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Aus: Ausgabe vom 24.09.2024, Seite 12 / Thema
Wirtschaftskrieg

Enteignung für die Kriegskasse

Nächste Runde im Wirtschaftskrieg: Der Westen macht die Russische Föderation mit ihrem ausländischen Staatsvermögen haftbar für die weitere militärische Ertüchtigung der Ukraine
Von Theo Wentzke
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Brothers in »Arms«, die künftig auch mit russischem Auslandsvermögen finanziert werden (US-Präsident Joseph Biden und sein ukrainischer Amtskollege Wolodimir Selenskij Mitte Juni 2024 am Rande des G7-Gipfels im süditalienischen Fasano)

Im April 2024 ist das amerikanische Kriegsziel der Entmachtung Russlands dann doch noch für eine einstweilige Einigung im US-internen Machtkampf zwischen Demokraten und Republikanern über die weitere militärische Unterstützung der Ukraine gut. Damit »Putin nicht durch Europa marschiert« (Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses), verabschieden Repräsentantenhaus und Senat im Rahmen eines Hilfspakets für Ukraine, Israel und Taiwan allein für die Ukraine weitere Militärhilfen im Umfang von 61 Milliarden US-Dollar. Im Interesse dieser Kriegsfinanzierung schafft die US-Legislative zugleich ein neues Instrument: Sie ermächtigt im sogenannten REPO-Act (»Rebuilding Economic Prosperity and Opportunity for Ukrainians Act«) den Präsidenten dazu, in den USA angelegtes russisches Staatsvermögen für den Zweck des Wiederaufbaus und der Unterstützung der Ukraine zu enteignen. Diese Vollmacht bezieht sich vor allem auf die bereits blockierten amerikanischen Staatsanleihen in russischem Besitz im Wert von etwa fünf bis sechs Milliarden US-Dollar, schließt aber alle Arten von Staatsvermögen Russlands im amerikanischen Hoheitsbereich ein. Ob der Präsident von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und wie er eine mögliche Enteignung abwickelt, ob als direkte Konfiszierung der Papiere, als Flüssigmachen der Vermögenswerte oder als Verwendung der entsprechenden Vermögenstitel als Sicherheiten für Kredite für bzw. durch die Ukraine, das bleibt ihm selbst überlassen.

Mit diesem Fortschritt im Wirtschaftskrieg genehmigen sich die USA den Übergang von der Schädigung der Zahlungs- und Kreditfähigkeit Russlands durch Blockierung seines Staatsvermögens, das als Devisenreserve der Notenbank unter anderem in Staatsanleihen in den USA angelegt ist, hin zur Enteignung dieses Vermögens und seiner Aneignung durch den amerikanischen Staat zugunsten der langfristigen Unterstützung der ukrainischen Kriegspartei. Mit einem schlichten nationalen Gesetz setzen die USA im Verhältnis zu ihrem russischen Machtrivalen die internationale Unantastbarkeit fremden Staatseigentums – »Staatenimmunität« – außer Kraft. Mit Devisenreserven garantiert die russische Zentralbank, wie jede andere, die Austauschbarkeit ihrer Währung gegen fremde und damit die internationale Verlässlichkeit russischer Schulden und Wertpapiere. Erst durch diese Garantie ist das Land im globalen Kapitalismus geschäftsfähig. Schon die Blockierung, mehr noch der endgültige Nichtrespekt vor seinem Staatseigentum, entzieht dem Land diese für den internationalen Kredit- und Geldverkehr unentbehrliche Fähigkeit.

Eigenes Recht

Diese »klare, gewaltfreie Antwort auf die russische Aggression, die Putin schwächen und die Ukraine stärken würde, ohne dass dies den amerikanischen Steuerzahler etwas kostet« (Newt Gingrich, republikanischer Abgeordneter, bei Fox News, 20.3.2024), ist eine Klarstellung an den Rest der Welt: Die globale Vormacht des Kapitalismus, die anderen Staaten keine Alternative zur Bewährung in der internationalen Konkurrenz um Geld und Kredit lässt und den allseitigen Respekt vor den dafür nötigen Prinzipien des Staatenverkehrs mit ihrer Gewalt sicherstellt, steht zugleich über diesen Prinzipien. Wenn es den USA um die Behauptung ihrer Macht gegen Rivalen geht, sind sie so frei zu definieren, welchem Staat der Respekt vor seinem Staatseigentum und damit der Zugang zum Weltmarkt zusteht und welchem nicht.

