Keine Verurteilung wegen Flyern
Von Pablo FlockSehr viel gesprochen wurde nicht in der kaum 30 Minuten dauernden Verhandlung gegen eine Aktivistin des Bündnisses »Shut Elbit Down – Deutschland« am Amtsgericht Ulm am Freitag nachmittag. Die Gruppe organisiert seit Dezember 2023 regelmäßig Demonstrationen gegen die zwei deutschen Produktionsstandorte des größten privaten israelischen Rüstungsunternehmens Elbit Systems in Ulm.
Jacqueline A. wurde beschuldigt, »wissentlich gegen den Willen des Berechtigten die Tiefgaragen von Bloom Offices, wo einer der zwei Produktionsstandorte Elbit Systems Deutschland in Ulm liegt, betreten zu haben«. Das bestritt die Angeklagte. Es habe zwar eine Schranke für Autos gegeben, jedoch habe kein Schild darauf hingewiesen, dass es sich um einen nicht öffentlichen Bereich handele. »Das einzige Schild dort sagt, dass da die StVO gilt«, spezifizierte sie im Anschluss an den Prozesstermin gegenüber der jW. A. sei in die Tiefgarage gegangen, um Flyer zu verteilen, die sich direkt an die Nachbarschaft wendeten. Diese habe sie um Verständnis wegen der Lautstärke des Protests bitten, aber auch informieren wollen, »was da in ihrer Nachbarschaft produziert wird«.
Eine Weile wartete man im Saal auf die als Zeugen geladenen Polizeibeamten, die jedoch nicht erschienen. Die Vertreterin der klagenden Staatsanwaltschaft war am Ende nicht erfolgreich. Verschiedene Versuche, das angestrebte Strafmaß von 50 Tagessätzen zu rechtfertigen, liefen ins Leere. Nachdem der Richter sie aufgefordert hatte, Rücksprache zu halten, ob er den Fall einstellen könne, musste sich das Publikum erneut gedulden. Die Angeklagte und ihre Sympathisanten im Saal, beiwohnende Justizbeamte und der Richter verbrachten den größten Teil der Verhandlung damit, auf das Ergebnis eines Telefonats mit einer höheren Stelle in der Staatsanwaltschaft zu warten. Am Ende handelte A. das Angebot der Behörde, das Verfahren gegen die Auflage von 20 Sozialstunden einzustellen, auf 16 Stunden herunter.
Mit »Free, free Palestine«-Rufen strömten die Angeklagte und ihre Unterstützer im Anschluss die Treppen des Gerichts herunter. Unten warteten weitere Sympathisanten. A. bedankte sich bei ihren Mitstreitern und prangerte in einer Rede das »tödliche Geschäft« des israelischen Waffenherstellers in Ulm und die »deutsche Mittäterschaft am Genozid in Gaza« an. Von der Polizei für die Kundgebung per Auflage verbotene Sprüche wie »From the river to the sea« oder »Kindermörder Israel« ordnete sie ein, und verwies darauf, dass das Landgericht Mannheim ersteren als strafrechtlich nicht relevant ansieht. Israel habe nach UN-Angaben zudem allein in den ersten vier Monaten des aktuellen Kriegs mehr palästinensische Kinder getötet, als in allen Konflikten weltweit in den vier Jahren davor getötet worden seien.
Als der Demonstrationszug im Anschluss an die Verhandlung durch die Ulmer Innenstadt lief, wurde unter anderem vor einem McDonald’s-Restaurant Station gemacht. Die israelische Franchise der Kette habe in der Vergangenheit israelischen Soldaten kostenloses Essen angeboten, so die öffentlich dargebotene Kritik der Demonstranten. Als der Zug bei der Abschlusskundgebung auf dem Platz vor dem Ulmer Münster auf eine Fahrraddemonstration der Klimagruppe Fridays for Future traf, machten die propalästinensischen Aktivisten darauf aufmerksam, welchen ökologischen Schaden der Krieg im Gazastreifen anrichte. Die Klimaaktivisten distanzierten sich räumlich von den mit Kufija behangenen Unterstützern der Shut-Elbit-Down-Aktivistin. Einige Passanten schlossen sich der Kundgebung an, nachdem sie vom Rand der Versammlung Flyer für eine anstehende Protestaktion gegen den Rüstungskonzern am 28. September erhalten hatten.
Hinweis: In einer früheren Fassung des Beitrags hieß es, Klimaaktivisten hätten sich dem Anti-Elbit-Protest angeschlossen. Es handelte sich aber um Passanten. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)
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