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Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
75 Jahre DDR

»Eine ähnliche Debattenkultur gibt es heute nicht«

Über Interesse an der DDR als Jugendlicher, die Beschäftigung mit ihrem theoretischen Nachlass und warum der gestaltete Raum im Sozialismus Reichtum ist. Ein Gespräch mit Martin Küpper
Interview: Arnold Schölzel
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Berlin bekommt sein Wahrzeichen: Die Baustelle des Fernsehturms am Alexanderplatz Ende der 1960er Jahre

Sie wurden 1989 geboren, noch in der DDR, haben sie also nicht mehr erlebt. Heute beschäftigen Sie sich beruflich intensiv mit ihr. Wie entstand dieses Interesse?

Das war vermittelt durch Eltern, Schule und die ganze Umgebung. Ich komme aus Werder an der Havel in der Nähe von Potsdam. Das war seit langem und ist heute wieder beliebtes Ausflugsziel für Berliner. Aus Werder kamen schon zu Kaisers Zeiten Obst und Gemüse für die Metropole – ich erinnere mich an große Transportkähne. Dazu kam Obstwein, heute auch wieder Traubenwein, der auf dem »Baumblütenfest«, das jährlich Ende April beginnt, in gewaltigen Mengen an Hunderttausende Besucher, die in zumeist restlos überfüllten Sonderzügen anreisen, ausgeschenkt wurde und wird.

Das habe ich immer gemieden, und es hat hoffentlich nicht Ihre Kindheit geprägt.

Ein Volksfest im schlechten Sinn. Für Jugendliche in Werder war es eine Art Initiationsritus: zum ersten Mal betrunken. Das geht seit mehr als 140 Jahren. Ich fand das in den 2000ern, als ich es bewusst wahrnahm, nur unangenehm: Die Leute sind nach einer Flasche Obstwein umgefallen, dazu ein riesiges Polizeiaufgebot und ständig Prügeleien. Wer nicht »deutsch« aussah oder als Linker bekannt war, musste ständig damit rechnen, eine reingehauen zu bekommen. Wegen Corona fiel es einige Male aus, die Besucherzahlen sind rückläufig, und viele Besucher gehen gleich in die Obstgärten, die in der Blütezeit einfach toll aussehen.

Sie haben 2008 in Werder Abitur gemacht. Welche Rolle spielte die DDR auf dem Gymnasium?

Mein Vater hat bereits viel aus der DDR erzählt, und später hatte ich Lehrer, die sie erlebt hatten und nicht gegen sie eingestellt, sondern aufgeschlossen waren. Ich hatte einen Deutschlehrer, der als Student ziemlich rebellisch gewesen war und uns nun sagte: »Ihr müsst wissen, wie der Alltag ablief: Wie bekam man eine Wohnung, ein Stipendium?« Er hat ein Jahr lang nach dem regulären Unterricht eine Stunde dazu angeboten. Im nachhinein finde ich die ganze Atmosphäre erstaunlich: Es wurde beim Thema DDR nicht zuerst ein Bekenntnis gegen sie verlangt. Die Haltung war vielmehr: Da gab es etwas, was jetzt verschüttet wird, das müssen wir erst einmal kennenlernen. Das färbte sogar auf die Lehrer ab, die aus dem Westen kamen, und änderte sich erst ein wenig, als junge Lehrer von den Hochschulen kamen.

Spielte die DDR-Literatur eine ­Rolle?

Wir haben zum Beispiel Ulrich Plenzdorf gelesen – wahrscheinlich außerhalb des Lehrplans. Es gab aber auch starke Ablehnung gegen aktuelle Literatur: Alles Schrott, wir lesen Goethe. Aber der Lehrer, der das gesagt hatte, kam 2008 zu mir und erzählte, er sei 1989/1990 mit dem Auto herumgefahren und habe weggeworfene Bücher eingesammelt: »Martin, wenn du Marx, Engels, Lenin lesen willst, kannst du alles von mir bekommen.« Ich habe dort rasch mitbekommen: Die wehren sich gegen das Vergessen, gegen das Schnell-Drüberbügeln.

