Orwell haut uns raus
Von Leo SchwarzSeit einigen Jahren nehmen in größeren Buchhandlungen die Neuerscheinungen, die erklären, warum China und/oder Russland die Endgegner des »Westens« sind, mehrere Regalmeter ein. Nichts von dieser liberalen Mobilisierungsliteratur wird in einigen Jahren noch gelesen werden. Aber sie verkauft sich offensichtlich ganz gut, und sie entfaltet ganz unzweifelhaft eine Wirkung bei der Begriffsbildung des lesenden Publikums. Und darum geht es ja.
Der Münchner Piper-Verlag ist in diesem Geschäft vorne mit dabei – erinnert sei hier an das 2023 dort erschienene »Schwarzbuch Putin«, in dem mit durchweg unfreiwilliger Komik die Idee ausgebreitet wurde, Putins Russland sei gar nicht richtig »postkommunistisch«, sondern im Grunde nichts anderes als eine verkleidete Sowjetunion. An diese Sternstunde knüpft der Verlag nun an mit »Front gegen die Freiheit« von Adrian Geiges.
Geiges, der als Auslandskorrespondent deutscher Medienhäuser sowohl in Russland als auch in China gelebt hat, war mal Mitglied der DKP. Davon macht er in dem Buch viel Aufhebens – mit dem Hintergrund wirkt die Botschaft, dass Moskau und Beijing schon seit langer Zeit gegen die »Freiheit« arbeiten, gleich viel überzeugender. Wer die Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« besucht hat, als Redakteur des Jugendmagazins Elan in sozialistische Länder reiste und 1986 »als erster Vertreter der DKP nach China« flog und so an »vorderster Stelle« half, »die kommunistische Weltbewegung wieder zusammenzuschweißen«, muss über Hintergrundwissen verfügen. Und zwar besonders kostbares, denn Putin hat als Mitglied der KPdSU »an den gleichen Parteischulungen teilgenommen wie ich«.
Alle Anstrengungen, Geiges mit den Anfangsgründen materialistischer Kritik vertraut zu machen, waren aber, das muss man leider sagen, vergeblich. Eine Perle unter vielen: »Was heute für Rechte die ›Lügenpresse‹ ist, war damals für uns Linke die ›bürgerliche Presse‹.« Erhalten hat sich bei Geiges allein das – in der »westlichen« Ideologieproduktion längst nicht mehr selbstverständliche – Bemühen, zwischen den Russen und den Chinesen und ihrer jeweiligen Regierung zu unterscheiden: Das Buch beginnt mit der Versicherung, es richte sich »nicht gegen Chinesen oder Russen«, sondern gegen eine »Naivität« gegenüber »den Machthabern«, »unter denen ihre eigenen Völker am meisten zu leiden haben«.
Gleich danach rückt Geiges mit dem üblichen tristen Zeug an: Die jeweiligen »Herrscher« haben »weltweite Ambitionen«. Das »große Ziel« beruhe auf einer verbindenden Ideologie, die Geiges auf die Formel des »Antiimperialismus« bringt – der aber »in Wahrheit zu einem neuen Imperialismus« führt.
Geiges versucht sich an einer Art Durchgang durch die Geschichte der sowjetisch/russisch-chinesischen Beziehungen von 1917 bis heute. Überzeugend ist nichts davon. Los geht es mit der abgestandenen Botschaft, die russische Revolution sei ein »Umsturz im Auftrag des deutschen Kaisers« gewesen. Dann geht es weiter mit Reflexionen darüber, »wie Moskau die chinesische Revolution entfachte«, um dann als »großer Bruder« Chinas zu agieren. Es folgt die Phase des Zwists, die ab 1985 in eine Annäherung übergeht, bis sich dann ab 2000 die »lange gemeinsame Geschichte« mit verteilten Rollen fortsetzt: Nun sitzt der »große Bruder« in Beijing. Geiges erzählt das mit allerlei Anekdötchen, die in der Hauptsache unter dem Gesichtspunkt ausgewählt wurden, ob sie sich als Futter für das Leitmotiv – da machen zwei Staaten »antiimperialistisch« Front gegen den Westen – eignen.
Das ist aber alles nur Hintergrundmusik für das tagespolitische Anliegen des Autors: Der Exkommunist warnt vor den Komplizen und »nützlichen Idioten« des »neuen Ostblocks«. Mit denen hatte Geiges gleich nach seinem Wechsel ins Lager der »Freiheit« Ärger: 1991, erzählt er, wollte die spätere »Putin-Versteherin« Gabriele Krone-Schmalz ihn im Moskauer ARD-Studio daran hindern, ein Interview mit Wladimir Schirinowski – ein »geistiger Wegbereiter Putins« – zu führen.
