Alleingelassen und in Panik
Von Elias FerozWährend die Todeszahl und die Anzahl der Verletzten durch israelische Luftangriffe im Libanon weiterhin ansteigen, herrscht große Ungewissheit und Chaos im Land. »Vergangene Woche sorgte die Explosion von Tausenden Pagern und Walkie-Talkies für einen großen Schock«, wie die deutsch-libanesische Schriftstellerin Jara Nassar, die währrenddessen vor Ort war, gegenüber jW berichtete. Ihre Tante arbeitet in Ajaltoun, einer Stadt, die etwa 40 Fahrminuten nordöstlich von Beirut liegt, als Krankenschwester. Die Krankenhäuser sind extrem überlastet: »Aufgrund der Angriffe mittels Pager und Walkie-Talkie wurden in dem Krankenhaus zahlreiche Augenoperationen vorgenommen. Die Leute werden teilweise nach Ajaltoun verlegt, weil die Hospitäler in Beirut und im Süden überfüllt sind. Für Leute, die aus dem Süden kommen, ist dies um so schlimmer, da sie teilweise zwei Stunden oder länger fahren müssen, um Ajaltoun zu erreichen.«
Die Straßen, die freitags stets voll sind, waren vergangene Woche leer. Die Menschen haben Angst, schilderte Jara. »Bei jedem lauten Geräusch«, so erzählte sie, »zuckt man hier zusammen. Konstant ist man wachsam, ohne es zu merken.« Traumatisierende Erinnerungen werden wach, nicht zuletzt auch wegen der verheerenden Explosion im Hafen vor vier Jahren. Am Donnerstag hörte Jara den lauten Knall eines Überschallflugzeugs. Reflexartig versuche man, sich in solchen Situationen von Fensterscheiben zu entfernen, aus Angst, dass diese durch den Druck zerbrechen könnten. Am Montag erfuhr Jara dann über die Nachrichten von den Hunderten Toten und Tausenden Verletzten durch israelische Angriffe, nur wenige Stunden, nachdem sie Beirut Richtung Italien verlassen hatte.
Die Journalistin Priyanka Navani, die sich immer noch im Libanon befindet, erzählte am Dienstag im Gespräch mit jW, dass die Menschen auf sich allein gestellt seien. Zehntausende fliehen aus dem Südlibanon – ohne Nahrung, Wasser oder Mobilfunk. Sie sind auf der Straße von Tyros nach Saida eingeschlossen. »Mein Team teilte sich auf, ein Teil von uns blieb im Auto und zwei Kollegen mussten zwei Stunden zu Fuß gehen, um den Mobilfunk- und Wasseranschluss in Saida zu erreichen.« Das Schlimmste daran ist, dass auch die staatliche Unterstützung fehlt. Für Kinder und Babys war die Situation verheerend, denn die Eltern konnten nicht ahnen, dass sie auf dem Weg in Richtung Norden für mehrere Stunden festsitzen würden, weshalb viele auch nicht genügend Reiseproviant mitgenommen haben, berichtete sie.
Dabei lagen die medizinische Versorgung sowie die Wirtschaft des Landes schon zuvor am Boden. »Die Trümmer von Häusern, die bereits in den 70er und 80er Jahren im Zuge des Bürgerkrieges zerstört wurden, stehen teilweise immer noch da wie vor 40 oder 50 Jahren«, erzählte Jara. Schuld daran sei jahrzehntelanges schlechtes Regieren, das die Inflation in die Höhe getrieben und das Gesundheitssystem überlastet habe. Zurück nach Deutschland möchte die deutsch-libanesische Schriftstellerin momentan dennoch nicht, weil sie die Entmenschlichung von Palästinensern und Libanesen – vor allem in den sogenannten sozialen Medien – dort nicht aushält: »Der Jubel von zahlreichen deutschen Politikern, Journalisten und teilweise sogar angehenden Ärzten, was den Pager-Anschlag betrifft, ist entsetzlich und zutiefst rassistisch.« Schwierig ist es auch, für die Menschen im Libanon zu spenden, da Onlinebezahldienste wie Paypal dort nicht unterstützt werden. »Aufgrund der miserablen Wirtschaftslage im Land ist es auch praktisch unmöglich, von der Bank Geld auszuleihen«, sagte Jara. Die Menschen im Libanon sind somit gänzlich auf sich allein gestellt.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. September 2024 um 11:10 Uhr)Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zerfall des Osmanischen Reiches entstanden im Nahen Osten verschiedene Völkerbundmandate. Eines davon führte zur Gründung des heutigen Libanon, der 1926 zur Republik erklärt wurde. Der Libanon stand unter französischem Mandat, das im Jahr 1943 endete. Die Gründung des Nachbarstaates Israel 1948, aus einem britischen Völkerbundmandat hervorgegangen, führte zu einem dauerhaften Kriegszustand zwischen dem Libanon und Israel bis heutzutage. Obwohl der Libanon formell eine parlamentarische Republik ist, ist seine politische Stabilität seit langem beeinträchtigt. De facto hat das Land seine volle Souveränität nie erlangt. Machtvakuum im politischen System führen oft dazu, dass externe Mächte versuchen, Einfluss zu gewinnen, wie es auch in anderen Ländern der Region, etwa in Syrien oder dem Irak, zu beobachten ist. Besonders seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990 zeigt sich, dass der Libanon ein zerrissenes Land bleibt. Die konfessionellen Spannungen zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen im Land – darunter Christen, Sunniten, Schiiten und Drusen – erschweren den Aufbau einer stabilen und geeinten Nation. Diese kulturelle und religiöse Vielfalt, die einst als Stärke des Landes galt, ist heute eine Quelle anhaltender Konflikte. Aktuell scheint es, als wäre im gesamten Nahen Osten niemand in der Lage, eine langfristige Stabilität zu gewährleisten oder eine übergreifende Ordnung zu schaffen, die der Vielfalt der dort lebenden Kulturen gerecht wird. Stattdessen verstetigt sich ein Klima der Unsicherheit und des Misstrauens, das sich in ständig wiederholenden Konflikten und wirtschaftlicher Notlage äußert. In dieser Situation ist es kaum vorstellbar, dass der Region in absehbarer Zeit eine Periode des Friedens oder Wohlstands bevorsteht. Die Aussicht auf nachhaltige Entwicklung bleibt durch die politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen sowie die tiefen historischen Verwundungen getrübt.
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