Und dieser Lehrer kannte Ihre ­Interessen?

Wir hatten einen Geschichtslehrer, in dessen Unterricht wir als 14-, 15jährige zu politisieren anfingen. Als 2003 der Irak-Krieg begann, wurden zum Beispiel ständig Debatten über das Verhältnis Deutschlands zu diesem Krieg unter uns und bei Moderation von Lehrern geführt. Damals begann ich, mich mit Marx, Engels, Lenin und marxistischer Philosophie zu beschäftigen, soweit es möglich war. Mein Interesse wurde nie unterbunden, im Gegenteil war zu hören: Ach, ist ja interessant. Eine Lehrerin, die CDU-Mitglied war, schenkte mir zum Abitur einen Band mit Marx-Zitaten, ein anderer bekam ein Buch mit Adam-Smith-Sätzen.

Waren Sie der einzige Schüler, der solche Interessen hatte?

Nein, es gab auch andere, die sich aber mehr für die Kritische Theorie interessierten, das waren Antideutsche oder lokale Antifa. Parteien, etwa die damalige PDS, zogen junge Leute nicht an, Jugendorganisationen gab es nicht. Ich war einmal während des Vereinigungsprozesses von PDS und WASG 2006/2007 bei einer Sitzung des PDS-Ortsverbandes und wurde sehr freundlich aufgenommen. Aber dann wurde aus irgendwelchen Referaten vorgelesen und erklärt: Da sind unsere Argumente für den Sozialismus. Das fand ich arm und unattraktiv. Ich wurde aber durch Lehrer, die in der DDR studiert hatten, angeregt, VVN-Mitglied zu werden und war im Mauthausen-Komitee aktiv.

Werder hat nach meiner Erinnerung seit 1990 mehrheitlich stets für die CDU gestimmt? Woher kommt diese konservative Einstellung?

Das steht schon bei Fontane. Sinngemäß: Der Werderaner ist gegenüber Neuerungen feindlich eingestellt, Kinder werden nicht erzogen, sondern müssen auf dem Feld arbeiten, es gibt ein großes Maß an Engstirnigkeit und Starrsinn. Ich würde sagen, davon hat sich etwas erhalten.

Dabei gab es keinen preußischen Junker, kein Rittergut im Ort – oder doch?

Es gab zwar keinen Großgrundbesitz, aber Militär. Nach 1990 brachte der Umzug der Bundesregierung nach Berlin großen Auftrieb. Beamte aus der zweiten und dritten Reihe erwarben Grundstücke und Häuser; das hat die Sozialstruktur stark verändert. An meinem Gymnasium waren Kinder von Bundeswehr-Offizieren oder Parlamentariern. Ich erinnere mich, dass ein Vater, der EU-Abgeordneter war, uns erklärte, warum Hartz IV völlig in Ordnung sei. Ein anderer, der als General 2006 den Bundeswehr-Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo zur Wahlabsicherung geleitet hatte, ließ durchblicken, solch eine Expedition sei nötig, damit Bundesrepublik und EU in solchen Weltgegenden einen Fuß in der Tür behalten. So ist Werder jetzt ein Teil des Berliner Speckgürtels.

Mussten Sie zur Bundeswehr?

Ich gehörte zu einem der letzten Jahrgänge, die eingezogen wurden, und leistete Ersatzdienst auf dem Friedhof Potsdam-Bornstedt. Dort hatte ich wieder ein Erlebnis zum Thema DDR, das mich beeindruckt hat. Auf dem Friedhof verdiente sich ein Rentner etwas hinzu, obwohl er körperlich kaum noch zur Arbeit in der Lage war. Er erzählte oft von Bombennächten im Zweiten Weltkrieg und machte scharfe Gegensätze auf: »Es ging mir in der DDR besser, der Zusammenhalt unter den Leuten war gut, während jetzt Feindseligkeit herrscht.« Er lobte das DDR-Gesundheitswesen und war der Auffassung, nach der Zerstörung durch den Krieg sei die DDR genau das Richtige gewesen.

