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Aus: Ausgabe vom 25.09.2024, Seite 10 / Feuilleton

Raumer, Wawerzinek, Trisch

Von Jegor Jublimov
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Unser Ritter Runkel: »Schappi« Wawerzinek (1991)

RBB-Moderator Ulrich Zelle kündigte an, am Sonnabend das DFF-Lustspiel »Toggenburger Bock« (1975) mit Volksschauspieler Herbert Köfer zu zeigen. Ob er daran denkt, dass Köfers Filmpartnerin Helga Raumer am folgenden Tag 100 Jahre alt geworden wäre? Die Berlinerin spielte am Beginn ihrer Laufbahn an verschiedenen Theatern, ehe sie 1954 in ihre Heimatstadt zurückkehrte und ans Maxim-Gorki-Theater ging. Nach kleineren Defa-Rollen wurde das Fernsehen zu ihrer Hauptwirkungsstätte. 1960 trat sie als sich emanzipierende Ehefrau neben Peter Herden in »Papas neue Freundin« auf, ein Kinoerfolg, der Fortsetzungen nach sich zog. Als Mutter in der Serie »Aus dem Tagebuch eines Minderjährigen« (1965) und Martha Dolle in dem volkstümlichen Mehrteiler »Dolles Familienalbum« (1969–1971) wurde Raumer zum Publikumsliebling. Ein besonderes Kabinettstück war ihr Auftritt als betrügerische Bäuerin in »Wege übers Land« (1968) von Helmut Sakowski. Dessen Texte sprach sie auch im Rahmen ihrer umfangreichen Hörspielarbeit ein. Ernste Rollen konnte Raumer auch, wie sie etwa im Defa-Gegenwartsfilm »Reife Kirschen« (1972) bewies, in dem sie noch einmal Mutter wird und bei einem Verkehrsunfall stirbt. Günther Simon, der den trauernden Ehemann spielte, überlebte die Filmpremiere nur um zehn Tage. Raumer setzte sich mit knapp 70 zur Ruhe und starb 1997 in Berlin.

Am Sonnabend hat »Schappi« Geburtstag, der Bachmann-Preisträger und jW-Autor Peter Wawerzinek (zu deutsch Seidelbast) wird tatsächlich schon 70! Der Junge hieß noch Runkel, wie der berühmte Ritter aus dem Mosaik, als sich seine Eltern entschlossen, dem Klischee der DDR-Propaganda zu entsprechen, wonach nur kriminelle Subjekte die Heimat gen Westen verließen. Sie ließen den dreijährigen Peter und seine ein Jahr jüngere Schwester in der verschlossenen Rostocker Wohnung zurück, um für immer abzuhauen. Halb verhungert wurden die Kinder gefunden. Peter hatte Glück im Unglück, kam ins Kinderheim und später zu einer Pflegefamilie, während die Schwester wegen Entwicklungsstörungen viel zu lange in psychiatrischen Einrichtungen lebte und den Bruder lange nicht wiedersah.

Peter lernte zur Schulzeit den Schriftsteller Jan Koplowitz kennen, der ihm den Anstoß zum Schreiben gab. Er ging zur NVA und führte danach ein eher unstetes Leben, studierte Kunst, jobbte als Briefträger und Kellner, wurde Performancekünstler und schrieb Texte, die er ab 1990 auch veröffentlichte. Schreibend hat er seine Traumata überwunden, in »Rabenliebe« (2010) die Trennung von den Eltern, in »Schluckspecht« (2014) den unguten Hang zum Alkohol. Er hat Hörspiele geschrieben, einen autobiographischen Film gemacht, und nun wird es Zeit, wieder für die jW zu schreiben!

Nun noch ein Gruß an den nach wie vor aktiven Kulturwissenschaftler Ronald Trisch, der am Freitag 95 wird. Er arbeitete zehn Jahre lang für den Zen­tralrat der FDJ, organisierte die Weltfestspiele der Jugend von 1973 in der DDR-Hauptstadt mit und wechselte dann zur Leipziger Dokwoche, die er bis 1989 als Direktor leitete und die er weiterhin besucht. Als Berater ist er noch immer gefragt.

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