Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 25.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Armutskonferenz in Franfkurt

Verwalten oder bekämpfen?

Frankfurt am Main: Konferenzteilnehmer diskutierten über Armut und kommunale Gegenmaßnahmen
Von Milan Nowak, Frankfurt am Main
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Nichts auf dem Teller: Mehr als zwei Millionen Minderjährige in Deutschland sind armutsgefährdet

Wie können Kommunen der grassierenden Armut begegnen? Dieser Frage hat sich am vergangenen Sonnabend die 1. Frankfurter Armutskonferenz an der Goethe-Universität in der Mainmetropole gewidmet. Eingeladen hatte das örtliche Bündnis gegen Kinder- und Jugendarmut. Über 450 Personen nahmen teil, vor allem Angestellte der städtischen Verwaltung und sozialen Arbeit.

Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) ermutigte dazu, gesellschaftliche Zustände nicht als unveränderbar hinzunehmen. Während die Mieten stiegen, blieben leistungslose Einkommen etwa von Finanzberatern unangetastet und würden selten thematisiert. Die Sozialdezernentin Elke Voitl (SPD) kritisierte das Nebeneinander von armen Familien und reichen Menschen im prosperierenden Frankfurt am Main. Armut habe vielfältige Folgen, weshalb ein ämterübergreifender Ansatz mit dem Ziel der Reduktion von Armut wichtig sei.

Vorträge des Frankfurter Philosophen Rainer Fors, des Kölner Ungleichheitsforschers Christoph Butterwegge und der Politikwissenschaftlerin Gerda Holz vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Frankfurt (ISS) rahmten die Konferenz. Forst nannte Armut in wohlhabenden Gesellschaften einen »Gerechtigkeitsskandal«. Diskurse, etwa um das sogenannte Bürgergeld, individualisierten und naturalisierten das Phänomen Armut. Doch gehe es nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, sondern um »Strukturentscheidungen und Machtfragen« – und das bereits im Produktionsbereich. Ungleichheit müsse nicht nur kompensiert, sondern zuallererst verhütet werden, so Fors.

Butterwegge erinnerte an das berühmte Brecht-Zitat: »Und der Arme sagte bleich: Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich!« Während der Coronakrise seien die Einkommen gesunken und die Nachfrage bei Lebensmitteldiscountern gestiegen – eine direkte Umverteilung von Arm zu Reich, argumentierte der Politikwissenschaftler. Auch im Zuge der Inflation finde eine Umverteilung von der Bevölkerung hin zu Banken und Kreditinstituten statt. Die »Tabuisierung der Armut« kritisierte Butterwegge ebenso scharf wie die »Verschleierung des Reichtums« deutscher Oligarchen.

Holz betonte in bezug auf Kinderarmut, dass Minderjährige keine »kleinen Erwachsenen« seien. Ihr spezieller Entwicklungsbedarf werde durch Armut behindert. Mangel, Verzicht, Isolation, multiple Belastungen, Krankheiten, Risikoverhalten, Bildungsdefizite sowie eine begrenzte Kinder- und Jugendwelt seien einige der Folgen. Lehrer beobachteten fehlende Sportkleidung, fehlendes Frühstück und Geldsorgen, da werde die Geldnot konkret sichtbar. Die Forscherin nannte es ein »Armutszeugnis«, dass Informationen über »Leistungen für Bildung und Teilhabe« schlecht verbreitet würden. Zahlreiche Beschäftigte im Sozial- und Bildungsbereich müssten täglich »Armutssensibilität« aufwenden, sprich: Armut aushalten, damit umgehen und irgendwie »gut« bewältigen.

In Workshops konnten die Konferenzteilnehmer sich mit den Referenten austauschen. Themen waren dabei Bildungsgerechtigkeit, armutssensible Gestaltung von Kindertageseinrichtungen, politische Debatten über Kinderarmut, betroffenenorientierter Armutsforschung, Ursachen für Nichtnutzung von Sozialleistungen sowie die Reflexion von »Klassismus« in der sozialen Arbeit.