Wie kamen Sie zum Philosophiestudium?

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Martin Küpper

Ich hatte inzwischen viel von Marx, Engels und Lenin gelesen und nahm zum Beispiel am Fernstudium der Zeitschrift Offensiv zum historischen und dialektischen Materialismus teil. Ich habe mich dann für Philosophie und Geschichte an der Universität Potsdam eingeschrieben, weil mich das am meisten interessierte.

Ist aber brotlos.

Da gibt es Konflikte. Ich bin der erste aus der Familie, der studiert hat, und dann trifft man an der Uni auf Leute, die von zu Hause allerhand mitbringen, die wissen, wie eine Debatte funktioniert, wie man sich in Diskussionen durchsetzt. Akademikerkinder haben das häufig intus. Entscheidend war, dass ich Hans-Joachim Petsche kennenlernte. Er hatte 1978 an der damaligen Pädagogischen Hochschule Potsdam als marxistischer Philosoph mit einer Arbeit über den Mathematiker Hermann Graßmann promoviert und sich 1985 habilitiert. Zu mir sagte jemand: Petsche ist Materialist, geh mal zu ihm, er bietet formale Logik an. Also ein Philosoph aus der DDR, der überlebt hatte.

Das war ein Knaller. Da ging es nicht etwa um Kants Ethik, sondern um »Technikphilosophie und Marxismus«. Und da las man eben Gerhard Banse, noch einen Philosophen aus der DDR. Petsche unterstützte andere und mich bei der Organisation einer Dialektikreihe, zu der wir Gastprofessoren einluden. Das war ein Riesenerfolg.

Es gab im Studium auch heftige Diskussionen mit Studenten, die beim Stichwort Marxismus sofort mit ML oder Stalinismus kamen und für die es Marxisten nur westlich der Elbe gegeben hatte. Ich fand toll, dass die Bibliothek voll mit philosophischer Literatur aus der DDR war. Die wird nirgends erwähnt, aber dann fängt man an zu lesen, versteht zunächst vieles nicht, weil der Kontext fehlt, aber meine Erfahrung war: Das ist verständlich. Wenn ich heute an der Uni Kiel ein Seminar gebe und zum Beispiel Texte von Erich Hahn zu lesen aufgebe, höre ich: Ist verständlich – auch wenn ich nicht einverstanden bin. Und diese Studenten sind so alt wie ich damals. Heutige Philosophen verwenden viele Wörter darauf, um einen Gedanken nicht auszudrücken. Im Marxismus-Leninismus ist der Anspruch ein anderer, und auch die Rolle von Philosophen ist eine ­andere.

Dann gibt es Zufälle: Irgendwann bin ich auf Peter Hacks gestoßen, auf die Peter-Hacks-Gesellschaft, auf Hans Heinz Holz und auf Ernst Bloch. Die Erfahrung war: Da gibt es etwas, was nicht en vogue ist, was aber ausgearbeitet ist, was gut ist, wo es viel zu entdecken gibt, weil es Niveau hat. Auch in dieser Hinsicht ist die DDR ein unentdecktes Land.

Die Beschäftigung damit findet im heutigen akademischen Betrieb nur in einer Nische statt?

