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Aus: Ausgabe vom 23.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Klimawandel

Versprechen nach dem Sturm

Hochwasser in Katastrophengebieten Mitteleuropas zieht ab, Bevölkerung setzt auf zugesagte Unterstützung und Schutzmaßnahmen
Von Wolfgang Pomrehn
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Nach verheerenden Überschwemmungen des Flusses Biała Lądecka im polnischen Lądek-Zdrój (16. September)

Der Regen ist längst abgezogen, aber an Elbe, Oder und Donau ist noch keine Normalität zurückgekehrt. Dort fließt nun das Wasser aus den Katastrophengebieten ab und sorgt in Deutschland und Ungarn für gefährlich hohe Pegelstände. Von der Elbe hieß es am Wochenende, dass sich die Situation nur langsam entspanne, an der Oder wird der Scheitelpunkt der Flutwelle erst im Laufe der Woche erwartet. Bis Mitte der Woche werde sich die Lage weiter zuspitzen, schreibt der Sender MDR auf seiner Webseite. Tief »Boris«, das Rumänien und Mitteleuropa verheerende Hochwasser bescherte, hat sich derweil endgültig verzogen. Mitte der vergangenen Woche hatte es noch Italien sowie Teile des Balkans heimgesucht und auch dort eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Seine Überbleibsel toben sich derzeit über Georgien aus und werden vermutlich auch am Rand des Kaukasus noch einmal zu extremen Niederschlägen führen. In Italien war besonders die Region Emilia-Romagna betroffen, in der verschiedene Flüsse über die Ufer traten und Dörfer überschwemmten. Aus dem Städtchen Traversara di Bagnacavallo in der Nähe von Ravenna berichtete der britische Sender BBC von zerstörten Gebäuden und Menschen, die sich auf die Dächer ihrer Häuser hätten retten müssen.

Hierzulande hat inzwischen die Diskussion über Hilfen und Konsequenzen begonnen. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Landes- und Bundesregierungen mit den Versprechen von Unterstützung für Hochwassergeschädigte meist deutlich schneller als mit deren Umsetzung sind. Aus dem schleswig-holsteinischen Maasholm an der Schlei berichten zum Beispiel dieser Tage dortige Zeitungen, dass von der seinerzeit versprochenen schnellen und unbürokratischen Hilfe nicht die Rede sein kann. Dort und an vielen anderen Orten entlang der Ostseeküste hatte am 20. und 21. Oktober letzten Jahres eine Jahrhundertsturmflut schwere Schäden angerichtet. Auch in Sassnitz auf Rügen streitet sich die Kommune noch immer mit dem Land über die Finanzierung einer neuen, höheren Uferbefestigung, nachdem die alte von der Sturmflut zerstört wurde. Gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk hatte der örtliche Bauamtsleiter Matthias Ober im Frühjahr kritisiert, dass der jetzt geplante Steinwall schon viele Jahre auf der Prioritätenliste des Landes stünde, ohne dass bisher etwas geschehen sei.

Ein ähnliches Lied wird mancherorts in Deutschland gesungen. In Bayern, schreibt die Süddeutsche Zeitung, verzögere sich der Hochwasserschutz um viele Jahre. 2001 habe man beschlossen, große Flutpolder anzulegen. Das sind umdeichte freie Flächen entlang der Flüsse, die bei Hochwasser kontrolliert überschwemmt werden können. Ein entsprechendes Programm hätte 2020 abgeschlossen sein sollen, ließe aber weiter auf sich warten. Von sieben geplanten Projekten seien erst zwei abgeschlossen. Als Gegner der Flutpolder tun sich derzeit vor allem die mit der CSU koalierenden Freien Wähler hervor.

Auch aus Frankfurt am Main wird eine Verschleppung des Hochwasserschutzes gemeldet. Obwohl bereits 2003 beim Umweltdezernat ein Konzept für den Hochwasserschutz in Auftrag gegeben worden sei, liege dies bis heute nicht vor, schreibt die Frankfurter Neue Presse. Geleitet wurde das Dezernat in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten meist von Politikerinnen von Bündnis 90/Die Grünen, die dafür am Donnerstag vergangener Woche in der Stadtverordnetenversammlung reichlich Kritik einstecken mussten.

Die Probleme der Bankenmetropole teilen viele Städte im Land. »Vielerorts ist der Wasserhaushalt durch versiegelte Flächen und schnellen Oberflächenabfluss stark verändert«, schreibt das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin auf seiner Webseite. »Entsprechend steigen Risiken und Gefahren wie Überschwemmungen, verminderte Grundwasserneubildung, Schädigung der Vegetation, Überhitzung, Brandgefahr.« Naturbasierte Lösungen und Finanzmittel für die Umgestaltung würden gebraucht. Auch IGB-Forscherin Sonja Jähnig klagt im Interview mit Riffreporter, dass es nur zögerlich mit dem Hochwasserschutz vorangehe.

Unterdessen kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des internationalen Forschungskonsortiums Clima Meter in einer statistischen Analyse zu dem Schluss, dass die erhöhten Niederschläge des Tiefs »Boris« überwiegend auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sind. Natürliche Klimaschwankungen hätten nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Kommentar: Mörderische Geschäfte

Will man dieser Tage etwas über die schweren Überschwemmungen im afrikanischen Sahel erfahren, muss man schon gezielt per Suchmaschine vorgehen. Nur die wenigsten Medien haben von dem Thema etwas mitbekommen oder finden es berichtenswert. Dabei sind die Ausmaße der jüngsten Hochwasser von Mali bis zum Tschad erheblich schlimmer als die jüngsten Überschwemmungen in Europa, die ohne Frage auch hier für die Betroffenen oft tragisch sind. Aber in Ländern wie Niger oder Tschad treffen die Fluten auf eine Bevölkerung, deren ärmere Teile ohnehin schon unterernährt sind, wie die Weltgesundheitsorganisation mahnt. Menschen, die daher besonders hart getroffen sind, wenn Ernten vernichtet, Lebensmittel teurer und Einkommensgrundlagen zerstört werden. Die Unwetter treffen auf Gesellschaften, die weit weniger Schutz organisieren und Ressourcen mobilisieren können, als es hierzulande im Notfall möglich ist. Mehr als 1.000 Menschen sind in Westafrika bereits durch die Unwetter gestorben. Menschen, die nichts zu den Klimaveränderungen beigetragen haben, die für die zunehmende Intensität und Zahl der extremen Wetterereignisse verantwortlich sind.

Von dem Treibhausgas CO2, das sich in den letzten gut 150 Jahren in der Erdatmosphäre angereichert hat, kommt so gut wie nichts aus Afrika. Vielmehr stammt es aus den Hochöfen und Kohlekraftwerken, aus den Ölraffinerien, Fabriken und den Auspuffrohren der unsinnig aufgeblähten Autoflotten des Nordens. Die Verantwortlichen für die sich zuspitzende Klimakrise sind vor allem in Europa und Nordamerika zu suchen, nicht zuletzt in den Vorstandsetagen jener Konzerne, die immer noch ihr Geschäft mit Öl, Autos, Kohle und Frackinggas machen.

Wolfgang Pomrehn

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