Auf der Konferenz wurden vor allem Kinder- und Jugendarmut und ihre Auswirkungen thematisiert und kritisiert. Allerdings orientierte die Veranstaltung vor allem darauf, diese Missstände effizienter zu bewältigen – sprich: zu verwalten. Im Zentrum stand hingegen nicht, wie Armut politisch bekämpft werden kann. So rief Sozialdezernentin Voitl ein »Change Management« aus – ein Ansatz, bei dem sozioökonomische Problemen mit einer Veränderung von Verwaltungsstrukturen begegnet werden soll. Ob am Ende »die Vernunft siegt«, wie Voitl proklamierte, hängt wohl davon ab, in welchem Ausmaß Beschäftigte im Sozial- und Bildungsbereich gegen die Verarmungspolitik der Bundes- und Landesregierungen protestieren. Geschieht das nur sporadisch, könnte eine »effizientere Armutsverwaltung«, die nicht Ursachen und Profiteure der Ungleichheit bekämpft, zum neuen Standard werden.

Hintergrund: Armut in Deutschland

Immer mehr Menschen in der Bundesrepublik sind von Armut betroffen. Fast 17 Prozent der Bevölkerung lebten laut dem Paritätischen Armutsbericht 2024 im Jahr 2022 in Armut. Das sind mehr als 14 Millionen Menschen. Mehr als ein Viertel von ihnen ist demnach erwerbstätig, ein weiteres knappes Viertel ist in Rente. Die Tendenz ist eindeutig. So rügte der Europarat Ende März 2024 die fatale Armutsentwicklung in der BRD offiziell. Die »wachsende Ungleichheit« in der Bundesrepublik stehe in »keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes«. Armut ist vor allem bei jüngeren und alten Menschen besonders verbreitet. Rund ein Viertel aller 18- bis 25jährigen ist laut dem Mikrozensus 2023 »armutsgefährdet«. Als »armutsgefährdet« gelten Menschen in einem Haushalt, in dem sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Äquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung auskommen müssen (für 2023 lag der Schwellenwert bei 1.314 Euro netto im Monat). Im vergangenen Jahr waren darüber hinaus knapp 2,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet, wie das Statistische Bundesamt anhand von Ergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) im Juli mitteilte. Kinder und Jugendliche von Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss sind demnach überdurchschnittlich stark von Armut bedroht. Laut Statistischem Bundesamt waren zudem im Jahr 2023 18,1 Prozent aller über 65jährigen armutsgefährdet. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 17,5 Prozent. Im Alter sind darüber hinaus Frauen besonders betroffen. So waren 2023 über 20 Prozent der Frauen über 65 armutsgefährdet. (jW)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth (1. Oktober 2024 um 21:04 Uhr)
    Dialektisch betrachtet ist Armut eine Notwendigkeit und Voraussetzung für Reichtum. Warum wird das Thema Armut immer im sozialen Kontext dargestellt und nicht im Zusammenhang mit Reichtum? Warum wird Armut nicht als politische und wirtschaftliche Peitsche gesehen? Warum wird der Eigentümer der Peitsche nicht genannt? Warum wird keine Statistik der Armut im Zusammenhang mit Reichtum erstellt? Anhand der Zunahme von Millionären und Milliardären lässt sich bestimmt einigermaßen genau ermitteln, wieviel Armut dadurch entstanden ist. Reichtum erzeugt Armut, darum muss man den Reichtum ins Visier nehmen. Ständig statistisch die Armut bejammern, ist sinnlos. Um die Armut zu beenden, muss man den Reichtum abschaffen. Manni Guerth
  • Leserbrief von Martin Mair aus Söchau (30. September 2024 um 20:50 Uhr)
    »Ein Hoch der Armut, sie beschert uns viele Konferenzen« schrieb ich schon bei der ersten Veranstaltung von »sichtbar werden«, das als Anhängsel der Österreichischen Armutskonferenz Partizipation der Armutsbetroffenen im kleinen, gut umsorgten Kreise simuliert. Das sind alles nur Feigenblätter der Armutsbranche, denn gesammelt werden Ideen, mit denen die etablierten Sozialkonzerne bei der EU dann um Projektgelder für ihre eigenen Angestellten ansuchen, während Armutsbetroffene, sofern zu Konferenzen usw. eingeladen werden, nur mit einem meist kalten Buffet abgespeist werden. Die meisten Betroffenenselbstorganisationen in Österreich haben mittlerweile mehr oder weniger aufgegeben, während die vermeintlichen Armutsbekämpfer*innen sich durch die Gehaltsstufen nach oben gekämpft haben. Auch eine Form der Aufstandsprävention, die kritisches Potential systemkonform bindet.

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