So ist es, obwohl da große Fragen aufgeworfen werden: Den Sozialismus hat es gegeben, und er war bedeutend. Zuerst wäre daher zu klären, was da war. Und nicht zuerst: Wie stehst du dazu? Aber genau diese Frage nach dem Was wird abgelehnt, auch von seiten linker Studenten. Da driftet man sehr schnell ins Moralische ab. Noch weniger als über die DDR wissen sie über andere sozialistische Länder, über deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Neues hat sich mir durch Zufälle erschlossen. Ich las zum Beispiel eines Tages den Namen des Philosophen Lothar Kühne, besorgte mir seine Bücher antiquarisch – die kosteten so gut wie nichts –; es war wie eine Offenbarung, das heißt, zuerst verstand ich gar nichts. Aber dann gibt es solche Aha-Momente. Ich war damals zum Studium in Norwegen und las in Kühnes »Gegenstand und Raum« von 1981 die Begründung, warum man Ästhetik braucht, und zwar so praktisch, wie es praktischer nicht geht. Beispiel: Wir bauen eine Zufahrtsstraße mit Wohnhäusern zu einer Stadt. Auf welche Seite kommen die Balkone? Die Entscheidung darüber ist nicht pragmatisch, sondern ist auf der Grundlage ästhetischer Maßstäbe, die wir zu entwickeln haben, zu treffen. Das ist die Aufgabe von Ästhetikern oder Philosophen. Das ist nicht brotlose Kunst. Der Kapitalismus braucht keine Philosophie, daher das Wehklagen der Philosophen an den Hochschulen über ihre Bedeutungslosigkeit. Allerdings benötigt die Philosophie den Kapitalismus.

Ich dachte damals: Da ist in der Theorie ihre Praktikabilität schon angelegt. Und angelegt ist auch, dass jede und jeder in diesem Sinn dazu befähigt wird, philosophisch zu denken.

In der Philosophie ist immer schon das Gesellschaftliche angelegt und damit das Allgemeine?

Es ist nicht nur so, dass es im Marxismus-Leninismus Koryphäen gab beziehungsweise bessere und schlechtere Denker wie überall; sie sind vor allem Teil eines gesellschaftlichen Ganzen, weil sie nämlich für die Praxis diskutiert haben. Als ich mich entschloss, meine Doktorarbeit über Kühne zu schreiben, entdeckte ich, wie scharf und entschieden diskutiert wurde. Beispiel: In der DDR-Zeitschrift Deutsche Architektur fand in den 50er und 60er Jahren eine Kontroverse über die Frage »Was bedeutet die Industrialisierung des Bauwesens für die Architektur?« statt. Was bedeutet das für den Sozialismus, für Städteplanung? Wie kann das so gestaltet werden, dass es wirtschaftlich ist, aber ohne monoton zu sein? Die Rubrik hieß »Die Diskussion geht weiter«. Bei diesen Debatten waren Philosophen dabei. Verfechter des industriellen Bauens war der Schweizer Architekt Hans Schmidt (1893–1972), der in den 30ern in der Sowjetunion gearbeitet hatte und 1956 als Hauptarchitekt an das Institut für Typung in der DDR-Hauptstadt ging. Er war ein Verfechter des industriellen Bauens. Und da gab es Jungspunde wie Kühne, die solch einen erfahrenen Mann mit ausgefeilten Argumenten angriffen – mit offenem Visier. Mir soll keiner mehr erzählen, dass es da nur Statisches, Totes und Langeweile gab. Beim bloßen Nacherzählen einer solchen Debatte merkt man: Eine ähnliche Kultur gibt es heute nicht.

Weil sie mit dem Profitprinzip nicht vereinbar ist?

Absolut. Ich machte jedenfalls ähnliche Entdeckungen in den verschiedensten Bereichen der DDR: überall spannendste Debatten. Da rangen Leute darum, Dinge so zu gestalten, dass der Sozialismus gesichert wird, dass es weitergeht. Das ist ein riesiges Forschungsfeld.

Und wieder ein Zufall. Ich hielt einen Vortrag über Walter Benjamin, und jemand fragte mich, ob ich nicht in Cluj in Rumänien sprechen wolle. Ich hatte viele Einwände – keine Zeit, noch nie einen Vortrag auf englisch gehalten, und es war dunkler November –, aber auch Sätze von Holz oder Bloch im Kopf: Wenn dir jemand so eine Chance bietet, sag niemals nein. Ich sitze also auf der Tagung, es sind Leute aus Polen, Tschechien, Rumänien, Ungarn und Serbien da, und das Erlebnis ist: Es gibt hier keinen Antikommunismus, obwohl nicht alle Marxisten sind.

