»Wer schweigt, ist Mittäter«
Von Helga Baumgarten, JerusalemDie Riverside-Kirche in New York, ein historisch bedeutsamer Ort. Hier hat Martin Luther King Jr. am 4. April 1967 seine Predigt gegen den Vietnamkrieg gehalten: »Beyond Vietnam: A Time to Break Silence.« (Jenseits von Vietnam: Wir müssen das Schweigen brechen). 57 Jahre später fordert ein palästinensischer Pfarrer dasselbe und klagt an: »Wer schweigt, ist Mittäter.«
Es ist derzeit nicht einfach, aus Jerusalem nach Bethlehem und nach Beit Sahur zu fahren, um Pfarrer Munther Isaac zu treffen. Immer wieder steht man vor Betonblöcken oder abgeschlossenen Schranken, die einen am Weiterfahren hindern. Aber nach mehreren Versuchen sind wir in Bethlehem angekommen, wo der Pfarrer an der evangelischen Weihnachtskirche und an der evangelischen Kirche in Beit Sahur wirkt.
Munther Isaac ist mit seiner Weihnachtspredigt 2023 berühmt geworden. Darin klagt er die Welt, vor allem die christliche Welt, wegen ihres Schweigens zum Gazakrieg an. Die Predigt endet mit dem Satz, den er seinen Zuhörern regelrecht einhämmert: »Diese Botschaft ist unsere Botschaft an die Welt von heute, und sie lautet einfach: Dieser Völkermord muss jetzt aufhören!« Isaac formuliert deutlich und hält seine Kritik nicht zurück. Denn der Westen inklusive der westlichen Kirchen unterstützt Israels Völkermord auf allen Ebenen: militärisch durch immer neue Waffenlieferungen, finanziell und ideologisch. Das Problem ist, so Munther Isaac, der westliche Kolonialismus, der Rassismus gegenüber allen Nichtweißen, »white supremacy« sowie die vorbehaltlose Unterstützung einer jeden israelischen Regierung und ihrer »Politik« gegenüber den Palästinensern mit Siedlerkolonialismus und Apartheid.
Eben dagegen kämpft der Pfarrer, der sich selbst als »arabischer palästinensischer Christ« definiert: in seinen Predigten, in Vorträgen per Zoom und auf Reisen, in den vielen Büchern, die er schon geschrieben hat. Aktiv ist er nicht nur individuell, sondern vor allem in zwei »Organisationen«: In Kairos Palästina, die 2009 mit der Erklärung »A Moment of Truth« (Ein Moment der Wahrheit) gegründet wurde und in Sabeel, dem Ökumenischen Zentrum für Befreiungstheologie, der palästinensischen Version der Befreiungstheologie Lateinamerikas. Beide Organisationen unterstützen die gewaltlose Initiative BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen). In Deutschland und in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) treffen sie auf heftige Kritik. Jeder Dialog, jede Auseinandersetzung darüber wird abgeblockt, gekoppelt mit der Verleumdung der palästinensischen Christen als Antisemiten.
Gerade den deutschen, europäischen und US-amerikanischen Christen werde offensichtlich nicht bewusst, dass sie die Palästinenser von oben herab behandeln. Isaac kritisiert, dass die offizielle Kirche sich anmaßt, den palästinensischen Christen theologische Nachhilfe zu geben und ihnen »erklärt«, wie sie ihre Unterdrückung durch den Zionismus und den israelischen Siedlerkolonialismus »verstehen« müssen. Während der derzeitige US-Präsident Joseph Biden sich offen als Zionist bekennt, habe es den Anschein, dass auch die Deutschen – Regierung und etablierte Medien ebenso wie die offizielle Kirche – Zionisten in ihrer Politik, in ihrem Handeln und in ihrer Ideologie sind. Das sei schon seit Jahren unerträglich für Palästinenser.
Seit dem Beginn des Krieges gegen Gaza und der erbarmungslosen Zerstörung des Küstenstreifens, sind palästinensische Christen wie Munther Isaac und Organisationen wie Kairos Palästina und Sabeel nicht mehr bereit, dies stillschweigend hinzunehmen. Und die Welt hört sie, denn sie »reden und schreiben ununterbrochen gegen den Krieg, gegen den Völkermord und fordern zumindest einen Waffenstillstand«, so Isaac. Doch bis heute seien sie damit gescheitert. »Die israelische Armee kann ihren Völkermord ungehindert weiterführen. Die Waffen schweigen nicht. Und die Welt und die Kirchen schauen zu!«
Dies ist der zwölfte »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten. Brief elf über Erzbischof »Abuna« erschien in der Ausgabe vom 14. September
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