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Aus: Ausgabe vom 24.09.2024, Seite 8 / Ansichten

Abgehakt

Landtagswahl in Brandenburg
Von Arnold Schölzel
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Das politische Beben blieb aus: Die Bürgermedien hatten die Landtagswahl in Brandenburg zur Entscheidung über die Kanzlerschaft von Olaf Scholz erklärt – es blieb beim Schnattern. Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Dietmar Woidke wollte Scholz und erst recht nicht die Parteikovorsitzende Saskia Esken im Wahlkampf an seiner Seite sehen, proklamierte dafür alle AfD-Programmpunkte für Migration, insbesondere pauschale Zurückweisung an deutschen Grenzen. Woidke setzte alles auf eine Karte und erklärte, er sei »weg«, wenn die AfD stärkste Partei werde. Das hat gereicht. Die Bundesparteien hakten das Ergebnis noch am Sonntagabend ab. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann beglückwünschte auf allen Kanälen Woidke, die Landes-CDU, die nun die kleinste Fraktion im Landtag stellt, ist heilfroh, wieder in die Potsdamer Regierung zu kommen. Der Wahlaufruf des sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer für Woidke – weggesteckt.

Woidke und die SPD haben 1,7 Prozent mehr erhalten als die Partei, in der Faschisten willkommen sind. Erfolg lässt sich das nicht nennen, allerdings lag die SPD noch vor wenigen Wochen abgeschlagen hinter der AfD. Die Aufholjagd war beachtlich, vielleicht historisch einmalig. Viele, die für Woidke stimmten, wollten nicht die SPD, Woidke selbst verlor sein Direktmandat an die AfD. Auch wenn es dabei nur um sieben Stimmen ging – der Verlust hat Symbolkraft. Der Kanzler, um den es angeblich ging, war zumeist ohne Woidke wahlkämpfend durch Brandenburg gezogen, die Medien spielten mit und berichteten fast nicht. Scholz blieb am Sonntag in New York – Landtagswahlen in jedem westdeutschen Flächenland sind den Berliner Parteizentralen wichtiger als Abstimmungen im Osten. Bis zur Bundestagswahl in einem Jahr herrscht jetzt – mit Ausnahme der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März 2025 – auf Landesebene Ruhe.

Bündnis 90/Die Grünen hatten am Montag noch nicht begriffen, dass sie aus dem Landtag geflogen waren. Sie zeterten wie aus der Regierungsloge von einem »Horrorlandtag« und von »verheerendem Ergebnis für die Demokratie«. Bemerkenswert bei einer Rekordwahlbeteiligung von 73 Prozent. Für die Wähler spielten zwar Krieg und Frieden vor allem in der Ukraine eine große Rolle, sie stimmten aber mit fast 50 Prozent für die bisherige Koalition in Potsdam – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen –, also Kriegsparteien. 30 Prozent obendrauf für die NATO- und Bundeswehr-Partei AfD sind keine Stimmen für Frieden. Keine deutsche Partei, mit Ausnahme von Bündnis 90/Die Grünen, deren Bundesgeschäftsführerin Emily Büning am Sonntag AfD und BSW in einem Atemzug als Putin-Agenten bezeichnete, unterstützt mit mehr Fanatismus Israels Völkermord in Gaza.

Bildungsmisere, Ärztemangel, Ampelirrsinn in der Wirtschaftspolitik – Stichwort PCK-Raffinerie in Schwedt an der Oder – wurden offenbar nicht wahlentscheidend. Es waren Bekenntniswahlen gegenüber der Vogelscheuche AfD: Aberglauben letztlich an diese oder jene Parteiclique war gefragt, nicht Durchsetzung von Gemeinwohl, von Interessen der Bevölkerungsmehrheit. Woidke und die seit 1990 in Brandenburg regierende SPD hatten dabei verhältnismäßig gute Werte vorzuweisen, das half mit: 2023 ein Wirtschaftswachstum von mehr als zwei Prozent bei bundesweiter Stagnation und Schrumpfung. Der sogenannte Tesla-Effekt – die größte Arbeitsplatzbeschaffung seit 1990 in Ostdeutschland – kam allerdings auf Kosten von Anwohnern, Wasserschutz und Recht zustande. Er verpufft gerade: Tarifverträge gibt es im Werk Grünheide nicht, die Ausbaupläne liegen auf Eis – Brandenburg zeigt, wie das Kapital in der Bundesrepublik unabhängig von Wahlen waltet.

Am Montag vergangener Woche hatte die FAZ vor »instabilen Mehrheitsverhältnissen in Potsdam« gewarnt, weil das die Neigung internationaler Investoren, den Kapitalexport Richtung Brandenburg weiter zu befördern, beeinträchtigen könne. Das Sprachrohr des deutschen Großkapitals segnete zugleich eine mögliche Koalition von SPD und BSW ab – die ist kein Investitionshindernis. Den Segen der Konzerne und der Banken hat die AfD noch nicht.

Die FDP landete bei 0,8 Prozent und ließ markige Töne von »Herbst der Entscheidung« hören. Verlässt sie die »Ampel«, riskiert sie bundesweit den Untergang.

Die Partei Die Linke hat ihren Selbstmord auf Raten mit Brandenburg hinter sich. Die Zustimmung ihrer Spitzenkraft im EU-Parlament, Carola Rackete, zu dessen Kriegserklärung gegen Russland am Freitag war ein weiterer Sargnagel. Was an der Begeisterung für den NATO-Krieg gegen Russland und damit China links sein soll, ist nur mit Etikettenschwindel zu erklären. Ein Grund zur Freude ist das nicht, im Gegenteil. Erfreulich ist allein, dass die Zustimmung zu Kriegskrediten 2024 schneller eine Quittung erhält als 1914. Gut, wenn das die bundespolitische Botschaft dieses 22. Septembers wäre.

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