Ich spreche über Kühne und Funktionalismus, andere stellen Thesen über Wissenschaftstheorie und Futurologie vor. Alle sind aneinander interessiert, und die Frage als Eintrittsbillett, wie ich mich zum Sozialismus verhalte, gibt es nicht. Wir haben dort beschlossen, EU-Mittel für ein Forschungsvorhaben zu beantragen: »Philosophie im Spätsozialismus«. Die Idee dahinter: Wie wurde in den sozialistischen Ländern theoretisch zur Krisenbewältigung gearbeitet? Ich habe festgestellt: In den sozialistischen Ländern wurde alles thematisiert. Hinzu kommt: Die Leute aus diesen Ländern sind zum Teil besser ausgebildet als unsere hier. Sie arbeiten seit vielen Jahren an diesen Fragen, auch unter der Bedingung von Antikommunismus; das ist alles nicht geradlinig, aber sie sprechen zum Beispiel mehrere Sprachen. Wenn sie in Westeuropa studieren, merken sie, dass sie keine Jobs bekommen, gehen also wieder zurück und beginnen eigene Forschungsvorhaben. Eine Folge: Vor drei Wochen fand in Cluj die größte Marxismustagung in Osteuropa seit 1989 unter der Überschrift »Historical Materialism. Polycrisis across Divides« statt – 230 Vorträge in drei Tagen. Der Entwicklungsstand dort ist höher als hier, es gibt ein wohlwollendes Interesse am Marxismus. In Deutschland werden der historische Sozialismus und die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln marginalisiert, dort nicht.

Was bleibt?

Der Raum als Genosse. Im Sozialismus hat sich der gesellschaftliche Reichtum gewandelt – vom Dinglichen hin zum Räumlichen. Der kommunistische Reichtum ist der gestaltete Raum. Darüber hat Kühne gearbeitet: die Gestaltung von Raum im Interesse der Gesellschaft und der Individuen. Das begann in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern, und das bleibt. Heute suchen in der EU täglich schätzungsweise 700.000 Menschen eine Unterkunft – die Zahl steigt, und die der Obdachlosen in der BRD ist nahezu unbekannt.

Martin Küpper geboren 1989, ist Philosoph und lebt in Berlin. Er studierte Philosophie und Geschichte in Potsdam, Berlin und Bergen in Norwegen. Er veröffentlichte Schriften zur Geschichte und Theorie des Materialismus, zur Philosophie und Formgestaltung in der DDR, zu Hans Heinz Holz und Ernst Bloch. Gegenwärtig arbeitet er an einer Dissertation über den kommunistischen Philosophen Lothar Kühne (1931–1985). Am 5. Oktober spricht Martin Küpper auf der jW-Veranstaltung zum 75. Gründungstag der DDR im Berliner Kino »Babylon«

