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Aus: Ausgabe vom 23.09.2024, Seite 7 / Ausland
Frankreich

Am rechten Abgrund

Frankreichs Premier stellt sein Kabinett vor: Katholische Reaktionäre geben den Ton an. Linke Wahlgewinner werden draußen gehalten
Von Hansgeorg Hermann
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Absetzung von »König« Macron gefordert: Protest gegen den Präsidenten am Sonnabend in Paris

Frankreichs neuer Ministerpräsident Michel Barnier hat am Samstag abend sein Kabinett vorgestellt. Seiner Regierung werden 38 Ministerinnen und Minister angehören, die fast ausschließlich aus der politischen Rechten im Senat und der Nationalversammlung rekrutiert wurden. Barniers offenbar im Einvernehmen mit Staatschef Emmanuel Macron getroffenen Personalentscheidungen sind nach allgemeiner Einschätzung nicht nur ein Affront gegen die linken Sieger der Parlamentswahl, sondern auch gegen die französischen Wähler, die am 7. Juli mit absoluter Mehrheit gegen Macrons Gesellschaftsreformen und für einen einschneidenden Politikwechsel gestimmt hatten. Den Ton angeben werden in Barniers rechter Truppe vor allem streng katholische Reaktionäre wie der neue Innenminister Bruno Retailleau und Patrick Hetzel, Minister für Wissenschaft und Forschung, zwei der zahlreichen Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Den Geist der künftigen Regierungsarbeit bestimmt mit Barnier ein Premier, der seit den achtziger Jahren selbst zu den Verächtern homosexueller Partnerschaften zählt. Als Familienministerin hatte er zunächst Laurence Garnier auf seine Liste gesetzt – wie Retailleau ein politisches Kind der bürgerlich-rechten Les Républicains (LR). Im Januar 2022 hatte sie sich gegen das gesetzliche Verbot der sogenannten Konversionstherapie stark gemacht, eine Behandlung, in der die sexuelle Orientierung des Patienten umgekehrt und »normalisiert« werden soll. Garnier wurde schließlich etwas tiefer eingestuft, bleibt den Franzosen nun allerdings als Staatssekretärin im Verbraucherbereich erhalten. Retailleau geniesst den zweifelhaften Ruf, seine Politik ganz in den Dienst der »französischstämmigen« (Français de souche) Landsleute zu stellen, deren angeborene Rechte er von den »Français de papier« bedroht sieht, den mit französischer Nationalität ausgestatteten Immigranten und Nachkommen von Einwanderern.

Das Außenamt besetzt mit Jean-Noël Barrot ein Neuling aus dem Topf des wirtschaftsliberalen Mouvement démocratique, kurz: Modem, einem der Partner in Macrons Koalition Ensemble pour la République (EPR). Barrot wird in den französischen Medien als Zuarbeiter des Präsidenten definiert, der dessen Primat in der Außen- und Europapolitik nicht in Frage stellen wird. Interessant auch die erneute Besetzung des Ministeriums für Kultur mit Rachida Dati, 2007 bis 2009 Justizministerin des damaligen rechten Staatschefs Nicolas Sarkozy, gegen die verschiedene Korruptionsverfahren anhängig sind.

Ob diese, wie die politische Opposition klagt, »rechteste« Regierung seit 2012 lange überleben wird, ist mehr als fraglich. Sie hängt dank der Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung von der Duldung des extrem rechten Rassemblement National (RN) der Marine Le Pen ab. Dem bitteren Spott des linken Nouveau Front Populaire (NFP, Volksfront) haben Barnier und sein Meister wenig entgegenzusetzen: Für die Wahl im Juli hatte sich die Volksfront im Bündnis mit Macrons Ensemble auf eine gemeinsamen »Front républicaine« eingelassen, um eine drohende absolute Mehrheit des RN zu verhindern. Jene, die sich nicht an dieser Zweckpartnerschaft beteiligten, Les Républicains, stellen jetzt den Regierungschef und besetzen die wichtigsten Ministerien. Vor einer Woche hatten bis zu 100.000 Menschen in mehr als 50 Städten gegen Macrons »Wahlbetrug« protestiert, an diesem Wochenende forderten erneut Tausende in Paris, Lyon und Marseille den Rücktritt des Präsidenten.

Vor allem junge, in den Straßen befragte Erstwähler fragten sich vor TV-Kameras, »warum wir eigentlich noch zur Wahl gehen sollen, wenn das Wahlergebnis am Ende umgedreht wird«. Gewonnen hatten die Abstimmung in der Tat weder Macrons Ensemble, das am 7. Juli 60 Sitze in der Nationalversammlung verlor, noch die LR, die den Verlust von 20 Sitzen zu beklagen hatten und mit nur noch 46 Mandaten zur Kleinpartei schrumpften. Den klaren Wahlsieger, die linke Volksfront, schickte Macron in die Opposition.

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