Aus den Häusern gebombt
Von Knut MellenthinIsrael hat einen uneingeschränkten Luftkrieg gegen den Libanon begonnen. Seit Donnerstag vergangener Woche wurden in sechs Wellen Hunderte militärische und zivile Ziele vor allem im Süden des Landes, aber vereinzelt auch viel weiter nördlich angegriffen. Am Montag überzogen israelische Kampfjets den Südlibanon mit Flächenbombardements, Premier Benjamin Netanjahu erklärte bei einer Lagebeurteilung, wie »versprochen, das Sicherheitsgleichgewicht, die Machtbalance im Norden zu verändern«. Israel habe »komplizierte Tage« vor sich. Die Regierung in Beirut erklärte, es handele sich um »einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes«. Der Iran warnte Tel Aviv vor »gefährlichen Konsequenzen«. Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid von der liberalen Partei Jesch Atid begrüßte die Ausweitung der Luftangriffe ausdrücklich.
Bis jW-Redaktionsschluss wurden nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums mindestens 274 Menschen getötet und mehr als 1.000 verletzt. Die Hisbollah wiederum setzte Medienberichten zufolge erstmals im aktuellen Konflikt weitreichende Raketen ein – bis zu 200 Kilometer vom Libanon entfernt. Ziele waren nach eigenen Angaben Anlagen der Rüstungsindustrie nahe Haifa und ein Militärstützpunkt in der besetzten Westbank. Der Sprecher der israelischen Streitkräfte, Daniel Hagari, hatte zuvor in einem Aufruf an die Bevölkerung verbreitet, dass Israel »in naher Zukunft Terrorziele angreifen« werde. Alle Bewohner in der Umgebung von Häusern, in denen sich Waffenverstecke der Hisbollah befänden, sollten sofort ihre Wohnungen verlassen. Die Angriffe würden »bis zur Beseitigung der Bedrohung« fortgesetzt. Später richtete sich die Warnung an die Einwohner der Bekaa-Ebene im Nordosten des Landes. Binnen zwei Stunden Zeit sollten sie sich mindestens einen Kilometer entfernen. Tausende Libanesen erhielten SMS-Nachrichten und Telefonanrufe aus Israel, die sie zur sofortigen Flucht aufforderten.
Schon vor neun Tagen waren israelische Flugblätter über einigen Ortschaften und Flüchtlingslagern im Südlibanon abgeworfen worden, mit denen die Bewohner zur sofortigen »Evakuierung« aufgefordert worden waren. Sie dürften bis zum Ende des Krieges nicht zurückkehren. Wer sich dort noch aufhalte, werde »als Terrorist betrachtet«.
Auf der anderen Seite haben seit Kriegsbeginn ungefähr 60.000 Israelis wegen des Beschusses durch die Hisbollah ihre Wohnungen im Grenzgebiet verlassen. Die israelische Regierung hatte zuletzt ihre »sichere Rückkehr« zu einem der offiziellen Kriegsziele erklärt. Praktisch ist das nur durch den Einsatz von Bodentruppen und eine länger währende Besetzung möglich. Eine wachsende Zahl hochrangiger Militärs wirbt für diese Option.
Gleichzeitig diskutiert Tel Aviv auch über die Verschärfung der Kriegführung im Gazastreifen. Ein Vorschlag, den Netanjahu am Sonntag im Ausschuss der Knesset für Außenpolitik und Verteidigung präsentierte, sieht vor, aus dem Norden der Enklave 300.000 Menschen zwangsweise zu »evakuieren«, um das Gebiet, in dem sich dann nach israelischer Definition nur noch »Terroristen« befinden würden, vollständig abzuriegeln und auszuhungern. Der Plan stammt vom pensionierten Generalmajor Giora Eiland und wird angeblich von der militärischen Führung ebenso unterstützt wie vom Reservistenverband. Gemeint ist das Gebiet nördlich des sogenannten Netzarim-Korridors mit den Städten Gaza-Stadt, Beit Hanun, Beit Lahija und Dschabalija. Netanjahu betonte, dass es sich nur um eine von mehreren Optionen handele und eine Entscheidung noch nicht gefallen sei.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (24. September 2024 um 13:09 Uhr)Das Dilemma, vor dem jede israelische Regierung steht, besteht darin, dass die Hisbollah selbst nach zahlreichen Bodenoffensiven nie so geschwächt sein wird, dass sie nicht erneut als Bedrohung auftauchen könnte. Keiner der Akteure in dieser gefährlichen Konfrontation verfolgt eine echte Friedensstrategie. Die Hisbollah nutzt ihre Rolle als Irans Speerspitze im Nahen Osten aus und setzt dabei auf eine rein militärische Haltung – ohne jeglichen diplomatischen Ansatz. Doch militärische Stärke allein ist keine Strategie. Auch die israelische Regierung strebt nicht nach Frieden. Zwar hat sie mit der spektakulären Operation »Explosive Pager« weltweit Aufmerksamkeit erregt, doch diese viel gerühmte Geheimdienstleistung und Technologie war in Wahrheit ein Kriegsverbrechen. Mit dieser Aktion hat Israel selbst eine Eskalation provoziert, die die Gefahr eines weiteren Krieges mit der Hisbollah im Libanon so real macht wie nie zuvor. Beide Seiten steuern auf eine ausweglose kriegerische Sackgasse zu.
Ähnliche:
- 23.09.2024
Zeugen ausgeschaltet
- 20.09.2024
Israel will mehr Krieg
- 09.09.2024
Krieg und immer weiter Krieg