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Aus: Ausgabe vom 25.09.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Romantik

Von Felix Bartels
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Friedrich Schlegel auf der Suche nach der Universalpoesie

An der Romantik scheitern alle. Vor allem sie selbst. Auch die Historiographie allerdings, die sich ihren Gegenständen von den Erscheinungen her nähert. Gleichzeitigkeit reicht ihr oft schon, Künstler derselben Strömung zuzuordnen. Fasst man die Zeugnisse vom Ende des 18. bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts als »romantisch« zusammen, wird unmöglich anzugeben, was Romantik eigentlich sei. Was haben Kleist, Hugo, Byron und Puschkin gemein? In Frankreich weist man selbst Goethe der Romantik zu, was offensichtlich Unsinn ist, obgleich genau darin ein Schlüssel zum Verständnis liegt. Romantik scheint ein jedes und sein Gegenteil. Universell, unendlich, der Bestimmung entzogen, alles also und folglich nichts. Auf diese Ambivalenz kann zurückkommen, wer sie zunächst missachtet.

Es ist ratsam, umgekehrt vom Begriff auf die Erscheinungen zu gehen. Exemplarisches dazu findet sich in Deutschland, wo Romantik radikaler vollzogen wurde als anderswo. Angelangt in Jena und bei Schlegels Athenaeum (1798–1800) sehen wir Land. Nie wurde das romantische Bekenntnis konziser gefasst als im Programm einer »progressiven Universalpoesie«, die antrete, die »getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen«, »Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie« zu verschmelzen. Ewig werdend und nie vollendet, sei sie »allein frei« und Ausdruck davon, dass »die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide«.

Schlegel attackiert also den Werkbegriff wie den Gattungsbegriff, in der Annahme, dass sich die Möglichkeiten des Poetischen damit mehren. Was nicht nur unter dem von ihm angerufenen Shakespeare, sondern auch – Syd Field steh uns bei – unter Augenhöhe jedes halbwegs trainierten Screenwriters bleibt, war ein unmissverständlicher Gegenentwurf zum Programm der Weimarer Klassik, von Schiller und Goethe ein paar Jahre zuvor u. a. in den Horen (1795–1797) veröffentlicht. Die strenge Form ermöglicht danach eine Weite, die außerhalb der Enge nicht erreichbar ist. In diesem dialektischen Genrebegriff ruhte ein Verständnis von Freiheit, das anspruchsvoller war. Für die Romantik bedeutete Freiheit vor allem »Freiheit von«, für die Klassik lag sie in einer »Freiheit zu«. Erst Unterwerfung unter das Genre eröffnet einen Raum von Möglichkeiten.

Wir haben die Romantik damit in nuce. Sie ist Negation von Ordnung, Nichtannehmen künstlerischer oder geistiger Herausforderung, trotzige Kollision mit dem Realitätsprinzip. Im Unwillen zur Form, zur schöpferischen Resignation, zum Anerkennen des Anderen als Voraussetzung seiner Überwindung liegt die Konstante aller konkreten Erscheinungen des Romantischen, seien sie künstlerisch, philosophisch oder politisch. Der ideal­typische Romantiker hält literarische Techniken für einengend, die Welt für nicht erkennbar und setzt an die Stelle politischer Ordnung seine willkürliche Freiheit.

Diese dreispurige Ablehnung des Wirklichen wurde auch von den Kronzeugen der Begriffsgeschichte bemerkt: In der Definition der Romantik als das Kranke (Goethe), der Kritik ihres schranken- und substanzlosen Subjektivismus (Hegel), der Charakterisierung ihrer Koalition der »äußersten Rechten und äußersten Linken« gegen Goethe (Heine), dem Umstand, dass »Unbeholfenheit« zum »Stempel der Vollendung« wurde (Haym), ihrer Eignung als »Überbau der gegen­bonarpartistischen Fronde« (Hacks) und selbst in der emphatisch bejahten Vorstellung der Romantik, dass der Weltlauf keinen Sinn habe (Arno Schmidt).

Demgegenüber kann eine Bestimmung, die sich von der schieren Erscheinungsmenge her dem Begriff nähert, bloß scheitern. Obgleich auch darin schon wieder mehr als bloß Unzulänglichkeit liegt, insofern das programmatisch Disparate sich im Zugriff auf die Erscheinungen widerspiegelt. Das geläufige Verständnis der Romantik ist selbst romantisch, Material folglich, mit dem sich arbeiten lässt.

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