Kairo provoziert
Von Jakob ReimannEine zweite Ladung Kriegsgerät ist eingetroffen: Ein Schiff der ägyptischen Marine hat am Montag das nächste große Arsenal an Waffen nach Somalia geliefert, darunter Flugabwehrkanonen und schwere Artillerie. Die Waffen dienen dazu, »die Fähigkeiten der somalischen Armee auszubauen«, zitiert Al-Dschasira aus einem Statement des ägyptischen Außenministeriums. Der somalische Verteidigungsminister Abdulkadir Mohamed Nur inspizierte mit weiteren Militärs die zweite der geschichtsträchtigen Waffenlieferungen. Bereits Ende August landeten zwei ägyptische Militärfrachtflugzeuge voller Waffen und Munition in Somalia, berichtete Reuters.
Beide Länder nähern sich seit gut einem Jahr immer weiter an, und die Waffenlieferungen sind Folge eines Militärpakts, den Kairo und Mogadischu Anfang August unterzeichnet hatten. Dies dürfte zu weiteren Spannungen zwischen den beiden Ländern und Äthiopien führen. Einerseits dreht sich der Konflikt seit Jahren um den Megastaudamm GERD, durch den Äthiopien energieautark werden will und durch dessen Befüllung in Ägypten jedoch ein dramatisches Absacken des Nilpegels droht. Andererseits ist die zunehmende ägyptisch-somalische Militärkooperation als Retourkutsche für ein Anfang des Jahres unterzeichnetes Abkommen zwischen Äthiopien und der abtrünnigen Teilrepublik Somaliland zu verstehen. Unter diesem stellte Addis Abeba im Gegenzug für den gewährten, 50 Jahre geltenden Zugang zum somaliländischen Hafen in Berbera die Anerkennung der Teilrepublik in Aussicht, was durch die Brille Mogadischus eine maximale Provokation darstellt – schließlich hat kein UN-Mitgliedstaat Somaliland bislang anerkannt. So die Eckpfeiler der vielschichtigen Konflikte am Horn von Afrika.
Die jüngsten ägyptischen Waffenlieferungen an Somalia stellen eine Zäsur dar, waren sie doch die ersten ihrer Art seit über vier Jahrzehnten. In den Rüstungsexportdatenbanken des Stockholmer Friedensinstituts SIPRI liegen die letzten Einträge in den frühen 1980er Jahren, wobei es sich um Lieferungen verschiedener Kampfpanzer handelte. Seit längerem rücken Kairo und Mogadischu immer enger zusammen. Bereits im Januar stellte sich Ägyptens Putschpräsident Abdel Fattah Al-Sisi in dessen Konflikt mit Äthiopien klar an die Seite Mogadischus; er werde es nicht zulassen, dass Somalia »bedroht oder seine Sicherheit beeinträchtigt« werde, so der Despot damals. Im Rahmen des ägyptisch-somalischen Sicherheitspakts vom August hatte Kairo neben der Wiederaufnahme von Waffenlieferungen auch angeboten, insgesamt bis zu 10.000 Soldaten unter anderem für eine neue Friedensmission nach Somalia zu entsenden.
Sollte Mogadischu das ägyptische Angebot annehmen, würde dies die Dynamik der sich verschiebenden Einflusssphären und Bündniskonstellationen in der Region weiter beschleunigen. Denn im Zuge sich zuspitzender diplomatischer Spannungen drohte die somalische Regierung bereits Anfang Juni, die Tausenden äthiopischen Truppen aus dem Land zu werfen, sollte Addis Abeba den Hafendeal mit Somaliland nicht aufkündigen, berichtete The Africa Report damals. Im Rahmen der Militäroperation ATMIS der Afrikanischen Union (AU) sind rund 3.000 äthiopische Truppen im Nachbarland stationiert. An der restrukturierten, für Januar 2025 geplanten gemeinsamen Mission der AU und anderer internationaler Akteure werden nach Mogadischus Forderung keine Äthiopier mehr beteiligt sein. Über bilaterale Abkommen sind bis zu 7.000 weitere äthiopische Soldaten unter anderem zum Kampf gegen die Al-Qaida-nahe Miliz Al-Schabab vor Ort, die ebenfalls das Land verlassen müssten.
Diese Leerstelle möchte Kairo schließen und durch die erhoffte Stationierung vor Äthiopiens Haustür gewiss auch Druck auf Addis Abeba im schwelenden Konflikt um den GERD-Staudamm ausüben. Wiederholt wurden in der ägyptischen Führung Sabotageaktionen und gar die Bombardierung des Damms, dessen angeschlossenes Wasserkraftwerk das leistungsstärkste des gesamten Kontinents ist, diskutiert; im Mai 2020 versetzte Präsident Al-Sisi das ägyptische Militär »in höchste Alarmbereitschaft«, und Äthiopien verlegte Flugabwehrraketen in die Nähe des Damms. Die nun geplante Stationierung ägyptischer Truppen ebenso wie die Lieferung schwerer Waffen an Somalia destabilisieren die Region weiter und erhöhen das Risiko militärischer Eskalation am Horn von Afrika.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (26. September 2024 um 10:00 Uhr)Warum »Kairo provoziert« und der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi ein »Despot« sein soll, erschließt sich dem Leser nicht so recht. Auch die Behauptung »Die nun geplante Stationierung ägyptischer Truppen ebenso wie die Lieferung schwerer Waffen an Somalia destabilisieren die Region weiter und erhöhen das Risiko militärischer Eskalation am Horn von Afrika« ist zumindest fragwürdig. Der ägyptische Militär- und Strategieexperte, Generalmajor Samir Farag: »Das zwischen Ägypten und Somalia unterzeichnete Militärprotokoll zielt hauptsächlich darauf ab, Kairo für Mogadischu zu unterstützen, was bedeutet, dass zwei direkte Ziele erreicht werden: Das erste besteht darin, den Terrorismus zu beseitigen, vertreten durch die Al-Shabaab-Organisation, die aus dem Hals extremistischer Gruppen hervorgegangen ist, und das zweite besteht darin, das äthiopische Vordringen auf somalisches Land zu stoppen, nach dem ›illegalen‹ Abkommen zwischen Addis Abeba und Somaliland« (skynewsarabia.com). Ägypten unterstützt also Somalia bei der Verteidigung seiner Souveränität. Was ist daran verwerflich, wer destabilisiert hier die Region, Herr Reimann?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (26. September 2024 um 13:11 Uhr)Genau! Und die NATO unterstützt völlig uneigennützig eine sich heldenhaft verteidigende Ukraine. Das musste doch mal gesagt werden! Denn Kriege entstehen ja nicht wegen ökonomischer Interessen, sondern nur zur Verteidigung von Freiheit, Recht und Vaterland. Immer und überall. Und zum Schluss siegen immer Wahrheit und Gerechtigkeit. Amen!
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