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Aus: Ausgabe vom 23.09.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Ideologieproduktion

Orwell haut uns raus

Parteischulungen haben Folgen: Adrian Geiges legt sich ins Zeug gegen »Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt«
Von Leo Schwarz
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Sie sind so frei: Wladimir Putin und Xi Jinping planen die nächsten Schachzüge (Beijing, 16.5.2024)

Seit einigen Jahren nehmen in größeren Buchhandlungen die Neuerscheinungen, die erklären, warum China und/oder Russland die Endgegner des »Westens« sind, mehrere Regalmeter ein. Nichts von dieser liberalen Mobilisierungsliteratur wird in einigen Jahren noch gelesen werden. Aber sie verkauft sich offensichtlich ganz gut, und sie entfaltet ganz unzweifelhaft eine Wirkung bei der Begriffsbildung des lesenden Publikums. Und darum geht es ja.

Der Münchner Piper-Verlag ist in diesem Geschäft vorne mit dabei – erinnert sei hier an das 2023 dort erschienene »Schwarzbuch Putin«, in dem mit durchweg unfreiwilliger Komik die Idee ausgebreitet wurde, Putins Russland sei gar nicht richtig »postkommunistisch«, sondern im Grunde nichts anderes als eine verkleidete Sowjetunion. An diese Sternstunde knüpft der Verlag nun mit »Front gegen die Freiheit« von Adrian Geiges.

Geiges, der als Auslandskorrespondent deutscher Medienhäuser sowohl in Russland als auch in China gelebt hat, war mal Mitglied der DKP. Davon macht er in dem Buch viel Aufhebens – mit dem Hintergrund wirkt die Botschaft, dass Moskau und Beijing schon seit langer Zeit gegen die »Freiheit« arbeiten, gleich viel überzeugender. Wer die Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« besucht hat, als Redakteur des Jugendmagazins Elan in sozialistische Länder reiste und 1986 »als erster Vertreter der DKP nach China« flog und so an »vorderster Stelle« half, »die kommunistische Weltbewegung wieder zusammenzuschweißen«, muss über Hintergrundwissen verfügen. Und zwar besonders kostbares, denn Putin hat als Mitglied der KPdSU »an den gleichen Parteischulungen teilgenommen wie ich«.

Alle Anstrengungen, Geiges mit den Anfangsgründen materialistischer Kritik vertraut zu machen, waren aber, das muss man leider sagen, vergeblich. Eine Perle unter vielen: »Was heute für Rechte die ›Lügenpresse‹ ist, war damals für uns Linke die ›bürgerliche Presse‹.« Erhalten hat sich bei Geiges allein das – in der »westlichen« Ideologieproduktion längst nicht mehr selbstverständliche – Bemühen, zwischen den Russen und den Chinesen und ihrer jeweiligen Regierung zu unterscheiden: Das Buch beginnt mit der Versicherung, es richte sich »nicht gegen Chinesen oder Russen«, sondern gegen eine »Naivität« gegenüber »den Machthabern«, »unter denen ihre eigenen Völker am meisten zu leiden haben«.

Gleich danach rückt Geiges mit dem üblichen tristen Zeug an: Die jeweiligen »Herrscher« haben »weltweite Ambitionen«. Das »große Ziel« beruhe auf einer verbindenden Ideologie, die Geiges auf die Formel des »Antiimperialismus« bringt – der aber »in Wahrheit zu einem neuen Imperialismus« führt.

Geiges versucht sich an einer Art Durchgang durch die Geschichte der sowjetisch/russisch-chinesischen Beziehungen von 1917 bis heute. Überzeugend ist nichts davon. Los geht es mit der abgestandenen Botschaft, die russische Revolution sei ein »Umsturz im Auftrag des deutschen Kaisers« gewesen. Dann geht es weiter mit Reflexionen darüber, »wie Moskau die chinesische Revolution entfachte«, um dann als »großer Bruder« Chinas zu agieren. Es folgt die Phase des Zwists, die ab 1985 in eine Annäherung übergeht, bis sich dann ab 2000 die »lange gemeinsame Geschichte« mit verteilten Rollen fortsetzt: Nun sitzt der »große Bruder« in Beijing. Geiges erzählt das mit allerlei Anekdötchen, die in der Hauptsache unter dem Gesichtspunkt ausgewählt wurden, ob sie sich als Futter für das Leitmotiv – da machen zwei Staaten »antiimperialistisch« Front gegen den Westen – eignen.

Das ist aber alles nur Hintergrundmusik für das tagespolitische Anliegen des Autors: Der Exkommunist warnt vor den Komplizen und »nützlichen Idioten« des »neuen Ostblocks«. Mit denen hatte Geiges gleich nach seinem Wechsel ins Lager der »Freiheit« Ärger: 1991, erzählt er, wollte die spätere »Putin-Versteherin« Gabriele Krone-Schmalz ihn im Moskauer ARD-Studio daran hindern, ein Interview mit Wladimir Schirinowski – ein »geistiger Wegbereiter Putins« – zu führen.

Geiges teilt aus gegen »Manager mit kurzfristigen Profitinteressen«, »autoritäre Rechte«, »Antikolonialisten«, »Antirassisten« – und gegen Klimaaktivisten (»Apokalyptiker«), die sich von »pragmatischer Politik« lösen und mit »radikaler Rhetorik« Angst vor einem »bevorstehenden Weltuntergang« verbreiten. »Klimahölle und Endzeitstimmung« erinnern Geiges an die »kommunistische Ideologie«, die »Letzte Generation« an den »Leuchtenden Pfad«. Am Ende führt das sowieso nur in die »Abhängigkeit von China bei der Energiewende«.

Was ist zu tun? Geiges rät eher nicht zu Zwang und Verboten, sondern dazu, »unsere« Ideen besser darzustellen: »Freiheit setzt sich dann am besten durch, wenn man sie vorlebt.« Er empfiehlt zum Beispiel, George Orwell »stärker im Unterricht« zu nutzen. Hat doch schon mal geklappt, und seit 1917 hat sich ja nicht viel geändert.

Adrian Geiges: Front gegen die Freiheit. Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt. Piper, München 2024, 255 Seiten, 22 Euro

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