Eine Woche ohne Schengen
Von Kristian StemmlerPünktlich zu den Landtagswahlen in Brandenburg wurden der Öffentlichkeit »Erfolgsmeldungen« von den deutschen Grenzen serviert. So konstatierte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angeordnete Ausweitung der Kontrollen auf alle Grenzen der Bundesrepublik sei ein wirksames Mittel gegen Schleuserkriminalität. »Die Anzahl der Feststellungen ist mit den Kontrollen in die Höhe gegangen«, sagte Münch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Sonnabend.
Faeser hatte die Kontrollen ausweiten lassen, »um die irreguläre Migration zurückzudrängen«. Seit Montag vergangener Woche wird daher für zunächst sechs Monate an allen deutschen Grenzen kontrolliert, also auch an denen zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark. Es ist fraglich, ob solche Kontrollen nach EU-Recht erlaubt sind oder gegen die sogenannten Schengen-Regeln verstoßen. Für Grenzkontrollen braucht es nämlich »eine außergewöhnliche Situation, in der plötzlich eine sehr hohe Zahl unerlaubter Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet«, wie das juristische Fachjournal Legal Tribune Online am Montag berichtet hatte.
Während der ersten fünf Tage wurden laut einem Bericht der Bild am Sonntag bei 898 unerlaubten Einreisen 540 Personen von der Bundespolizei zurückgewiesen. Insgesamt 23 dieser Zurückweisungen betrafen demnach Menschen, die zuvor schon einmal aus Deutschland abgeschoben worden waren. Den Angaben zufolge wurden zudem zehn »Schleuser« festgenommen und 114 offene Haftbefehle vollstreckt. Bundespolizeipräsident Dieter Romann bestätigte die Zahlen gegenüber der Zeitung. »Dank der guten Arbeit der vielen Beamtinnen und Beamten wirken unsere Maßnahmen an den Grenzen«, erklärte er. Die Bundespolizei in Hannover teilte mit, die stationären Kontrollen an der Grenze zwischen den Niederlanden und Niedersachsen seien ohne größere Probleme angelaufen. Die Kontrollen würden zudem »bei vielen Reisenden auf Verständnis stoßen«.
Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurden von Montag bis Donnerstag an den deutschen Landgrenzen insgesamt 3.626 Asylgesuche gestellt. Die Anzahl an Asylantragstellungen ist seit Monaten rückläufig. An den Landgrenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz gab es bereits zuvor stationäre Grenzkontrollen. Dabei wurden laut Innenministerium seit deren Ausweitung Mitte Oktober 2023 rund 52.000 unerlaubte Einreisen festgestellt und etwa 30.000 Zurückweisungen vorgenommen.
Die Zahl der Ausweisungen, die gegen in der BRD lebende Immigranten verfügt wurden, hat sich unterdessen auf hohem Niveau eingependelt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag hervor, aus der dpa zitierte. Demnach wurden im ersten Halbjahr 2024 gegen 4.321 Menschen Ausweisungen ausgesprochen. Die meisten von ihnen stammten aus Albanien, Georgien, der Türkei, Moldau und Algerien. 2023 waren es den Angaben zufolge 8.019 Ausweisungen. Die Linken-Politikerin Clara Bünger kritisierte, dass das Ausweisungsrecht in den vergangenen Jahren »etliche Male verschärft« worden sei. Mittlerweile könnten schon vergleichsweise geringfügige Taten zur Ausweisung führen.
Unterdessen hat CDU-Chef Friedrich Merz Forderungen der Union in der Migrationspolitik gegenüber Kritik aus Nachbarstaaten Deutschlands verteidigt. Sowohl Polen als auch Österreich hatten den Vorschlag, alle Asylsuchenden an den deutschen Grenzen pauschal zurückzuweisen, als »inakzeptabel« bezeichnet. Merz erklärte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Sonnabend), er wolle nicht, dass sich das Verhältnis zu den Nachbarn verschlechtere. Andererseits habe Deutschland allen Grund, sich bei den Staaten zu beschweren, »die sich nicht mehr an die Regeln der europäischen Verträge und der Verordnungen halten«. Das »Durchwinken von Migranten nach Deutschland« sei »rechtswidrig und ein unfreundlicher Akt uns gegenüber«. Der designierte Kanzlerkandidat der Union machte deutlich, dass er kaum noch Hoffnung auf einen Kompromiss mit der Ampelkoalition beim Thema Migration hat.
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