»Die Anklagen sind systematisch«
Interview: Yaro AllisatIm August 2021 wurde Homayoun Sabetara, ein Geflüchteter aus dem Iran, in Griechenland wegen Schmuggels festgenommen. Am Dienstag findet eine Verhandlung in Thessaloniki statt. Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?
Homayoun wurde ein Jahr nach seiner Festnahme zu 18 Jahren Haft verurteilt. Zwei weitere Jahre musste er auf seinen Berufungsprozess warten, der im April 2024 um fünf Monate verschoben wurde, weil der einzige Zeuge der Anklage nie vor Gericht geladen wurde. Homayoun wollte nach Deutschland kommen, wo auch seine Kinder leben. Anders als diese erhielt er aber kein Visum, um einzureisen. Er begab sich deshalb von Iran aus zuerst in die Türkei und von dort nach Griechenland. Um von dort weiterzukommen, war er gezwungen, ein Auto zu fahren, in dem sich weitere Menschen befanden. Dafür wurde er dann des »Schmuggels« angeklagt. Den Anwälten ist völlig klar, dass Homayoun nicht ins Gefängnis gehört; am Dienstag handelt es sich um den Berufungsprozess. Es gibt keine belastbaren Beweise für seine Verurteilung. Wir werden vor Ort sein und uns mit Hilfe von Prozessbeobachtern für ein gerechtes Verfahren einsetzen.
Warum werden Migranten des Schmuggels angeklagt?
Die Anklagen gegen Migranten erfolgen systematisch. Die maßgebliche EU-Richtlinie zur Kriminalisierung des Schmuggels von Migranten wurde bereits 2002 verabschiedet. Sie heißt »Facilitators Package« und verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten zur Einführung von Gesetzen, die den Schmuggel durch, »wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen« ahnden. Die griechischen Behörden setzen diese Richtlinie besonders hart um. Die Behörden nehmen von jedem ankommenden Auto oder Boot willkürlich mindestens eine Person fest und klagen sie an. Sie schauen dabei zum Beispiel, wer neben dem Motor saß, wer die Küstenwache um Hilfe rief oder wer den Menschen auf dem Boot Wasser gab.
Diesen Menschen drohen sehr hohe Haftstrafen – im Durchschnitt 46 Jahre. Um das zu vermeiden, gehen nicht wenige der Migranten einen Deal mit dem Gericht ein und bekennen sich schuldig, um kürzere Haftstrafen zu bekommen. Dies ist oft im Sinne der Behörden; sie können so behaupten, dass sie die europäische Richtlinie erfolgreich umsetzen. In Griechenland reiht sich diese Gewalt gegen Migranten und die alltägliche Missachtung ihrer Rechte neben Pushbacks, Lager und sonstige Grenzgewalt ein.
Denken Sie, dass die Berufung Erfolg haben wird?
Homayoun hätte gar nicht erst angeklagt werden dürfen. Als Mensch auf der Flucht kann er kein Schmuggler sein, das sagt das griechische Recht sehr klar. Seine Verurteilung beruht auf der Aussage eines einzelnen Zeugen, der nie vor Gericht erschienen ist. Für die Anwälte ist völlig klar, dass Homayoun am Dienstag freigesprochen werden muss. Wir haben aber leider auch schon erlebt, dass das Gericht willkürlich entscheidet. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es weitere Gründe für eine Verschiebung der Verhandlung finden wird.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Unser Augenmerk liegt momentan auf dem Prozess am Dienstag. Wir brauchen dafür so viel Aufmerksamkeit wie möglich, denn öffentlicher Druck wirkt. Die Gerichte müssen dann genauer arbeiten und nehmen sich nachweislich mehr Zeit für die einzelnen Verfahren. Wenn die angeklagten Migranten beispielsweise lediglich schlecht vorbereitete Pflichtverteidiger an ihrer Seite haben, erhalten sie nachweislich höhere Strafen in Verfahren, die oft nur wenige Minuten dauern. Homayoun ist kein Einzelfall. Deshalb muss über diese systematische Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht gesprochen werden. Natürlich ist Unterstützung vor Ort und auf Social Media notwendig. Auch um finanzielle Unterstützung sind wir froh, die Prozesskosten sind schon jetzt sehr hoch.
Anne Noack ist Teil des Kampagnenteams #FreeHomayoun und leistet ehrenamtlich Bildungs- und Aufklärungsarbeit rund um die Kriminalisierung von Migranten
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