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  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (24. September 2024 um 14:26 Uhr)
    Die Aussagen im Interview haben meine volle Unterstützung. Gerade vor dem 75. Jahrestag der Gründung der DDR erfüllt es mich mit großem Stolz, in der Nationalen Volksarmee der DDR gedient zu haben. Einer Armee, die nicht einen einzigen Schuss im Krieg abgegeben hat.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (23. September 2024 um 11:03 Uhr)
    »Ich war damals zum Studium in Norwegen und las in Kühnes ›Gegenstand und Raum‹ von 1981 die Begründung, warum man Ästhetik braucht, und zwar so praktisch, wie es praktischer nicht geht. Beispiel: Wir bauen eine Zufahrtsstraße mit Wohnhäusern zu einer Stadt. Auf welche Seite kommen die Balkone?« Was wäre die Welt ohne geniale Philosophen. Wir würden doch glatt die Balkone auf die falsche Seite bauen. »Verfechter des industriellen Bauens war der Schweizer Architekt Hans Schmidt (1893–1972), der in den 30ern in der Sowjetunion gearbeitet hatte und 1956 als Hauptarchitekt an das Institut für Typung in der DDR-Hauptstadt ging. Er war ein Verfechter des industriellen Bauens. Und da gab es Jungspunde wie Kühne, die solch einen erfahrenen Mann mit ausgefeilten Argumenten angriffen – mit offenem Visier«. Jetzt wäre interessant gewesen, warum Kühne den »Verfechter des industriellen Bauens« angriff. Was waren die »ausgefeilten Argumente«? Meines Wissens war das industrielle Bauen in der DDR eine absolute Notwendigkeit um möglichst schnell möglichst viele Wohnungen zu Verfügung zu stellen. Aber es kommt noch besser. In Kühnes ›Gegenstand und Raum‹ steht zu lesen: »Wenn heute den Proletariern angeboten wird, im Interesse der Umwelt vom Auto, wenn sie hierüber verfügen, aufs Fahrrad umzusteigen, so ist hier dem Bedürfnis eine Richtung gesetzt, die nicht die Umwelt entlastet, sondern gefährdet. Und das allein dadurch, dass solche Angebote durch Personen, die vorgeben, der Arbeiterbewegung nahezustehen, den Bewegungsraum des Kapitals erhöhen«. Der Proletarier gefährdet also durch den Verzicht auf das Auto die Umwelt und erhöht den Bewegungsraum des Kapitals. Darauf muss man erst mal kommen. Der Proletarier, der nicht gezwungen ist, dreißig bis fünfzig Tausend Euro für eines dieser Blechkisten hinzulegen, erhöht bzw. erhält sich zunächst einmal den eigenen finanziellen Spielraum.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (22. September 2024 um 12:10 Uhr)
    Die Menschen aus den sozialistischen Ländern spüren sehr genau den Verlust des von ihnen damals selbst gestalteten Raumes (der aus heutiger Sicht tatsächlich ein reicher war), der territorialen Wirtschaft, der flächendeckenden materiellen wie sozialen Versorgung - weil es tatsächlich ein Verlust war und ist! Die BRD ist nicht in der Lage und willens das auch nur anzuerkennen, die Westdeutschen wissen nichts über die DDR - wie sie wirklich war. Alles erschöpft sich in Glaubenssätzen und in Negationen. So sind die Wahlergebnisse, wie sie eben sind (wenn oft auch nur Protest). Dass die Linkspartei keinen Stich mehr macht, liegt auch daran, dass sie ihr eigenes intellektuelles Erbe ausgeschlagen und an die westliche liberale Moderne (die abstirbt) angedockt hat und also auch abstirbt. Die gesamte europäische und westliche Orientierungslosigkeit und das devastierte bis gewalttätige politische Klima resultieren aus dem Verlust an relevanter gesellschaftlicher Analysenfähigkeit, umfassender Bildung und völlig fehlendem tatkräftigem organisiertem Handeln und damit dem völlig fehlendem Willen die Defizite tatsächlich überwinden zu wollen (ohne blinden Aktionismus und blöde hybride Appellationen an den vermeintlichen Plebs - wie es die »linke« Blase so gern hat). Der dialektische Materialismus wäre ein gutes Instrument der Analyse wie auch der Veränderung selbst. Er ist unverzichtbar! Er schützt aber auch nicht vor kardinalen Fehlern... wir waren schon einmal weiter...
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (22. September 2024 um 11:05 Uhr)
