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Aus: Ausgabe vom 19.09.2024, Seite 4 / Inland
AfD-Klage abgewiesen

Kein »Recht auf Vorsitz«

Karlsruhe: AfD scheitert mit Klage gegen Wahlen von Ausschussvorsitzenden im Bundestag. Gericht betont Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments
Von Kristian Stemmler
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Die AfD ist mit einer Klage gegen Wahlen von Ausschussvorsitzenden im Bundestag gescheitert

Bei den Umfragen für die bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg am Sonntag steht die AfD gut da, vor Gericht ist die Partei dagegen weniger erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Klagen der Partei abgewiesen, mit denen diese ihr vermeintliches Recht auf den Vorsitz von Bundestagsausschüssen durchsetzen wollte. Der Zweite Senat des Gerichts befand in dem am Mittwoch verkündeten Urteil, dass der Bundestag nicht verpflichtet ist, AfD-Abgeordnete zu Vorsitzenden von Parlamentsausschüssen zu machen. Die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitze bewege sich im Rahmen »der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie«, erklärte die Vorsitzende Richterin Doris König laut dpa.

In der laufenden Legislaturperiode hatten Kandidaten der AfD bei Wahlen zum Vorsitz von drei Bundestagsausschüssen die erforderliche Mehrheit verpasst. Die Fraktion hat daher aktuell keinen Ausschussvorsitz inne, obwohl ihr nach den Gepflogenheiten entsprechend der Stärke ihrer Fraktion drei zustehen würden. Die AfD sah dadurch ihre Rechte auf Gleichbehandlung als Fraktion, auf »effektive Opposition« und faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Bundestags verletzt und wandte sich mit einer Verfassungsbeschwerde an Karlsruhe.

Bezugspunkt der Klagen war das übliche Prozedere bei der Besetzung der Ausschüsse. In jeder Wahlperiode werden diese neu zugeschnitten und neu besetzt. Welche Fraktion welchen Ausschussvorsitz zugesprochen bekommt, wird in der Regel im Ältestenrat ausgehandelt. Gibt es – wie nach der Bundestagswahl im September 2021 – dabei keine Einigung, wird aus der Stärke der Fraktionen eine Zugriffsreihenfolge berechnet. An die AfD waren in dieser Legislaturperiode so der Innen- und der Gesundheitsausschuss sowie der Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit gefallen.

Gegen die Besetzung der Posten mit AfD-Politikern erhob sich dann aber Widerspruch aus anderen Fraktionen, so dass in den Ausschüssen gewählt werden musste. Am 15. Dezember 2021 gab es in allen drei Ausschüssen geheime Wahlen für den Vorsitz, bei denen alle drei AfD-Kandidaten die erforderliche Mehrheit jeweils deutlich verfehlten. Ein zweiter Anlauf am 12. Januar 2022 endete mit dem gleichen Ergebnis. Bisher leiten daher die stellvertretenden Vorsitzenden die betroffenen Ausschüsse.

Die Fraktionen seien zwar gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln, betonte die Richterin König bei der Urteilsverkündung. Die »Mitwirkungsbefugnis« erstrecke sich dabei durchaus auch auf die Bundestagsausschüsse. Grundsätzlich müsse jeder Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein. Dieser Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gelte aber wiederum nicht für Gremien und Funktionen lediglich organisatorischer Art, so die Vorsitzende Richterin. Um eine solche Funktion handele es sich aber beim Ausschussvorsitz.

Christoph Hoffmann (FDP), stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungsausschusses, begrüßte das Urteil. In dem von ihm geleiteten Ausschuss wäre eine Besetzung mit einem Vorsitzenden aus der AfD »unseren Partnern im globalen Süden nur schwer erklärbar«, sagte er laut dpa. Die Entwicklungszusammenarbeit sei quasi eine Visitenkarte Deutschlands. Weise diese Visitenkarte »einen Politiker mit völkischen oder rassistischen Tendenzen« aus, wäre das »mehr als problematisch, ja schädlich für unser Land«, so Hoffmann.

Auch die Abwahl des für seine verbalen Entgleisungen bekannten AfD-Rechtsaußen Stephan Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Jahr 2019 wurde vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Brandner war damals abgewählt worden, nachdem er nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle (Saale) im Oktober 2019 beim Kurznachrichtendienst Twitter (heute X) einen Tweet verbreitet hatte, in dem kritisiert wurde, dass Politiker in Synagogen mit Kerzen »rumlungern«. Brandner bat später um Entschuldigung, wollte vom Ausschussvorsitz aber nicht zurücktreten. Dass der Ausschuss selbst für eine Abwahl zuständig war, sei vertretbar, urteilte das Gericht.

Brandner sprach nach der Urteilsverkündung von einem »schwarzen Tag für den Parlamentarismus«. Die Rechte der Opposition würden dadurch massiv geschwächt. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, äußerte sich positiv zu dem Urteil. Er kündigte an, dass die Regierungsfraktionen eine Präzisierung der Geschäftsordnung des Bundestags vorschlagen würden. Danach sollen künftig sowohl die Vorsitzenden von Ausschüssen als auch die Schriftführer im Präsidium des Bundestags »nach klaren Regeln abgewählt werden können«.

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