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Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

»Das Gefühl, wenn es einfach zuviel ist«

Geruch als Kunst: Wie entwickelt man ein Parfüm für eine Ausstellung? Ein Gespräch mit Ted Rohn
Von Maximilian Schäffer
»Wenn Blumen sterben, haben sie diese seltsame Intensität in sich«: Blick in die Ausstellung »Stigma«
»Der Duft darf für sich alleine schön sein« – Ted Rohn

Ted Rohn ist Parfümeur. Der Kanadier arbeitete jahrelang im Olymp der Modeindustrie als Art Director für Gucci unter Tom Ford und Yves Saint Laurent. Seit 2017 betreibt er sein Parfümhaus namens »Raer Scents« in Berlin. Rohn arbeitet ausschließlich mit natürlichen Ölen, Harzen und Essenzen. Das unterscheidet seine Arbeit wesentlich vom synthetischen Alltag um uns herum, vom Gestank der Duschgels und Weichspüler. Für die Fotoausstellung »Stigma« der Künstlerin Pola Sieverding hat er einen Duft entworfen. Zwischen geilen Blumen, noch fleischiger als die von Robert Mapplethrope, steht ein Glasflakon. Unter einer Glasglocke dürfen Besucher auch olfaktorisch erfahren, was beide Künstler von Sex und Verfall wissen. Der Beruf des Parfümeurs ist ein phantomhafter, so wenig greifbar wie sein Material. Zur Vernissage gibt Rohn Auskunft über seine Profession und ihr Verhältnis zur Kunst.

Jimi Hendrix sah Musik als Farben. Wie übersetzen Sie Bilder in Parfüm?

In diesem Fall war der Prozess sehr unverfälscht, weil ich die Werke noch nicht kannte. Pola Sieverding hatte die finalen Fotos noch gar nicht geschossen. Wir sprachen also gemeinsam über Ideen, ihr künstlerisches Vorhaben. Das, was sie selbst aus Intentionen und Ideen in Bilder übersetzen wollte. Zwar zeigte sie mir ein paar rohe Vorversionen der endgültigen Arbeiten, aber was mich wirklich inspirierte, war dieses Exposé von ihr. Da mischten sich Impressionen von Sex und Schweiß mit Zitaten aus Jean Genets Film »Un Chant D’Amour« von 1950 mit Theorien von Staatsbürgerschaft und Eigentum. Ich fand es großartig und sehr stimulierend.

Worin unterscheiden sich Kunst und Kosmetik?

In meiner Parfümerie machen wir ein Konsumprodukt, und obwohl es wundervolle Dinge sind, die die Grenzen des Parfüms ausloten, müssen sie am Ende des Tages auch verkauft werden. So grenzt es sich übrigens auch begrifflich ab, das Parfüm ist immer am Menschen als Schmuck, gegenüber dem Duft, dem Geruch (engl. »scent«, jW). Der Kunstkontext macht mir wirklich viel Spaß, weil er keine Parameter kennt. Der Duft darf für sich alleine überwältigend und schön sein; er muss sich nur am Auftrag orientieren, nicht unbedingt an den Bedürfnissen des Endverbrauchers. Er muss nicht »tragbar« sein.

Kunst ist nicht immer schön. Muss ein Parfüm, das Kunst ist, trotzdem immer den Aspekt des Schönen in sich haben?

Wenn Sie den Duft zu Pola Sieverdings Ausstellung riechen, werden Sie feststellen, dass wir versucht haben, etwas zu kreieren, das einerseits wunderschön und andererseits scheußlich, sogar abstoßend ist. Er hat diese verschiedenen Ebenen in sich, die die Idee des Verfalls und der Fäulnis wiedergeben. Körpergeruch und Schweiß, Dinge, die man im Alltag als ekelhaft wahrnehmen mag, reiben sich an diesen eindrucksvollen Blüten. Wenn Blumen sterben, haben sie diese seltsame Intensität in sich. Wir haben uns auf diese Qualität des Überwältigenden konzentriert. Das Gefühl, wenn Geruch einfach zuviel ist, zu stark, zu penetrant. Den Eindruck, wenn man einen Raum voller Lilien betritt, die im Begriff sind zu sterben. Oder wenn in Berlin die Lindenbäume am ­Ende sind. Es füllt die Stadt regelrecht auf, und es ist irgendwie ekelerregend. Schön, aber eben zuviel. Damit spielen wir bei diesem Duft.

Könnte man ihn trotzdem auf die Haut auftragen?

Grundsätzlich könnten Sie das, aber es ist zuallererst ein Kunstobjekt. Ein sehr teures Kunstobjekt, 25 Milliliter kosten 1.250 Euro. Ein absolut einzigartiger, exquisiter Duft. Aber er ist nicht endgültig für das Wohlgefallen der Leute um Sie herum gemacht. Ganz nebenbei weiß ich nicht, ob es formal »legal« wäre, ihn auf der Haut zu tragen. Als Kunstobjekt konnten wir natürlich auf den ganzen Prozess der EU-Kosmetikrichtlinien und Tests verzichten.