Dem Rest der Staatenwelt gegenüber bestehen die USA darauf, dass sie, wenn sie sich aus nationalem Interesse über die internationalen Rechtsverhältnisse hinwegsetzen, in völligem Einklang mit dem Völkerrecht agieren. Dessen Rang und Gewicht im amerikanischen Selbstverständnis kennzeichnen sie durch folgende Reihung: »Die Umwidmung russischer staatlicher Vermögenswerte liegt im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten und steht im Einklang mit dem Recht der Vereinigten Staaten und dem Völkerrecht.« (Entschließung des Kongresses, Abschnitt 102 (7) REPO-Act) Der Einspruch Russlands gegen die Enteignung seines Staatsvermögens – »Diebstahl« – ist einer Befassung nicht würdig, denn es hat überhaupt das Recht verwirkt, als respektables Mitglied der Staatengemeinschaft Ansprüche zu stellen. »Die extrem rechtswidrigen Handlungen der Russischen Föderation, einschließlich eines Angriffs, stellen eine einzigartige Situation dar, die die Schaffung einer rechtlichen Befugnis für die Regierung der Vereinigten Staaten und anderer Länder rechtfertigt, russisches Staatsvermögen in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu beschlagnahmen.« (Feststellungen des Kongresses, Abschnitt 101 (b) REPO-Act)

Wenn amerikanische Gesetzgeber begründen, warum sie im Licht des Völkerrechts dürfen, was sie tun, präsentieren sie sich gleich als Definitionsmacht und Schöpfer des internationalen Rechts: Der russische Rechtsbruch »rechtfertigt« die amerikanische »Schaffung einer Befugnis zur Beschlagnahmung«, für die sie bei niemandem nachfragen und in keinem internationalen Vertrag nachschlagen müssen. Den völkerrechtlichen Tatbestand, auf den sie sich für ihre autonome Rechtssetzung berufen, ermitteln sie als Ankläger und Richter Russlands ebenfalls in eigener Machtvollkommenheit: Sie sind es eben, die die Gewaltaktionen der knapp 200 Gewaltsubjekte, die über die Erdbevölkerung herrschen, in gerechtfertigte, nationale Rechte verteidigende und »illegale Angriffskriege« von »Aggressorstaaten« scheiden. Sie sind es, die für ihre Richtersprüche die Anerkennung der übrigen Staaten einfordern und sich damit nicht blamieren. In diesem Sinn stellen sie dann auch »internationale Verpflichtungen« Russlands fest, für Kriegsschäden der Ukraine aufzukommen, und unternehmen es durch Enteignung und Umwidmung von dessen Staatseigentum gleich selbst, »die Russische Föderation dazu zu bringen, ihnen nachzukommen« (Abschnitt 101 (a) (7) REPO-Act). Wenn es ums Völkerrecht geht, beugen sich die USA eben vor nichts Höherem. Den Rest der Welt nehmen sie in Anspruch, ihre einseitigen Akte nicht nur zu dulden, sondern als Verwirklichung internationalen Rechts anzuerkennen und zu unterstützen.

