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Aus: Ausgabe vom 25.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Kann Sex abstrakt sein?

Rolf Biebl zeigt den »Homo abstractus« in der Galerie Gesellschaft in Berlin
Von Gisela Sonnenburg
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»Bei mir geht es ständig um Widersprüche« – Rolf Biebl (hier im Gespräch mit Gisela Sonnenburg, 29.8.2024)

Mit Joseph Beuys, den er durchaus verehrt, hat der Bildhauer und Maler Rolf Biebl nur bedingt Ähnlichkeit. Auch seine Skulpturen und Bilder erinnern wohl kaum an die Fettecken und hingetupften Hirsche des Erfinders der sozialen Plastik. Dafür gibt es eine Verbindung im Geiste: Ihre Werke entspringen der Suche nach Wahrhaftigkeit. In der Berliner Maigalerie der jungen Welt zeigt Biebl panerotische Ergebnisse unter dem Titel »Flächennutzungsplan«. Nacktheit als Zeichen der Zurückgeworfenheit auf sich selbst. In der Galerie Gesellschaft, ebenfalls in Berlin, sind seine Gegenstände dagegen nicht nur nackig, sondern auch deftig: der Akt als eigentlicher Wille der Welt.

Rolf Biebl, 1951 im Erzgebirge geboren und an der Hochschule in Berlin-Weißensee ausgebildet, zickt nicht lange rum. Seine Werkreihe »Homo abstractus« in der Galerie Gesellschaft und im Katalog umfasst knallbunte Gemälde, die mal an die Belle Époque, mal an den Surrealismus erinnern. Im Zentrum: der weibliche Körper. Hinzu kommen Skulpturen, die diesen kunsthistorischen Dialog fortführen.

Ein groß gebauter Kerl. Mehr als zwei Meter hat er an Höhe. Stramm, zugleich verletzlich steht er in hellem Holz da. Den linken Fuß hebt er wie zum Gehen, nach dem Vorbild des antiken Kouros. Der rechte Arm in Gegenbewegung schwingt sanft vor. Bauch und Geschlecht befinden sich in harmonischer Ruhe. Wiewohl der magere Leib zu schluchzen scheint und an den leidgeprüften Torso des Gekreuzigten erinnert. Und, oh weh: Der Kopf fehlt. Diese Pointe ließ Biebl sich nicht nehmen. Männer sind für ihn oft destruktive Spielbälle ihrer eigenen Triebe. Bis zur Hirnlosigkeit. Gemarterte aus gutem Grund, den sie in sich selbst suchen müssen. Männerbilder als Bekenntnisse. Ganz anders ist Biebls Blick auf die Frauen: nicht anklagend, sondern begehrend und mitfühlend. Stolz stehen seine Weiber da, vor wilden Schatten ihrer selbst oder vor kopflosen Männern. Da gibt es einen Akt mit Brille im Liegen. Einen anderen im langsamen Schreiten. Eine Nackte ficht im Sitzen Kampftänze mit ihrem lilafarbenen Spiegelbild. Wieder eine andere kniet wie ein Ritter, während im Hintergrund Männerbeine zappeln.

Das Schamanische an Sexualität und Sehnsucht findet expressiven Ausdruck. »Bei mir geht es ständig um Widersprüche«, verrät Rolf Biebl im Interview mit Kurator Andreas Wessel, welches im Katalog zur Ausstellung zu lesen ist. Sex kann demnach auch abstrakt sein. Was würde Beuys dazu sagen?

»Homo abstractus«, bis 4. Oktober, Galerie Gesellschaft, Auguststr. 83, 10117 Berlin, Do.–Sa., 14–18 Uhr, oder nach Vereinbarung (Tel. 0 172/600 20 46)

»Flächennutzungsplan«, bis 5. Oktober, jW-Maigalerie, Torstr. 6, Mi. – Fr., 13–18 Uhr

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