt sie in Umfragen im Landesdurchschnitt unter fünf Prozent.
Naja, ich habe diesen Wahlkreis immerhin schon viermal gewonnen. Zuerst 1999, als noch keiner daran dachte, dass die PDS hier mal Wahlkreise gewinnt. Und zuletzt 2014, als wir – wegen der alles andere als optimalen Regierungsarbeit – bei der Landtagswahl viele Stimmen verloren haben. Immer haben mich Menschen gewählt, die ihre Zweitstimme einer anderen Partei gegeben haben. Wenn man 2014 und 2019, als ich nicht antrat, mit 2024 vergleicht, dann fällt auf, dass es diesmal gar keine richtige Wahlkampfatmosphäre in der Region gibt. Es hängen Plakate, aber es finden nahezu keine öffentlichen Diskussionen, Wahlforen und so weiter statt, die es früher immer gab. Wir haben aber eigene Veranstaltungen gemacht, die gut besucht waren. Ich stehe seit sechs Wochen mit einem kleinen Infostand an allen möglichen Stellen und führe da überwiegend erfreuliche Gespräche. Ich habe aber den Eindruck, dass manche Akteure schon aufgegeben haben und die Ansicht vertreten, die AfD marschiert hier durch. Ich will mit meiner Kandidatur allen Wählerinnen und Wählern, die sich damit nicht abfinden wollen und deshalb taktisch wählen, ein Angebot machen. Speziell auch denen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit entscheiden wollen, aber mit der Zweitstimme nicht Die Linke, sondern das BSW wählen.
Gibt es denn Signale von anderen Parteien zugunsten Ihrer Kandidatur, um einen AfD-Erfolg zu verhindern?
Nein. Es gab Diskussionen und den Vorschlag, die Linken und die Grünen sollten doch besser keine Kandidaten aufstellen, um so die SPD-Kandidatin zu unterstützen. Da kann ich nur sagen: Leute, was erwartet ihr eigentlich für ein Ergebnis, wenn es bei den Direktkandidaturen außer dem rechten Kandidaten kein oppositionelles Angebot gibt? Das ist für mich nicht akzeptabel.
Strausberg ist ein Bundeswehr-Standort. Ist das ein Thema in Ihrem Wahlkampf?
Ja. Man kann hier beobachten, was es bedeutet, wenn das Land kriegstüchtig gemacht wird. Man sieht, dass in die Liegenschaften der Bundeswehr viel investiert wird. Auf der anderen Seite wissen die Menschen, dass in Strausberg schon seit 20 Jahren Kindergartenplätze Mangelware sind, die Klassen in den Schulen zu voll sind und Lehrer fehlen. Die ärztliche Versorgung wird immer schwieriger, der ÖPNV schlechter. Meine Partei hat gegen diese Entwicklung immer angekämpft. Dass die Straßenbahn in Strausberg noch fährt und die Energieversorgung in kommunaler Hand ist, ist ein Ergebnis des Engagements der PDS in den 90er Jahren. Dass wir ein kommunales Krankenhaus haben, ist ganz wesentlich der Zusammenarbeit einer starken Linken mit der SPD im Kreistag zu verdanken.
Kann sich die Partei vor Ort wie früher in den Wahlkampf einbringen? Hier und da ist zu hören, dass auch im Osten manche Kreisverbände gar nicht mehr kampagnenfähig sind.
Mein Kreisverband hat ja vier Landtagswahlkreise zu stemmen. Das ist schon eine Herausforderung. Aber ich erhalte enorme Unterstützung vom Landesverband und auch aus der Bundestagsgruppe. Sören Pellmann war hier, Heidi Reichinnek auch.
Es kann am Ende von diesem Direktmandat abhängen, ob die Partei noch einmal in den Landtag einzieht. Vor 20 Jahren kam die PDS in Brandenburg auf fast 30 Prozent. Wie erklären Sie sich diesen Niedergang?
Die Genossinnen und Genossen, mit denen ich hier im Wahlkampf stehe, sind sich einig, dass die Partei im Alltag der Menschen wieder sichtbar werden muss. Wir müssen vor allen Dingen wieder eine Adresse für Menschen werden, die ihre Opposition gegenüber den Regierungen in Land und Bund zum Ausdruck bringen wollen. Das ist offensichtlich zuletzt kaum noch der Fall gewesen. Wir waren auch keine Adresse mehr für Menschen, die an einer übergreifenden Friedensbewegung interessiert sind. Wir müssen uns darüber verständigen, wie wir eine politische Kultur und eine politische Praxis entwickeln, die uns als Opposition von links wieder glaubwürdig machen.
Kerstin Kaiser ist Direktkandidatin der Partei Die Linke im Wahlkreis Märkisch-Oderland II
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