Kritik am REPO-Act

Inneramerikanische Einwände gegen die Enteignungsermächtigung bewegen sich ebenfalls auf dem Niveau einer nur an sich selbst Maß nehmenden Machtvollkommenheit der USA. »Mit dem REPO for Ukrainians Act erhält Präsident Biden die uneingeschränkte und beispiellose Befugnis, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen, was insofern bemerkenswert ist, als sich die USA weder im Krieg mit Russland befinden noch der US-Kongress (bisher) oder ein US-amerikanisches oder ausländisches Gericht Russland für schadensersatzpflichtig befunden haben. Dieses Gesetz könnte unvorhergesehene Auswirkungen auf die Weltfinanzmärkte haben, was die Validität von US-Schulden und die Befugnis der Vereinigten Staaten betrifft, das Vermögen eines anderen Landes zu beschlagnahmen. Der Akt könnte zu russischen Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA und ihre Verbündeten führen, die das Ausmaß der Beschlagnahmung übersteigen. Maßnahmen, die auf der Grundlage dieser Befugnisse ergriffen werden, können von einem künftigen Präsidenten nur schwer oder gar nicht rückgängig gemacht werden.« (The Heritage Foundation: The REPO for Ukrainians Act Is Unnecessary, Costly, and Risky, 15.4.24)

Dieser Thinktank aus der rechten Ecke vermisst eine korrekte Rechtsgrundlage für die Enteignungsaktion. Das Hauptgewicht des Einwands liegt aber woanders: Er drückt Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Maßnahme aus und warnt vor schädlichen Rückwirkungen – Bedenken, die vor zwei Jahren noch aus der demokratischen Administration selbst, nämlich von Janet Yellen, der Finanzministerin Bidens, kamen. »Auf einer Pressekonferenz in Deutschland in diesem Monat schien Finanzministerin Janet Yellen die Möglichkeit der Vereinigten Staaten auszuschließen, sich an Bemühungen zur Beschlagnahmung und Umverteilung dieser Vermögenswerte zu beteiligen. Frau Yellen, eine ehemalige Zentralbankerin, die anfänglich Vorbehalte gegen die Immobilisierung der Vermögenswerte hatte, sagte, dass das Konzept zwar geprüft werde, sie aber glaube, dass die Beschlagnahmung der Fonds gegen US-Recht verstoßen würde. Zusätzlich zu den rechtlichen Hindernissen haben Frau Yellen und andere argumentiert, dass dies dazu führen könnte, dass Nationen zögerten, ihre Reserven in Dollar zu halten, weil sie befürchteten, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in zukünftigen Konflikten die Mittel beschlagnahmen würden.« (NYT, 31.5.2022)

Heute weist Frau Yellen derlei Einwände genau auf der Ebene zurück, auf der sie vorgetragen werden: Das Heranziehen russischen Staatseigentums zur Finanzierung des ukrainischen Kriegsgegners können die USA sich leisten, die gesetzlichen Grundlagen lassen sich schaffen, negative Wirkungen auf Finanzplatz und Währung der USA sind nicht zu befürchten, denn der US-Dollar ist zusammen mit den anderen großen westlichen Währungen für die Geldbesitzer und Staaten des Globus unumgänglich. Sie können auf diese Währungen, trotz aller Versuche Russlands, Chinas und anderer, alternative Zahlungssysteme und Wege der Kreditierung zu schaffen, nicht verzichten. »Wir arbeiten alle zusammen, es gibt keine Alternativen zu Dollar, Euro und Yen.« (Janet Yellen, zitiert in Die Welt, 1.3.2024) Auch das ist eine Klarstellung: Aus der für die Weltwirtschaft unersetzlichen Finanzmacht des US-Dollar und der Kooperation mit den übrigen kapitalistischen Großmächten des Westens speist sich die amerikanische Kompetenz, das internationale Recht zu definieren und zu ändern.

Neues Recht durchsetzen

Dass Yellen die großen Konkurrenten der US-Dollar-Macht, nämlich die anderen Weltgeldhüter EU und Japan, für die Konfiszierung russischen Vermögens gleich mit vereinnahmt, ist kein Zufall. Die USA brauchen die Partner, um ihre Strafaktion gegen Russland wirksam zu machen. Erstens liegt der Großteil des russischen Vermögens, auf das man zugreifen will, in Europa. Den fünf bis sechs Milliarden US-Dollar, die bei US-Banken in amerikanischen Anleihen stecken, stehen zwischen 200 und 300 Milliarden gegenüber, die bei europäischen Institutionen liegen. Die sind zweitens Ergebnis des Umstands, dass der EU-Finanzmarkt von der schon älteren Sanktionspraxis der USA gegen missliebige Staaten unfreundlich profitiert hat. Russland hat sein auf Europas Energiemarkt verdientes Staatsvermögen in der genannten Größenordnung in Europa als vermeintlich sicherem Hafen angelegt. Das verschafft den EU-Staaten nun einen wuchtigen Hebel, den sie im Sinne der USA gegen Russland einsetzen sollen. Sie sollen so die Hauptlast des ökonomischen »Risikos« eines solchen Schritts tragen.