    Der Verlust ist groß mit dem was mit der DDR hier unterging (ich spüre ihn immer deutlicher mit nunmehr 52 Lebensjahren). Theorie und Praxis standen in einem produktiven Wechselverhältnis, zu Ulbrichts Zeiten in den 60igern noch mehr als später. Der Apparat dazu war vergleichsweise hochentwickelt und bildungstechnisch abgesichert. Die 80iger Jahre waren aufgrund der Polykrisen (Überschuldung, Energie, Aufrüstung, zu wenig Investitionen) schwierig und alle Lösungsansätze scheiterten. Aber die Entwicklungstendenzen sind sehr viel spannender, als das heute scheint. Die südosteuropäischen Länder haben noch viel größere Defizite (politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich) seit der Epochenwende 1989 entwickelt. Dort ist der Nationalismus nur ein schwacher Ersatz für die sozialistische Epoche wie auch die imperiale Epoche bis 1914. Das gilt für Russland ebenso wie für alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Mit ihr und dem europäischen und Weltsozialismus ist viel mehr als nur der real existierende Sozialismus »verschwunden«. Es macht sich Stagnation und Geistlosigkeit breit, Stadt- und übergreifende Raumplanung finden nicht mehr statt. Integrierte Systeme (technisch wie gesellschaftlich) sind weder denkbar noch möglich, obwohl das die originäre Aufgabe der EU wäre. Ästhetik spielt überhaupt keine Rolle mehr. Eine Flucht in den Romantizismus ist bemerkbar. Die westliche liberale Moderne hat nichts zu bieten außer hyperindividuellem Schwachsinn, ohne jede Perspektive und ohne Willen und Wollen für eine nachhaltige lebenswerte Gegenwart und Zukunft, ihr Menschenbild ist zutiefst defizitär. Alternativen sind dringend notwendig. Eine Titanenaufgabe mit unglaublicher Anstrengung und Arbeit. Die heutige »Linke« ist dazu m. E. nicht in der Lage. China scheint diese Probleme besser zu bewältigen. Dort scheint es eine fruchtbare Verbindung von Theorie und Praxis zu geben, Try and Error ist auch nicht die schlechteste Variante. Ich habe mich sehr über diesen Text gefreut!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gerhard R. H. aus Halberstadt (28. September 2024 um 09:36 Uhr)
      Dass dieses System weder Willens noch in der Lage ist, die Dialektik als Analyse der gesellschaftlichen Situation im krisengeschüttelten Kapitalismus anzuwenden, ist aus Sicht der »Eliten« völlig nachvollziehbar. Dem krankenden Kapitalismus in all seinen Erscheinungsformen einer ernsthaften Analyse zu unterziehen, will heißen, die Dinge, Prozesse und Erscheinungen objektiv zu betrachten, sie im Zusammenhang und in ihrer Entstehung und Entwicklung zu sehen, sie konkret historisch einzuordnen, würde bedeuten, dass diese »Eliten« in Gestalt von sogenannten »Denkfabriken« gewillt wären, an eben diesem System, bestehend aus Lüge, Ausbeutung, Korruption, Heuchelei und Demagogie entscheidende, um nicht zu sagen, grundlegende, Änderungen vorzunehmen. Genau das ist es, was aus deren Sicht nicht geschehen darf. Deshalb wird (fast) jedwede Diskussion rein oberflächlich und nach dem Motte: »Wasch mich, aber mach mich nicht naß« geführt. Was dann maximal zu erwarten und im Ergebnis dessen immer wieder festzustellen ist, dass im politischen »Handeln« immer nur an der Wirkung herumgedoktert, niemals jedoch an die Ursachen der Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaft gegangen wird. Man gibt den Obdachlosen eine »Wärmestube« oder fährt im Winter mit einem »Kältemobil« zu ihnen, bietet den Drogensüchtigen Räume an, in denen sie sich mit »sauberem Besteck« etc. ihr Heroin spritzen dürfen, währenddessen die »Tafeln« für die Ärmsten der Armen in Deutschland immer länger werden, so dass selbige teilweise nicht mehr genügend Nahrungsmittel auftreiben können, um die größte Not im, ach so reichen Deutschland, lindern zu können. Wer sich auf diese oder jene Weise mit dem dialektischen und historischen Materialismus beschäftigt hat, weiß, dass diese Widersprüche im Kapitalismus nicht lösbar sind, dies, wie bereits erwähnt, auch nicht gewollt ist, was sich in dem völlig wirklichkeitsfremden Spruch zeigt, dies sei das »beste Deutschland aller Zeiten«.

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