»Genau dies wollen wir aufbrechen«
Interview: Hendrik Pachinger, NürnbergIn Nürnberg startet am Freitag eine Veranstaltungsreihe anlässlich des 75jährigen Jubiläums der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949. Danach wird es Termine in weiteren Städten geben. Was möchten Sie damit erreichen?
China ist heute wieder eins der bedeutendsten Länder der Erde. Verlässliche Informationen in den sogenannten Qualitätsmedien sind rar gesät. Es überwiegt antichinesische Propaganda mit einem immer mitschwingenden rassistischen, antikommunistischen Unterton. Nicht zuletzt deshalb sind in der Bevölkerung, aber auch in dem, was man die »Linke« nennt, mitunter ziemlich verquere Vorstellungen von China vorherrschend. Die derzeitige weltpolitische Lage macht es notwendig, zu einem differenzierteren Bild zu kommen.
Dazu sollen offenbar auch die geplanten Debatten dienen. Sind die Fronten beim Thema China nicht sehr oft zu verhärtet?
Genau dies wollen wir aufbrechen. Der Grund dieser »Verhärtung« ist meist auf eklatante Fehlinformationen zurückzuführen. Selbstverständlich gibt es Leute, von rechts wie von links, die grundsätzliche, ideologische Probleme mit China haben. Die wollen wir zumindest zum Nachdenken bringen, denn auch deren Ressentiments beruhen zum großen Teil auf Unkenntnis.
Weshalb ist dieser Jahrestag überhaupt ein Anlass für autonome Gruppen wie den »Prolos«?
Der Jahrestag sollte für antiimperialistisch gesinnte Linke zumindest ein Anlass sein, die Erfolge der chinesischen Revolution zu würdigen. Das chinesische Volk hat unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas, KPCh, viel erreicht. Es hat das koloniale und imperialistische Joch abgeschüttelt, die japanische Aggression in die Schranken gewiesen, den Sieg im Volkskrieg gegen die reaktionär, faschistische Guomindang davongetragen und schließlich die sozialistische Revolution begonnen. Nach Ausrufung der Volksrepublik China 1949 durch Mao Zedong wurde unter anderem das Analphabetentum abgeschafft, die Emanzipation der Frau wesentlich durchgesetzt, die absolute Armut besiegt und eine Gesellschaft des bescheidenen Wohlstandes aufgebaut. Heute ist China wirtschaftlich wie technisch eins der führenden Länder der Erde. Die Menschen in China haben davon in der Masse ungemein profitiert.
Das klingt, als ob alles in Butter sei.
Nein. China hat, auch nach Aussagen der KPCh, noch einen weiten Weg zur Verwirklichung des Sozialismus vor sich. China befindet sich derzeit in der Phase der »sozialistischen Marktwirtschaft«. Daraus ergeben sich nach wie vor unzählige gesellschaftliche Widersprüche, die von der KPCh durchaus benannt werden. Ob sie damit Erfolg hat, wird die Zeit zeigen.
Welche Gefahren sehen Sie für weiteren Fortschritt?
Der rasante Aufstieg aus eigener Kraft ist beispielgebend für alle arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt. Deshalb verfolgen die Imperialisten China und versuchen, seine Fortschritte mit allen wirtschaftlichen und militärischen Mitteln zu behindern – durch antichinesische Propaganda, wirtschaftliche Blockaden oder militärische Provokationen.
Was, wenn diese Imperialisten damit Erfolg haben sollten?
Die Folgen wären katastrophal. Schon nach Ende der Sowjetunion und des Warschauer Pakts konnte man die hemmungslose Aggression der Imperialisten gegen die eigene Arbeiterklasse und gegen die Länder des Trikonts miterleben. Mittlerweile existiert durch China wieder eine gangbare Alternative für Wirtschaftsbeziehungen der Entwicklungsländer, ganz im Gegenteil zu den ausbeuterischen Praktiken der ehemaligen Kolonialisten. China wird mehr und mehr zum Regulat, an dem sich die Imperialisten messen lassen müssen.
Worin sehen Sie vor diesem Hintergrund die Aufgabe der hiesigen Linken?
Egal, wie man zu China im einzelnen steht, die Imperialisten dürfen mit ihrer Politik nicht durchkommen. Weder mit ihrer wirtschaftlichen Blockadepolitik noch mit ihren militärischen Machtspielen. Für viele Länder des globalen Südens stellt China den Schlüssel für die eigene Entwicklung dar. Chinesische Technik – gerade im Bereich Ökologie, von E-Autos bis zu Solarpaneelen – bietet günstige Lösungen auf höchstem Niveau. Als Linke dürfen wir uns nicht kirre machen lassen. Wir müssen uns allen Propagandalügen sowie militärischen Drohgebärden entschlossen entgegenstellen.