Der REPO-Act verpflichtet den amerikanischen Präsidenten also darauf, sich um die Bereitschaft der westlichen Partner zu bemühen, als politische Hüter über ihren Finanzmarkt ihrerseits russisches Vermögen zu beschlagnahmen: »alle Bemühungen der Vereinigten Staaten um die Beschlagnahmung und Umwidmung russischer Staatsgelder (…) gemeinsam mit internationalen Verbündeten und Partnern im Rahmen einer koordinierten, multilateralen Anstrengung« zu unternehmen, »einschließlich mit den G7-Ländern, der Europäischen Union, Australien und anderen Ländern, in denen sich russische Staatsgelder befinden« (Entschließung des Kongresses, Abschnitt 102 (7) REPO-Act).

Die USA können in ihrem Drängen darauf setzen, dass die Verbündeten aus eigenen Machtansprüchen auf Europa die militärische Stärkung ihres ukrainischen Vorpostens und die Zerstörung russischer Macht in Europa betreiben und dabei selbst nach Wegen suchen, die Kriegskosten, die sie sich dafür leisten, zu minimieren. So, als Angebot an den Herrschaftsanspruch ihrer Union über den Kontinent, gedenken die USA die Verbündeten für ihre Eskalation im Wirtschaftskrieg zu gewinnen und amerikanisches Recht zu international geltendem Recht zu machen – und provozieren genau damit Einspruch bei den wichtigsten ihrer Partner.

EU ringt um Kontrolle

Die amerikanische Strafaktion gegen Russland stößt – schon im Vorfeld der Verabschiedung des REPO-Acts – bei Kommission, Ratspräsident und den europäischen G7-Staaten Frankreich, Deutschland und Italien auf erhebliche rechtliche und finanzpolitische Bedenken. »Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat gewarnt, dass der Schritt vom Einfrieren der Guthaben über ihre Beschlagnahmung bis hin zu ihrer Veräußerung (das Risiko bergen könnte), die internationale Ordnung zu brechen, die man schützen will und von der man möchte, dass Russland sie respektiert. Die Zentralbank warnte im Juni vergangenen Jahres, eine Beschlagnahme oder Nutzung der Devisenreserven könne zu einem Vertrauensverlust internationaler Investoren in die europäischen Finanzbehörden führen und folglich die weltweite Akzeptanz des Euro beeinträchtigen sowie langfristig die Stabilität des Euro-Raums gefährden. Wie die Financial Times damals berichtete, sehen die Zentralbanker vor allem die Gefahr, dass außereuropäische Zentralbanken, die große Reserven in Euro halten, diese teilweise abziehen, um sie vor möglichen weiteren Strafmaßnahmen abzuschirmen. ›Die Implikationen könnten substantiell sein: Es könnte eine Diversifizierung weg von in Euro denominierten Wertpapieren einsetzen, es könnten sich die Refinanzierungskosten für europäische Staaten erhöhen und auch im Welthandel zu Diversifizierungen führen‹, zitiert die Zeitung aus einer Notiz der EU.« (DWN, 3.2.2024)

Zum Schutz ihres konkurrierenden Finanzmarkts und ihres Geldes vor negativen Auswirkungen des REPO-Acts berufen sich die EU-Länder auf die Rechtsprinzipien der Weltordnung, die die Staaten auf den Respekt vor fremdem Staatseigentum verpflichten. Im Gestus einer ihrerseits übergeordneten Hüterin dieser Prinzipien warnt die europäische Notenbankchefin die USA davor, »die internationale Ordnung zu brechen«. Der europäische Einspruch präsentiert sich prinzipiell, eben weil die Freiheit, die die USA sich mit dem REPO-Act herausnehmen, aktuell zwar Russland und seiner Entmachtung gilt, zugleich aber in ihrer Unbedingtheit der gewollte und von aller Welt auch so verstandene Präzedenzfall dafür ist, dass die USA den globalen Finanzmarkt überhaupt ihren nationalen Interessen unterordnen.

