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Aus: Ausgabe vom 23.09.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Wege im Wirtschaftskrieg

Cash statt Vergeltung

Russland denkt über Gegensanktionen nach. Möglichkeiten sind da. Wahrscheinlich sind sie allerdings nicht
Von Klaus Fischer
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Der Rohstoffhandel ist eine einträgliche Devisenquelle, ein Exportstopp laut Präsident Putin »zum eigenen Nachteil« nicht »notwendig«

Klar war sofort, welche Länder gemeint waren und worum es ging. Die Sanktionen des Westens im mehrfach erklärten Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation: Dienstag vergangener Woche ließ die russische Zeitung Wsgljad (deutsch: Blick; Meinung) aufhorchen. Präsident Wladimir Putin habe vorgeschlagen, über »gewisse Beschränkungen« für Nickel-, Uran- und Titanlieferungen an unfreundliche Länder nachzudenken, schrieb das regierungsnahe Blatt in einem längeren Beitrag.

Die Frage bewegt nicht nur große Teile der Bevölkerung, sondern treibt auch Staatsdiener, Journalisten und Blogger um. Nicht wenige sind der Meinung, dass die Regierung bislang nicht mit der notwendigen Härte gegen den von Washington angestifteten Wirtschaftskrieg vorgegangen sei. Doch schnell wurde klar, dass dies weiter nur Gedankenspiele sind. Putins Äußerung wurde von ihm nämlich mit einer Einschränkung versehen: Es sei allerdings »nicht notwendig«, dies »zu unserem eigenen Nachteil zu tun«.

Selbstverständlich gibt es Argumente für Vergeltungsmaßnahmen. Nickel, Titan und Uran sind Metalle, die für die moderne Industrie weltweit von enormer Bedeutung sind. Vor allem aber sind es Ressourcen, die Russland weit über den Eigenbedarf hinaus zur Verfügung stehen. Bei Nickel, einem Stahlveredler, der auch für die Batteriefertigung wichtig ist, entfallen auf Russland fast zehn Prozent der weltweiten Förderung und rund 19 Prozent des globalen Handelsvolumens, wie Wsgliad einen Experten der Investmentfirma Finam zitiert.

Titan ist vor allem für die Luft- und Raumfahrtindustrie von Bedeutung. Ohne das extrem feste Leichtmetall sind moderne Flugzeuge und Weltraumvehikel kaum denkbar. Der russische Marktführer VSMPO-Avisma deckte bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs nach eigenen Angaben 65 Prozent des Bedarfs von Airbus, bis zu 35 Prozent von Boeing und 100 Prozent des brasilianischen Herstellers Em­braer. Hinzu kamen, so der russische Konzern, etwa weitere 20 Prozent für den Triebwerkshersteller Rolls-Royce.

Bei Uran sei die Lage auch klar: »Etwa jedes sechste Atomkraftwerk in der Welt wird von Russland versorgt«, sagte eine Expertin der staatlichen Forschungsuniversität Higher School of Economics dem Blatt. Also doch Sanktionen? Russland könne ja den entstehenden Überschuss für die Stärkung der heimischen Wirtschaft nutzen – insbesondere bei den ambitionierten Plänen im Flugzeugbau und der Rüstungsbranche, so ein weiteres gewichtiges Argument.

Allerdings scheint es, dass die Regierung in Moskau die Grundlagen des Kapitalismus deutlich besser verinnerlicht hat als die Kabinette der westlichen Hauptländer. Ja, Russland hat auch einen Ruf zu verlieren. Denn vertraglich vereinbarte Lieferungen standen zu keiner Zeit aus politischen Erwägungen heraus zur Disposition. Doch vor allem zählt: Die Roh- und Brennstoffe, über die das Land in reichem Maße verfügt, sind vor allem Devisenbringer – eine Einnahmequelle, die nicht nur der Westen Moskau neidet.

Präsidentensprecher Dmitri Peskow mahnte denn auch zur Vorsicht, als er zu Putins Worten befragt wurde: »Der Markt ist sehr wettbewerbsintensiv und unbarmherzig. Und wenn man seine Position einmal verloren hat, dauert es Jahrzehnte, bis man sie in irgendeiner Weise wiedergewonnen hat. Kein Platz bleibt leer. Der Platz unserer Diamanten wird, wenn wir weggehen, von anderen eingenommen werden, der Platz unseres Öls wird von anderem Öl eingenommen werden, und so weiter und so fort.« Übersetzt könnte man sagen: Rache wird am besten kalt serviert.

Etwa Indien hat sich seit 2022 zu einem der weltweit wichtigsten Ölreexporteuren entwickelt – dank russischer Lieferungen. Für Verdruss dürfte im Kreml auch sorgen, dass russische Ölfirmen mit indischen Rupien – einer Binnenwährung – nichts anfangen können und ihnen Investitionen in Indien selbst verwehrt sind. Da lässt sich vieles nicht mit staatlichen Vorgaben lösen.

Trotz großer Probleme ist letztlich entscheidend, was unter dem Strich steht. Für die Russische Föderation steht da im Jahr 2023 volkswirtschaftlich ein Plus von mehr als zwei Prozent. Während die EU-Wirtschaft mit ihrer neuen lahmen Ente BRD zwischen Stagnation und Rezession wankt und die US-Meinungsriesen lieber das Internet zensieren, statt zu überzeugen, hat Russland seine Stellung unter den Top ten der Weltwirtschaftsmächte gefestigt.

So rangiert es nach IWF-Angaben 2023 beim kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt auf Rang sechs – knapp hinter Deutschland und deutlich vor Großbritannien und Frankreich auf Platz neun und zehn. Insofern ist anzunehmen, dass Russland auch weiterhin lieber kassieren als sanktionieren wird – sehr zum Ärger westlicher Akteure.

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