Geiges teilt aus gegen »Manager mit kurzfristigen Profitinteressen«, »autoritäre Rechte«, »Antikolonialisten«, »Antirassisten« – und gegen Klimaaktivisten (»Apokalyptiker«), die sich von »pragmatischer Politik« lösen und mit »radikaler Rhetorik« Angst vor einem »bevorstehenden Weltuntergang« verbreiten. »Klimahölle und Endzeitstimmung« erinnern Geiges an die »kommunistische Ideologie«, die »Letzte Generation« an den »Leuchtenden Pfad«. Am Ende führt das sowieso nur in die »Abhängigkeit von China bei der Energiewende«.
Was ist zu tun? Geiges rät eher nicht zu Zwang und Verboten, sondern dazu, »unsere« Ideen besser darzustellen: »Freiheit setzt sich dann am besten durch, wenn man sie vorlebt.« Er empfiehlt zum Beispiel, George Orwell »stärker im Unterricht« zu nutzen. Hat doch schon mal geklappt, und seit 1917 hat sich ja nicht viel geändert.
Adrian Geiges: Front gegen die Freiheit. Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt. Piper, München 2024, 255 Seiten, 22 Euro
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Leserbrief von Klaus Ludwig aus Bosserode (30. September 2024 um 11:49 Uhr)Das besprochene Buch braucht eigentlich keine Aufmerksamkeit und wenn es zerrissen wird, was auch sonst, rate ich dagegen, sich den Autor vorzunehmen. Ich habe Adrian dereinst in einen internationalen Arbeitskreis beim BV der SDAJ geholt und es hat diesem wie ihm gutgetan. Adrian ist das typische Beispiel für die Fähigkeiten der Genossen in seinem Umfeld, aufrechten Gang und Selbstbewusstsein, auch für die gemeinsame Sache, zu lernen. Seine Hinwendung zur Welt und seine Solidarität mit den Menschen und ihren Widerständen war ehrlich und findet sich in manchen seiner Bücher. Ich habe Kontakt gehalten, als er in Moskau war, später in Hongkong, Peking und Rio de Janeiro, immer ein guter, ein angenehmer Austausch über alles, was unsereins so mit Blick auf den Globus bewegt. Gebrochen hat er unser Verhältnis, als ich ihm zum Buch über Xi den Vorwurf des Antikommunismus nicht mehr vorenthalten konnte. Der Autor, der erstmals im Ruhm badete, hatte anfänglich noch den Widerspruch zu seiner Weltanschauung auszuhalten und konnte deshalb meinen Vorwurf, und mich, nur zurückweisen. Im Schatten von Aust und mit dem neuen Umfeld (Springer-Verlag etc.) Erfahrung mit Erfolg, auch finanziellem, zu machen half, sich von dieser Weltanschauung zu trennen. Das neue Buch ist ein Resultat davon und eine Bestätigung, welchen Einfluss Geld auf das Bewusstsein hat. Nicht mehr und nicht weniger. Der einst bescheidene und neugierige Genosse hat am Wein geleckt und dieser seine Wirkung nicht verfehlt. Das alles darf mit Blick auf 1989/91 niemandem zum Vorwurf gemacht werden, denn die Kapitulation der KP außerhalb des Einflusses von Moskau ist für alle, die wie Adrian Geiges davon einmal erhellt schienen, ein Tiefschlag. Keineswegs hat er zugeschlagen, sondern die gesamte hochgejubelte Elite eines in Wahrheit nur erdachten »real existierenden Sozialismus« ist dafür verantwortlich. Wie Millionen anderer musste Adrian seinen Weg nun selbst gehen und wenn ihm dabei, berufsbedingt, die Rolle des antikommunistischen Zeugen hilfreich ist, so what? Er hat diese Idee nicht verraten, er hat sie auch in ihrer Tiefe, ihrer Wissenschaftlichkeit, nie begriffen, sondern die, die vorgaben, sie richtig verstanden zu haben und prädestiniert zu sein, ihre Erkenntnisse anderen als unumstößlich vorgeben zu können, sind die Verantwortlichen. Wer sich angesichts oder trotz der deutschen Pointe dieses Dramas am Feiertag ein Gläschen mehr gönnt, sollte daran erinnert werden, dass es ohne dies heute weder jene Kriegsgefahr gäbe, noch Menschen wie Adrian, die heute nicht mehr verstehen können, wie sie früher mit vollem Einsatz für Frieden und Sozialismus kämpfen konnten.
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