Mit den vorgebrachten Befürchtungen vor schwerwiegenden ökonomischen Nachteilen, die die zweite Weltwährung Euro eben mehr zu fürchten hätte als der US-Dollar, fordern die EU-Vertreter vom mächtigen transatlantischen Partner Rücksicht auf ihre Konkurrenzposition bei der Ausgestaltung des gemeinsamen Wirtschaftskriegs. Zum befürchteten ökonomischen Schaden kommt das weit in die Zukunft vorgreifende politische Bedenken hinzu, durch die Endgültigkeit einer amerikanischen Enteignung russischen Staatsvermögens eigene Handlungsfreiheit in einer künftigen Regelung der Machtverhältnisse in Osteuropa einzubüßen und ein exklusiv europäisches Faustpfand für mögliche Friedensverhandlungen mit Russland aus der Hand zu geben: »›Sollte es jemals zu Friedensverhandlungen kommen und die Ukraine sich zur Teilnahme entschließen, könnte es zu einer Situation kommen, in der Russland seine eingefrorenen Vermögenswerte zurückfordert und im Gegenzug territoriale Zugeständnisse an die Ukraine macht. Das kann man nicht tun, wenn man diese Vermögenswerte bereits verpfändet hat‹, sagt ein deutscher Beamter.« (Financial Times, 3.5.2024)

Ein trickreicher Mittelweg

Andererseits gilt für die Macher Europas im nunmehr dritten Kriegsjahr und erst recht angesichts der auf dem Schlachtfeld prekären Lage: Die Ukraine darf nicht verlieren, wenn aus dem Europa der EU etwas werden soll. Sie muss also weiter unterstützt und die Unterstützung muss finanziert werden. Das Hin und Her zwischen den divergierenden Gesichtspunkten befeuert das Ringen der EU mit den USA darum, wie weit sie den amerikanischen Schritt mitgehen will und kann. Europas Antwort auf den amerikanischen Vorstoß fällt entsprechend aus.

Die EU entschließt sich noch vor der endgültigen Verabschiedung des REPO-Acts zu alternativen rechtlichen Schritten, mit denen sie ihre Unterstützung der Ukraine auf Dauer stellen will. Sie beschließt, Zinsgewinne aus der Verwendung des von ihr blockierten russischen Staatsvermögens zu enteignen. Aber eben – um befürchtete Schäden möglichst gering zu halten – »nur« diese Gewinne aus Wiederanlage, nicht die Vermögenswerte selbst: »Der russische Präsident Wladimir Putin habe sich ›verrechnet, wenn er glaubt, dass wir nicht in der Lage sind, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es notwendig ist‹, sagte Scholz. Dabei sei die Nutzung der abgeschöpften Zinsgewinne ›ein kleiner, aber wichtiger Baustein‹.« (Welt, 22.3.2024) »Zweitens darf ich noch einmal wiederholen, dass diese Initiative eigentlich ausschließlich und ganz allein die generierten Gewinne betrifft aus diesen immobilisierten Vermögenswerten, nicht diese Vermögenswerte selbst, sondern diese Zinsen, die von den Kapitalwerten erwirtschaftet werden. Man kann sich auch andere Maßnahmen vorstellen, aber derzeit glauben wir, dass das auch juristisch wasserdicht ist.« (Josep Borrell i Fontelles, Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizekommissionspräsident, Statement vor dem EP-Plenum, 23.4.2024)

