»Können nicht einfach ein Picknick machen«
Interview: Tim Krüger, Frankfurt am MainIn Frankfurt am Main kamen Zehntausende Menschen am Sonnabend zusammen, um gemeinsam das 32. Internationale Kurdische Kulturfestival zu feiern. Welche Bedeutung hat das Festival in diesem Jahr für Sie?
Das diesjährige Festival stand ganz im Zeichen der Freiheit Abdullah Öcalans. Am 10. Oktober vergangenen Jahres wurde die internationale Kampagne »Freiheit für Abdullah Öcalan – Eine Lösung für die kurdische Frage« begonnen. Die Isolationshaft Öcalans auf der Gefängnisinsel İmralı muss umgehend beendet werden. Er repräsentiert den Willen des kurdischen Volkes, der Frauen, der Jugend und der Arbeiter. Seine Forderungen nach einem Status für das kurdische Volk und einem Recht auf Selbstverwaltung sind auch unsere Forderungen.
Sie verknüpfen mit dem Festival die kulturelle mit der politischen Dimension.
Als Kurden befinden wir uns weiterhin in einem Kampf um unsere Existenz. Auch heute noch wird die kurdische Sprache in der Türkei als »unbekannte Sprache« behandelt; der türkische Staat versucht mit allen Mitteln den politischen Status der Kurden in Südkurdistan zu vernichten und zu verhindern, dass die Selbstverwaltung von Rojava einen Autonomiestatus erlangt. Alle Errungenschaften in Mexmûr oder auch Şengal wollen sie auslöschen. In der Türkei versuchen sie wieder, die kurdischen Tänze zu verbieten, und kurdische Politiker werden reihenweise ins Gefängnis geworfen. Aber auch hier in Europa werden kurdische Organisationen kriminalisiert und unter Generalverdacht gestellt. Wenn das kurdische Volk von allen Seiten angegriffen wird, können wir nicht einfach hierherkommen und ein Picknick machen. Selbstverständlich tragen wir unsere traditionelle Kleidung, tanzen und essen gemeinsam. Doch unter diesen Umständen muss das Festival auch eine politische Botschaft enthalten.
In den vergangenen Wochen haben sich die Angriffe der Türkei im Irak und in Syrien auch noch einmal dramatisch intensiviert. Dabei kam es auch zu zahlreichen zivilen Opfern.
So ist es. Die Menschen erwarten, dass die entsprechenden internationalen und europäischen Institutionen sich für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen und die Kriegsverbrechen der Türkei geahndet werden. Die türkische Armee begeht Massaker in Kurdistan, brennt die Wälder ab und zerstört den Lebensraum der Menschen. Allein in den letzten drei Monaten wurden in Südkurdistan über 280 Dörfer entvölkert. Wenn kein Krieg wäre, müsste auch niemand fliehen und sich auf den Weg nach Europa machen. Wenn die europäischen Staaten sowie zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Augen vor den Angriffen verschließen, dann betrachten die Menschen dieses Verhalten als eine Kollaboration mit dem türkischen Faschismus.
Im letzten Bericht des deutschen Inlandsgeheimdienstes wird auch Kon-Med neben weiteren fortschrittlichen Akteuren als »extremistisch« gebrandmarkt. Was sagen Sie zu diesen Anschuldigungen?
Als Kon-Med respektieren wir die deutschen Gesetze. Alle unsere Aktivitäten und Demonstrationen finden in Absprache und Kooperation mit den deutschen Behörden statt. So bedeutet es uns sehr viel, dass wir in bezug auf dieses Festival in den letzten Jahren so eine gute und koordinierte Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt am Main entwickeln konnten. Unsere Vereine bieten Sprachkurse an, geben Nachhilfe für die Kinder, helfen bei Übersetzungen und leisten damit auch einen wichtigen Integrationsbeitrag. Wir stellen uns gegen Krieg und Diskriminierung, kämpfen gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen religiösen Fundamentalismus und Nationalismus. Als kurdisches Volk haben wir viel Blut im Kampf gegen diese Ideologien vergossen. Dass wir nun mit nationalistischen und islamistischen Organisationen in einen Sack gesteckt werden, ist für uns eine inakzeptable Ungerechtigkeit. Wir sind aber weiterhin offen für Dialog und Zusammenarbeit und wollen dies auch heute zeigen.
Kerem Gök ist Kovorsitzender der Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V. (Kon-Med)
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