In Bananencreme verwenden Konditoren die schwärzesten Bananen, die sonst niemand mehr essen würde. Das Schleimige wird zur Delikatesse. Überlistet so ein Duft die Instinkte der Menschen?

Leute kommen zu uns und haben oft diese vorgefertigten Ideen davon, was schön ist. Zum Beispiel möchten sie immer Neroli riechen, das Öl der Pomeranzenblüte. Neroli – echtes, nicht künstliches Neroli – ist an sich aber ziemlich widerlich. Es ist sehr intensiv und scharf, springt dich regelrecht an. Viele sind überrascht und sagen: »Das ist nicht, was ich meine!« Die Sache ist, dass Neroli in einem Parfüm wunderschön präsentiert sein kann, aber das bedarf der Fähigkeit des Parfümeurs, der olfaktorischen Komposition.

Der Geruchssinn gilt als der am stärksten mit Erinnerung und dem Unterbewusstsein verknüpfte. Wieso gibt es so wenig olfaktorische Kunst?

Nun, es gibt Künstler, die ausschließlich in Düften arbeiten. Dennoch glaube ich, dass Menschen im allgemeinen ihren Geruchssinn nicht wirklich zu schätzen wissen. Er wird nicht wirklich als wertvoll betrachtet. Als wir Jäger und Sammler waren, war der Geruchssinn der wichtigste von allen; er sicherte unser tägliches Überleben. Die moderne Zivilisation hat ihn sozusagen abgeschafft; er stört eher, als dass er irgend etwas bedeutet. Es ist schockierend, wie wenig viele Leute sich dieses Sinns bewusst sind, aber auch, wie schnell sie sich seiner bewusst werden, wenn sie beginnen, ihn zu trainieren.

Neben der instinktiven existiert eine intellektuelle Dimension von Geruch?

Zumindest kann es einen theoretischen oder akademischen Aspekt geben. Bei dieser aktuellen Arbeit wollte ich einen Duft kreieren, der im 19. Jahrhundert gebräuchlich gewesen wäre. Das hat wenig damit zu tun, wie wir heute über Parfüm zu denken pflegen, vielmehr mit einer Zeit, die diese brutalen Parfüms hervorgebracht hat, die wie Haut riechen. Wie menschliche Ausdünstung. Beispielsweise das berühmte Mitsouko von Guerlain, ein wichtiges Parfüm der Geschichte, es trägt diese sehr körperliche Idee von Schweiß in sich. Am Anfang fand ich das nicht per se schön. Es hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, wie anders einst der schönste Geruch der Welt definiert war. Die Rezeption des Schönen verändert sich andauernd.

Gibt es Parfüms, die Sie nicht wertschätzen können?

Zur Zeit gibt es ein extrem populäres Parfüm, welches sehr viele Leute in der Öffentlichkeit tragen – ich möchte den Namen nicht nennen –, und ich finde es widerwärtig. Jedes Mal, wenn ich die U-Bahn betrete, ist es da, und ich muss dann wirklich den Wagen verlassen, weil es so durchdringend ist, dass es mich den ganzen Tag lang bei der Arbeit behindert. Fast als würde es meine Nase zerstören. Natürlich ist es unglaublich synthetisch und unglaublich stark. Einer dieser Düfte, die den ganzen Tag lang halten und an dir bleiben sollen. In einer Art und Weise, die ich aufdringlich finde.

Welchen Status hat der Beruf des Parfümeurs heute?

Einerseits gibt es weltberühmte Kollegen, die Millionengehälter bezahlt bekommen, die wirklich Götter in der Industrie sind. Auf der anderen Seite sind da viele, die absolute Bestseller entworfen haben, Düfte, die sich millionenfach verkaufen. Trotzdem bleiben diese Menschen namenlos und gesichtslos. Wenn man für die großen Häuser arbeitet, muss man sich damit abfinden, dass man meist von Ruhm verschont bleibt. Selbst bei unserem Nischenprodukt weiß ich nicht, ob wahrgenommen wird, dass ich die Nase dahinter bin. Es ist mir aber auch nicht wichtig.

Komponisten erhalten Tantiemen, Parfümeure auch?

Bisher nicht, aber darüber gibt es im Moment eine riesige Diskussion innerhalb der Industrie. Auch, ob der Name des Schöpfers irgendwie vermerkt werden sollte. Denn viele junge Parfümeure machen sich einen Namen dadurch. Ganz im Gegenteil existieren im großen Business heutzutage immer noch Geheimhaltungsvereinbarungen, wo man nicht einmal über seine Komposition sprechen darf.

Der Parfümeur Ted Rohn arbeitete als Creative Director u. a. in London, Paris und New York,. 2017 gründete er das Parfümhaus »Raer Scents«.

www.raerscents.com

»Stigma« von Pola Sieverding, Galerie Setareh, Schöneberger Ufer 71, Berlin, bis 19. Oktober 2024

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www.setareh.com

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