Man sieht, auch die EU-Macher beherrschen die Kunst, das Recht zum Instrument ihres Interesses zu machen und entsprechend auszulegen. Ihre Rechtsabteilung lässt sich einen Kniff einfallen: Man trennt die einlaufenden Erträge aus Zins und Tilgung Russland gehörender Papiere von dem Kapital, auf das sie anfallen, und erklärt die von der EU verfügte Blockade des Kapitals zur eigentlichen Ursache der bei den »Zentralverwahrern« und Clearing-Stellen eingehenden und sich ansammelnden Gelder – frei nach der Logik, dass diese Erträge ohne Blockadebeschluss ja nicht bei diesen Institutionen hängengeblieben, sondern auf russische Konten weitergeleitet worden wären. Die Gewinne von bisher rund 3,4 Milliarden Euro, die Euroclear¹ und andere durch die Wiederanlage dieser Zuflüsse kassieren, sind für diese Institutionen zufällige, »außerordentliche Erträge«, »Windfall Profits«, die sie eigentlich gar nicht machen dürfen und die deshalb die Staaten, in denen sie angesiedelt sind, über eine Sondersteuer von nahezu 100 Prozent legal abschöpfen.

Mit dieser Rechtskonstruktion ergeht eine über den Umgang mit Russland hinausweisende dialektische Botschaft an die Staatenwelt: Sie soll wissen, dass auch die EU als übergeordnete Macht sich Eingriffe in fremdes Staatseigentum herausnimmt; sie soll es andererseits Europa nicht als Bruch mit den Grundlagen des zivil-ökonomischen Staatenverkehrs übel nehmen. Und zwar allein deswegen, weil die europäische Strafaktion Russland die Anerkennung als Eigentümer seines Staatsschatzes zwar verweigert, dessen Eigentumsrecht dabei aber nicht komplett aushebelt. Die europäische Form der Enteignung soll mit dem länderübergreifenden Schutz des Eigentums irgendwie doch kompatibel sein. Das komplizierte Verfahren zielt auf den Schutz des europäischen Finanzmarkts und seiner Institutionen als rechtssichere und zuverlässige Anlageplätze.

Auch was die Verwendung der auf diesem Weg konfiszierten Gelder betrifft, setzt sich die EU von den USA ab: Während diese einen internationalen Fonds für Unterstützung und Wiederaufbau der Ukraine auflegen wollen, an den alle Partnerstaaten ihre angeeigneten Finanzmittel abgeben sollen, bestehen die Europäer darauf, die Mittel in ihrer Hand selbst zu verwenden – und zwar für die direkte Finanzierung ihrer Waffenlieferungen.

Verbündete finden Lösung

Ein paar Wochen später lassen die USA und die Europäer beim G7-Gipfel ihre Kontroversen bezüglich der Beschlagnahmung des russischen Staatsvermögens demonstrativ hinter sich. Ihre Entschlossenheit, den Krieg gegen Russland bis zu einem befriedigenden Ende weiterzuführen und die Ukraine nicht nur überlebensfähig zu halten, sondern zu Erfolgen zu befähigen, zugleich aber die eigenen Staatshaushalte mit den Kriegskosten nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so wie bisher, zu belasten, führt sie zu einem großen Wurf zusammen: »Wir unterstützen solidarisch den Kampf der Ukraine für Freiheit und ihren Wiederaufbau, solange dies nötig ist. In Anwesenheit von Präsident Selenskij haben wir beschlossen, rund 50 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, indem wir die außerordentlichen Einnahmen aus immobilisierten staatlichen russischen Vermögenswerten nutzen, womit wir ein unmissverständliches Signal an Präsident Putin senden. Wir intensivieren unsere gemeinsamen Anstrengungen, Russlands militärisch-industriellen Komplex zu entwaffnen und ihm seine finanziellen Grundlagen zu entziehen.« (Kommuniqué des G7-Gipfels in Apulien, 15.6.24)

