Den Wumms will er haben
Von Manfred HermesTime stop! Das ist ein Befehl, und Coppolas Science-Fiction-Welt erstarrt. Die Pausetaste hat Cesar Catalina gedrückt (Adam Driver), weil er es kann und weil der Architekt jetzt Ruhe und Abstand braucht, um sich weitere Disruptionen und Visionen auszudenken.
Neue Pläne sind in der Gegenwart dieser Zukunft nämlich nötig, denn die sieht finster und ausweglos aus. Die Gesellschaft wird populistisch gegängelt, ist mafiös unterwandert, die Medienvertreter sind alle korrupt. Mit dem Regieren klappt es aber auch deshalb nicht, weil es da nur noch um prosaische Ansprüche wie höheren Mindestlohn oder Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und Bildung geht. Jetzt hat die föderale Ebene aber doch über den Abriss großer Teile der großen Stadt verfügt, um an deren Stelle eben etwas Visionäres und von Catalina Geplantes umzusetzen. Bürgermeister Cicero (Giancarlo Esposito) ist gegen diesen Wahnsinn, er und Catalina sind somit Widersacher.
Ein bisschen Raunen
Wie so oft, wenn sich die Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen wollen, wird auch in diesem Film der Maßstab beim Rom der späten Kaiserzeit angelegt. Regisseur Francis Ford Coppola lässt hier keine der naheliegenden Zutaten aus. Es gibt Brot und Spiele, Überdehnung von Territorium und Machtpolitik, eine Dekadenz, die schon ganz andere Weltreiche in den Niedergang getrieben hat. Auf einer mehr personalen Ebene zeigen sich diese bedrohlichen Tendenzen als Taktieren, Intrigieren, Lug und Betrug allenthalben. Man liebt es zudem fett und prunkvoll wie bei Versace; in diesem Stil werden hyperdekadente Partys gefeiert. Drogenteller gehen herum, junge Frauen stecken sich gegenseitig Zungen in den Mund, während arrogante Söhne reicher Leute mit den Bekleidungscodes anderer Geschlechter experimentieren. Es ist dabei zuerst nicht leicht zu entscheiden, ob diese Bordüren der Macht ironisiert dargestellt sind oder sich hier eine unglaubliche Geschmacklosigkeit auf der Produktionsseite zeigt. Für letzteres spricht deutlich mehr.
Im Inneren von Coppolas SF-Phantasie wiederum laufen Präteritum und Futur, Schicksal oder Geschichte, die planetarische oder lokale Ebene in eine einzige Bewegung derart großer Ansprüche zusammen, die jegliche Dramatik ersticken bzw. eigentlich gar nicht erst aufkommen lässt. »Megalopolis« ist so aufgeblasen und lahm, dass auch in Massenszenen genug Zeit bleibt, um den Blick über die Hintergründe oder Bildfeldränder schweifen zu lassen und auf das Treiben der Statisten zu achten.
Die Figurenreden – Dialoge im eigentlichen Sinn gibt es hier nicht – schwanken zwischen Deklarationen und einem kulturbeflissenen Rotwelsch, ansonsten würzt Coppola mit Shakespeare, Beethoven, Puccini, Marc Aurel und anderen Zitaten. Auch einige seiner Strukturmaßnahmen erstaunen durch extremes Ungeschick: Inserts, eine wohltönende Erzählstimme, die die Dinge noch besser einordnen und erklären soll, dann folgen weitere Zitate, einige tatsächlich in Latein. Die Lage wird dadurch verschärft, dass die Hauptdarsteller entweder komplett unterfordert wirken (Adam Driver, Aubrey Plaza) oder so nervtötend wie sonst auch agieren (Shia LaBeouf). Insgesamt haben die Performances die Unebenheit von Übungen in einer Schauspielklasse. Und ganz am Ende muss es ohnehin die Macht der Liebe richten, die alle Widersprüche auflöst.
Mit weiteren Beschreibungen würde man diesem Film nun allerdings zu viel Kredit geben. »Megalopolis« ist derart seltsam und aus der Zeit gefallen, dass man fassungslos dasitzt und sich wundert, dass einem alten Zirkuspferd wie Coppola so was überhaupt hat unterlaufen können. Dann erinnert man sich aber, dass es auch in früheren seiner Filme fadenscheinig Preziöses und dürr Manieriertes schon gab. Coppola hat sich stets als Auratiker (und Visionär) verstanden. Mit deutschen Filmschaffenden teilt er die Annahme, über die Geheimnisse des Wumms zu verfügen, und dass ein bisschen Raunen hier und technisch-visuelle Spielereien dort wohl reichen, um zu faszinieren, zu überwältigen oder sich kunsthaft interessant zu machen.
Wie auf Ketamin
Bemerkenswert bleibt der »time stop«, der hier eigentlich vorliegt: In »Megalopolis« leben nämlich die schlimmsten Verirrungen der 1970er und 1980er Jahre weiter oder wieder auf. Das zeigt sich vor allem in der Konzeption weiblicher Figuren und gewissen Vorstellungen von deren »Sexyness«. (Da wirkt es wie eine Umkehrbewegung in die Gerechtigkeit, dass Coppolas sexuelle Übergriffe während der Dreharbeiten mehr zur Publizität seines Films beigetragen haben als dessen anspruchsvolle Megalomanie.)
Und welche Gestalt nimmt die Zukunft in Coppalas Altersarbeit nun an? Dem Beruf der Hauptfigur entsprechend vermittelt sich das Sozialvisionäre hauptsächlich in architektonischen und städtebaulichen Formen. Im Gegensatz zum heute üblichen hellen, kantigen Funktionsstil ist hier alles wie Ayn Rand auf Ketamin und sehr biomorph. Die neuen Sozialprojekte wabern, strömen und wogen in blauroten Schlieren.
Im letzten Monat wollte es Kevin Costner noch einmal kinogemäß krachen lassen, in diesem will es Francis Ford Coppola noch einmal wissen. Beide haben dafür viele eigene Millionen aufgebracht und sich möglicherweise weit über den Tod hinaus verschuldet. Angeblich hat Coppola diese SF-Vision jahrzehntelang mit sich herumgetragen. Jetzt, da sie in der Welt ist, wirft sie Fragen auf, die in einer Zeitung namens junge Welt vielleicht heikel sind. Es scheint jetzt naheliegend, das Versagen aufs Alter oder die »Toxizität« des alten Mannes zu schieben. Allerdings sollte auch nicht vorschnell verallgemeinert werden. In den letzten Jahren hat es schließlich nicht wenige Beispiele für das Gegenteil gegeben. Einige Produktionen von Septuagenarianern waren nicht nur konzeptionell sehr gelungen, sondern auch extrem unterhaltsam und damit erfolgreich. Steve Martin hat sich mit »Only Murders in the Building« wieder ins Spiel gebracht. Auch die neuen Staffeln von »Frasier« sind nicht völlig unansehnlich. Vor allem muss hier aber Larry Davids »Curb Your Enthusiasm« hervorgehoben werden, zumal es da ausdrücklich ums Altern und Altsein alter (meist weißer und jüdischer) Männer geht.
Nur, das alles fand nicht mehr im Kino, sondern als Serie auf Streaming-Plattformen statt. Kann es also sein, dass es am Kino selbst liegt, dass sich trotz seines Niedergangs gewisse angeberische Genievorstellungen erhalten oder erneut konstituieren, und das nicht nur bei über Achtzigjährigen?
»Megalopolis«, Regie: Francis Ford Coppola, USA 2024, 138 Min., Kinostart: heute
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