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Aus: Ausgabe vom 20.09.2024, Seite 5 / Inland
Kitakrise

Morgenkreis vorm Rathaus

Für pädagogische Qualität und Entlastung: Erzieher in Berlin legen erneut Arbeit nieder und stimmen über Erzwingungsstreik ab
Von Susanne Knütter
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Sie wollen nicht weniger arbeiten, sondern mehr Zeit für jedes einzelne Kind haben: Erzieher am Donnerstag in Berlin

In Kindergärten beginnt der Tag für gewöhnlich mit einem Morgenkreis. Für einen großen Teil der Berliner Eigenbetriebe fand der am Donnerstag vor dem Roten Rathaus statt. Kinder sind nur vereinzelt zu sehen. Dafür demonstrierten an die 2.000 Erzieher lautstark ihre Streikbereitschaft. Auch jedes Lied, das zum Sitz des Berliner Senats herüberschallt, ist als Botschaft an die Verantwortlichen gedacht: »Final Countdown«, »Denk an die Kinder«, »Deine Schuld«. Wenn die Musikauswahl Bürgermeister und Finanzsenator nicht beeindruckt hat, dann vielleicht die Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik, die öffentlichkeitswirksam vor dem Sitz der Berliner Regierung inszeniert wurde.

Mitte April hatten Verdi und die GEW den Berliner Senat zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag für pädagogische Qualität und Entlastung aufgefordert. Aber der weigert sich und verweist auf die Zuständigkeit der Tarifgemeinschaft der Länder – ungeachtet der Entlastungsvereinbarungen, die es auf Länderebene bereits gibt. Den jüngsten Erfolg in Sachen Entlastungsbewegung verkündete Verdi-Sekretärin Tina Böhmer. So hätten das Land Niedersachen und die Medizinische Hochschule Hannover nun zugesagt, mit Verdi ernsthafte Gespräche über eine Entlastung der Pflegekräfte zu beginnen. Die Tarifbewegung begann ebenfalls im Frühjahr. Zuletzt gestreikt hatten die Beschäftigten von Montag bis Mittwoch. Und natürlich fordern auch in anderen Bundesländern Erzieher Qualität und Entlastung. So demonstrierte am Donnerstag ein Kitanetzwerk in Hamburg gegen die »Kitastrophe«. In Sachsen fordert die GEW zusammen mit 20 Organisationen ein Kitamoratorium gegen Schließungen und Personalabbau.

Tanja Joppe, stellvertretende Leiterin einer Kita der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Betriebsrätin, räumte mit einer weiteren Erzählung auf. Den Gewerkschaften werde vorgeworfen, sie würden die Kitalandschaft spalten, weil sie sich für Entlastung in den kommunalen Kindergärten einsetzen. Das Gegenteil sei der Fall. »Niemand kann dauerhaft unter Personalmangel arbeiten.« Die Kollegen der Eigenbetriebe gingen mit ihrem Kampf voran. Spaltung gehe indessen von der Politik aus, indem sie den Beschäftigten der freien Träger die versprochene Hauptstadtzulage wieder wegnimmt.

»Wir wissen, dass wir uns Erzieher nicht backen können«, erklärte Böhmer. Aber ein Tarifvertrag, der eine Mindestpersonalausstattung festschreibt und verlässliche Notfallpläne enthält, könne bei dem Werben um Fachkräfte helfen. Das zeigt auch das Beispiel vom Berliner Klinikkonzern Vivantes, der sich lange gegen einen Entlastungstarifvertrag gewehrt hatte und jetzt damit wirbt. Wichtiger aber: Wenn Qualitätsdefizite und Überlastung in Kindertageseinrichtungen belegt sind, dann müssen Verhandlungen aufgenommen und Lösungen gefunden werden.

Studien, die beides belegen, erscheinen regelmäßig. Verdi wies bei der Kundgebung auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von August hin. Erzieher in Kindergärten seien demnach wesentlich häufiger krank als der Durchschnitt aller Berufsgruppen. Überdurchschnittlich oft wegen psychischer Erkrankung. Und: Spitzenreiter unter allen Bundesländern sei Berlin mit knapp 36 Krankentagen im Jahr.

Wenn ein Erzieher auf zehn oder 20 Kinder gleichzeitig aufpassen muss, bedeutet das nicht nur Stress für die Erzieher, sondern auch für die Kinder, erklärte Kundgebungsteilnehmerin Christiane Winter (Name geändert, jW). Unter Stress können Kinder nicht so gut lernen und denken. Dauerhafte Stressbelastung kann sich auf den Bildungsweg der Kinder auswirken und emotionale Folgen haben. Eine andere Pädagogin der Kitaeigenbetriebe Nordost erinnerte an Studien wie PISA und Co., anhand derer Deutschland regelmäßig schlechte Bildungs- und Sprachstände zertifiziert werden. In der Folge kämen neue Aufträge aus der Politik, um die Qualität der frühkindlichen Bildung zu verbessern. »Aber leisten können wir das nicht.« Immer wieder verwiesen Erzieher auf die veränderte Zusammensetzung der Kindergruppen. Wenn Erzieher und Kinder nicht die gleiche Sprache sprechen, brauche alles eben mehr Zeit. »Flüchtlingskinder haben eine Geschichte.« Ihnen gerecht zu werden, allein Vertrauen und Beziehung aufzubauen, all das leide unter den gegenwärtigen Bedingungen enorm. Die Personalschlüssel müssen endlich an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden.

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