Die USA gehen auf den Wunsch der Europäer ein, nur die Zinsgewinne, nicht die Stammsumme des russischen Vermögens zu enteignen. Frau Yellen verweist aber darauf, dass die zu erwartenden circa drei Milliarden Euro pro Jahr in einem absurden Missverhältnis zum Finanzbedarf des ukrainischen Militärs und Staates überhaupt stehen. Als ausgewiesene Expertin für Finanzkapital weiß die ehemalige Chefin der Fed jedoch Rat: »Wir schlagen ein Darlehen vor, das der Ukraine einen entscheidenden Betrag an Finanzmitteln verschaffen würde. Das Darlehen würde durch die Einnahmen im Laufe der Zeit zurückgezahlt werden. Mit den Mitteln, die dieses Darlehen bereitstellen würde, könnte die Ukraine mit den Ressourcen ausgestattet werden, die sie zur Verteidigung und zum Wiederaufbau benötigt – bezahlt aus den Erträgen von Herrn Putins Vermögen.« (Yellen in der NYT, 13.6.2024)

Die Europäische Union und die USA mit ihren Verbündeten fassen also den gemeinsamen politischen Beschluss, der Ukraine »einen entscheidenden Betrag« in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar kurzfristig und in Gänze zur Verfügung zu stellen. Die Ukraine – darüber besteht Einigkeit – soll diese Summe nicht geschenkt, sondern ihrerseits in Form eines Kredits bekommen, für den sie erst einmal nicht geradestehen muss, was sie auch gar nicht könnte; in letzter Instanz und irgendwann vielleicht aber doch muss. Beschafft werden sollen die ihr zugänglich gemachten Mittel auf dem internationalen Kapitalmarkt über Anleihen der G7- und EU-Staaten, also über Schulden, für deren Verzinsung und Tilgung die nach dem derzeit aktuellen Zinssatz jährlich zufließenden rund drei Milliarden Euro garantieren sollen: »Diese drei Milliarden jährlich sollen ›gehebelt‹ werden, anders gesagt: Die Staaten der G7 und der EU nehmen Kredite von zusammen 50 Milliarden Dollar auf und decken die Kosten über viele Jahre mit den Erträgen aus dem russischen Geld. Der Kredit soll Ende des Jahres bereitstehen.« (FAZ, 24.8.24) Eine perfekte Verwendung der »Erträge aus Herrn Putins Vermögen«, die so für die nötige Bonität dieser konzertierten Kreditaufnahme des Westens für die Ukraine auf dem internationalen Kapitalmarkt sorgen.

Im Kern beruht die Solidität dieses gefeierten neuartigen internationalen Kriegskredits – sowohl von seiten des Finanzgewerbes wie von seiten der führenden westlichen Imperialisten – auf der Spekulation auf einen eindeutigen Sieg über Russland; alternativ auf der endlosen Dauer des Krieges, also auf der langfristigen Unerschütterlichkeit des Willens der engagierten Westmächte zu ihm.

Anmerkung

1 Euroclear ist die weltweit größte Verrechnungsstelle für private wie öffentliche Kapitalanlagen, bei der wechselseitige Forderungen und Verbindlichkeiten festgestellt und saldiert werden. Euroclear ist keine Bank und führte bis dato keine Konten ihrer Kunden. Anfallende Zinsen auf die verwalteten Papiere ebenso wie Tilgungszahlungen am Ende der Laufzeit werden von der Verrechnungsstelle am Ende jedes Tages auf die Bankkonten der Anleger transferiert.

Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt in den Ausgaben vom 24. und 25. Juli über die Lage in Niger vor und nach dem Militärputsch: Staat ohne Macht und Problemfall der Weltherrschaft.

Mehr zum Thema Ukraine-Krieg im jüngst erschienenen Heft 3-24 der Zeitschrift Gegenstandpunkt und auf der Webseite: gegenstandpunkt.com

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    Der »Wertewesten« – immer ein verlässlicher Verfechter von Eigentum und Rechtsstaatlichkeit. Außer natürlich, wenn es darum geht, russisches Vermögen in den USA mal eben zu enteignen. Da wird das Prinzip der »Staatenimmunität« kurzerhand zu einem Luxus, den man sich nur leistet, wenn es dem eigenen Interesse dient. Aber keine Sorge, alles im »Einklang mit dem Völkerrecht« – zumindest mit der Version, die man sich selbst schreibt. Dass das amerikanische Steuergeld geschont wird, ist natürlich ein Bonus. Schließlich ist nichts teurer als Prinzipien, die auch für Rivalen gelten sollen.

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