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Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 4 / Inland
Brandenburg

SPD droht Zäsur

Wahlen in Brandenburg: Ministerpräsident Woidke bekräftigt Rücktrittsabsicht, sollten Sozialdemokraten Wahlsieg verpassen. AfD laut Umfragen stärkste Partei
Von Kristian Stemmler
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Für SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke wird es am Sonntag ernst (Oranienburg, 20.9.2024)

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen schaut die Bundesrepublik erneut auf eine Parlamentswahl in einem ostdeutschen Bundesland. Am Sonntag wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Seit Wochen führt in den Umfragen die AfD. Aktuell wird ein Stimmenanteil von 28 bis 29 Prozent erwartet, wie dpa am Freitag berichtete. Knapp dahinter folgen die Sozialdemokraten mit Werten zwischen 25 und 27 Prozent. Die Partei, die das Land aktuell gemeinsam mit CDU und Bündnis 90/Die Grünen regiert, hat seit 1990 bei jeder Wahl den ersten Platz belegt. Ein zweiter Platz wäre ein Novum – mit möglicherweise bundespolitischen Konsequenzen.

Auch die Regierungsbildung dürfte kompliziert werden. Der aktuelle Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen muss nach einem Rekordergebnis für Brandenburg bei der Wahl 2019 aktuell um den Einzug in den Landtag bangen. In Umfragen steht die Partei zwischen 4,5 und fünf Prozent. Die Linkspartei rangiert zwischen drei und vier Prozent und dürfte damit den Einzug in den Landtag verpassen – ebenso die FDP, die zuletzt auf zwei Prozent kam. Allein mit der CDU, die in den Umfragen aktuell bei 14 bis 16 Prozent steht, wird die SPD wohl nicht regieren können. Wie in Thüringen könnte am Ende das erstmalig in Brandenburg antretende Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die Regierungsbildung relevant sein. Die Partei kommt in den jüngsten Befragungen auf 13 bis 14 Prozent.

Als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung forderte BSW-Spitzenkandidat Robert Crumbach laut dpa ein deutliches Signal, dass Deutschland diplomatische Beziehungen für ein Ende des Ukraine-Kriegs ergreift. Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehne er ab, eine Unterstützung für einzelne Anträge sei nicht ausgeschlossen. Dort ist man indes zuversichtlich, was die Wahlen betrifft. Landeschef René Springer sagte bei einem Auftritt in Forst (Lausitz), er wolle Woidke »aus der Staatskanzlei jagen«. AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt erklärte auf derselben Veranstaltung, man habe es in der Hand, »mit diesen Schlägen die Ampel zu zertrümmern«.

Für die Kanzlerpartei könnten die Wahlen auf Bundesebene zum Desaster werden. Der amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte bereits vor Wochen erklärt, dass er im Fall eines Wahlsiegs der AfD zurücktreten werde. Das bestätigte er am Freitag im ZDF-»Morgenmagazin«. Wer in diesem Fall die SPD-Führung übernehmen wird, ist offen. Gegenüber dem Sender ntv erklärte Woidke am Mittwoch, die Wahl sei für ihn die »größte politische Herausforderung« seines »ganzen Lebens«. Gegenüber der Rheinischen Post erklärte er am Donnerstag, er blicke mit Optimismus auf den Sonntag. Dazu verwies er auf das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum Brandenburgs, die Tesla-Ansiedlung, eine Mehrheit in Umfragen, die ihn weiter im Amt sehen wolle sowie darauf, dass es der SPD schon bei der Wahl 2019 gelungen sei, die AfD auf den letzten Metern einzuholen.

Tatsächlich hat die Brandenburger SPD im Gegensatz zum Bundestrend der Partei zuletzt in den Umfragen einige Prozentpunkte zugelegt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warb am Freitag erneut für seinen Parteifreund Woidke. »Für mich ist es ganz, ganz wichtig, dass hier die gute Zukunft für Brandenburg weiter vorangeht«, sagte er der dpa. Das Land habe ein »riesiges Wirtschaftswachstum – und das hat ganz viel mit Dietmar Woidke zu tun«.

Ein zweiter Platz für die SPD und der Rücktritt Woidkes könnte die Debatte über Scholz’ Eignung als SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl in einem Jahr anheizen. Vergangene Woche hatte bereits der frühere SPD-Parteichef Franz Müntefering gegenüber dem Tagesspiegel erklärt, die Frage der Kanzlerkandidatur sei offen, und SPD-Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gelobt. Wenige Tage später tat es ihm der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter gleich. Pistorius selbst erklärte am Donnerstag abend bei einer Veranstaltung der Zeit in Hamburg zum Thema Kanzlerkandidatur, den Glauben, »einer könnte der Messias sein oder eine«, den halte er »für einen Irrglauben«.

Sollte es der SPD doch gelingen, die AfD zu überholen, dürfte der Erfolg der Beliebtheit des Ministerpräsidenten Woidke zugerechnet werden – sowie der Tatsache, dass er konsequent auf die Wahlkampfhilfe von Kanzler Olaf Scholz verzichtet und in der Migrationspolitik einen noch härteren Kurs als die Bundesregierung verfolgt hat. So beschloss er nach dem Messerangriff in Solingen Ende August mit den Brandenburger Landräten eine »11-Punkte-Erklärung«, nach der untergetauchte abgelehnte Asylsuchende immer zur Fahndung ausgeschrieben werden sollten. Auch die pauschale Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze wird in der Erklärung befürwortet.

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