Gudrun Lillert ist Sprecherin der Nürnberger linksautonomen Gruppe »Prolos«
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Leserbrief von Claus Nölting aus Hamburg (30. September 2024 um 11:44 Uhr)Erfreulich, dass sich inzwischen vermehrt linksautonome Gruppen mit dem Marxismus und seinen gesellschaftlichen Erfolgen auseinandersetzen. Auch ich verteidige das sozialistische China seit 40 Jahren vehement gegen antikommunistische Anwürfe. Allerdings ist das sozialistische China Maos leider Geschichte. Seit Deng Xiaoping und Konsorten mit Parolen, wie »Bereichert euch« und »Egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse« nach und nach fast sämtliche Errungenschaften des Sozialismus über Bord geworfen haben, hat sich unter dem roten Deckmantel der KPCh ein radikaler Kapitalismus entwickelt. Wer von »sozialistischer Marktwirtschaft« redet, sollte die marxistischen Studien etwas vertiefen und Lenin zur Hand nehmen (Staat und Revolution, LW Bd.25, z. B. S. 425, 475). Denn der sogenannte »Staat des ganzen Volkes« ist die Tünche der jetzigen KPCh, um den Verrat an der Diktatur des Proletariats zu verschleiern. Die sozialistische Planwirtschaft war im China Maos ein unglaubliches Erfolgsmodell, aller antikommunistischen Hetze zum Trotz. Es war 1970 ein schuldenfreies Entwicklungsland auf dem Weg der Industrialisierung. Genau dies war die Grundlage für den später folgenden Aufstieg Chinas unter Deng und Co. zum kapitalistischen Imperium. Mit allen deutlichen Folgen für Ökologie und Volksmassen. Es hilft nicht, nur die westliche Propaganda zu durchschauen. Der Sozialismus ist mehr als rote Fahnen und rote Phrasen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (25. September 2024 um 17:23 Uhr)Prolos, weiter so! Bitte erklärt mir, was ein »Regulat« sein soll. Vom Kontext her könnte ich mir »Regulator, der den Takt angibt« oder »Regulierer, der bestimmte Verhaltensweisen nutzt, um wechselnden Einflüssen von außen zu entgegnen«. Im kurzen Text des Artikels kann die Dialektik der widersprüchlichen Entwicklung der Volksrepublik China nur angerissen werden. Für besonders wichtig halte ich die Benennung von und eine Diskussion über die unzähligen gesellschaftlichen Widersprüche, die die KPCh sieht. Denn, mit Marx: »Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren.« Die Aneignung des Stoffes im Detail kann sich nur der sparen, der sowieso schon weiß, was Sache ist.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Jens D. aus Chemnitz (25. September 2024 um 04:04 Uhr)Marx würde sich im Grab umdrehen, wenn er von der »Phase der ›sozialistischen Marktwirtschaft‹« hören würde. Manche Linke und viele »Sozialisten« scheinen vergessen zu haben, dass der einzige und unverzichtbare Zweck der zeitweiligen »Diktatur des Proletariats« die Umwandlung des Privateigentums an Produktionsmitteln in gesellschaftliches, sprich kollektives, noch genauer kooperatives Eigentum ist. China ist im Gegenteil nach dem Mauerfall vom Staatseigentum wieder weitgehend in Privateigentum übergegangen. Spätestens damit sind die chinesischen Arbeiter wieder ökonomisch sowie politisch unterworfen, denn nichts kann garantieren, dass die chinesische »kommunistische« Partei die Arbeiter wahrhaftig vertritt. Würden sie das tun, dann hätte sie kein Privateigentum neu zugelassen. Privateigentum an Produktionsmitteln mit doppelt freien Arbeitern ist Kapitalismus. China braucht einen Markt für seine wachsende Produktion sowie weltweite Investitionsmöglichkeiten für das ständig neu geschöpfte Kapital. Andererseits dienen der (derzeit eher nur) wirtschaftliche Feldzug des Westens gegen China (wie auch gegen Russland) und die damit einhergehende Propaganda der Verhinderung des Aufschwungs neuer (kapitalistischer) Weltmächte und ernster Konkurrenten. Die westlichen Arbeiter haben deshalb nichts gemein mit dem chinesischen kapitalistischen Staat, jedoch viel mit den chinesischen Arbeitern.
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Leserbrief von Arno Nühm (25. September 2024 um 22:39 Uhr)Aus trotzkistischer Sicht könnte man dem erwidern, dass der aktuelle »chinesische kapitalistische Staat« mit der KP durchaus eine Regierung hat, die regulierend und vor allem planerisch eingreift und gleichzeitig marxistisch geschult ist. Ich wünschte, wir hätten so gute Strategen in Brüssel oder Berlin sitzen! Natürlich muss man sehr aufpassen, dass die Nomenklatura nicht abhebt und sich korrumpieren lässt. Aber wenn man den Berichten u. a. in der jW glauben darf, hat sich in Punkto Korruptionsbekämpfung dort einiges getan. Die Einschüchterung des Oligarchen Jack Ma durch den Geheimdienst ist ein beredtes Beispiel. Stell die vor, das wäre im Westen mit Musk o. Ä. passiert! Laut Trotzki kann der Sozialismus nur auf den Kapitalismus aufgebaut werden (vereinfacht gesagt). Und letzterer wurde mit marxistischer Planung und dem Kapital der Bourgeosie und nicht zuletzt mit dem Technologietransfer durch westliche Konzerne in chinesischen Joint Ventures in Rekordzeit aufgebaut. Das bekommt der Westen mit seiner neoliberalen Ideologie nicht hin, weil hier einfach das marxistische Verständnis fehlt! Summasummarum sollte die globale Linke m. E. durchaus kritisch solidarisch mit der KPCh sein und ihre Schritte sehr kritisch und aufmerksam verfolgen.
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Leserbrief von Florian aus Taipei (25. September 2024 um 00:13 Uhr)Als Antiimperialist muss man gegen die chinesische Außenpolitik sein. Was man hier dem Westen vorwirft, wird ungeniert von China gegen seine Nachbarn durchgeführt. Taiwan, Philippinen, Vietnam uns Japan. China rutscht immer weiter in nationalistische Propaganda ab, Ausländer werden angegriffen und kürzlich wurde ein 10jähriger japanischer Junge ermordet. Trauernde Chinesen, die diese nationalistische Propagandaerziehung als Ursache kritisieren, werden als Verräter bezeichnet. Wo soll das noch enden? Im Krieg mit seinen demokratischen Nachbarn? (…) Ps. Autonome Gruppierungen wären in China schon längst verhaftet worden, denn Autonomie ist das letzte, was die chinesische Regierung erlauben würde.
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