»Es passiert eine schleichende NATO-Annäherung«
Interview: Dieter ReinischSie sind Mitorganisator der für diesen Sonnabend geplanten Demonstration in Wien gegen den Krieg in der Ukraine und den Gazakrieg. Wieso treibt Sie das auf die Straße?
Das Bündnis »Stimmen für Neutralität: Gemeinsam für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit« sieht sich in der Tradition der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Damals ging es gegen die massive Hochrüstung und die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa im West-Ost-Konflikt. Heute sind wir weltweit mit so vielen kriegerischen Auseinandersetzungen konfrontiert wie seit langem nicht mehr.
Der Ukraine-Krieg und die Konfrontation in Nahost sind vor dem Hintergrund neuer Blockbildung, eines sich dynamisierenden neuen West-Ost-Konflikts mit einer einhergehenden drastischen Hochrüstung zu sehen. Beide Konflikte bergen das Potential nuklearer Eskalation in sich. Es geht uns darum, am »Weltfriedenstag« Waffenstillstand, Diplomatie und Friedensverhandlungen sowie die Unteilbarkeit des Völkerrechts einzufordern und gegen Kriegstreiberei in Politik und Medien aufzutreten.
Wie ist Österreich an diesen Konflikten beteiligt?
Obwohl Österreich völkerrechtlich und verfassungsrechtlich neutral ist und daher nicht direkt an Waffenlieferungen beteiligt sein darf, ist unser Land politisch und finanziell über die EU-Schiene sehr wohl involviert. Seien es nun Durchfuhren von Waffenlieferungen durch österreichisches Territorium oder NATO-Truppentransporte, die – nicht erst seit der Eskalation des Ukraine-Krieges – unter Nutzung österreichischer militärischer Infrastruktur abgewickelt werden. Auf politischer Ebene unterstützen österreichische EU-Parlamentsabgeordnete Resolutionen für Hochrüstung und Kriegführung, anstatt dort für Deeskalation und Diplomatie das Wort zu ergreifen. In der UN-Vollversammlung stimmte Österreich mehrmals gegen einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und die Verurteilung des Vorgehens des israelischen Militärs. Beides ist für ein neutrales Land skandalös.
Die Forderungen Ihres Bündnisses richten sich auch gegen die NATO. Wie ist das Verhältnis Österreichs zu der Kriegsallianz?
Unser Bündnis steht sowohl gegen eine weitere NATO-Annäherung Österreichs als auch gegen die Einbeziehung unseres Landes in die EU-Militarisierung, die nun Fahrt aufnimmt. Österreich wurde in den letzten 30 Jahren Schritt für Schritt an die NATO an- bzw. in die EU-Militarisierung eingebunden. Über die NATO-Partnerschaft für den Frieden, kurz PfP, über die Teilnahme am »Strategischen Kompass« der EU und Pesco beziehungsweise die Teilnahme an der »Schnellen EU-Eingreiftruppe« bis hin zur noch zu beschließenden österreichischen Sicherheitsstrategie, die eine »volle Ausschöpfung der Kooperationsmöglichkeiten mit dem Partner NATO« vorsieht.
Sie fordern die Beibehaltung der Neutralität.
Die Neutralität ist ein Resultat und eine Erkenntnis aus zwei verheerenden Weltkriegen und dem Nazifaschismus. Sie ist eine Säule unserer 2. Republik. Eine ernsthaft gelebte Neutralität zusammen mit einer aktiven Friedenspolitik ist der beste Beitrag, den ein Kleinstaat für eine kooperative Weltordnung des Ausgleichs und der Koexistenz bieten kann. Das heißt aber, dass man Neutralität realpolitisch leben und sich der Einbindung in politisch-militärisches Blockdenken entziehen muss, um auch ernst genommen zu werden. Für uns ist hierbei die Kreiskysche Politik der 70er und 80er Jahre sicher ein Orientierungspunkt.
Ist das überhaupt ein Thema im aktuellen Nationalratswahlkampf?
Leider weniger, als uns lieb wäre. Offiziell fordert keine der etablierten Parteien den weiteren Abbau der Neutralität – mit Ausnahme der neoliberalen Neos, die sich Österreich in einer EU-Armee vorstellen können oder mit einer NATO-Option liebäugeln. 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung stehen hinter der Neutralität, eine große Mehrheit ist für Waffenstillstand und Frieden.
David Stockinger ist Mitorganisator des Bündnisses »Stimmen für Neutralität« und Vorstandsmitglied der »Solidarwerkstatt Österreich«
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