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Aus: Ausgabe vom 26.09.2024, Seite 16 / Sport
Schach

Durch die Schallmauer

Indien dominiert die Schacholympiade
Von Sören Bär
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Stürmte zu Gold: Der erst 18jährige WM-Herausforderer Dommaraju Gukesh

Bei der Schacholympiade vom 10. bis 23. September 2024 gewann das indische Männerteam zehn Matches und gestaltete nur ein Duell unentschieden. Die erzielten 21:1 Mannschaftspunkte (MP) sind neuer Rekord und bedeuteten die Goldplakette. Besonders faszinierend war der Auftritt des 18jährigen WM-Herausforderers Dommaraju Gukesh, der am Spitzenbrett famose neun Punkte aus zehn Partien erreichte, eine extraordinäre ELO-Performance von 3.056 erzielte und damit auch die Goldmedaille an Brett eins gewann.

Erigaisi Arjun stand ihm mit formidablen zehn aus elf am dritten Brett nicht nach. Auch er erhielt die individuelle Goldmedaille und machte einen Satz auf Platz drei der Weltrangliste. Selbst im letzten Match gegen Slowenien gewannen die beiden Goldjungen, einen weiteren vollen Punkt steuerte Rameshbabu Praggnanandhaa bei, bevor Vidit Gujrathi mit einem Remis den 3,5:0,5-Sieg und den Gesamterfolg sicherstellte.

Im Match China gegen USA remisierte Weltmeister Ding Liren als Weißer nach nur zehn Zügen gegen Fabiano Caruana und blieb ohne Sieg. In der Weltrangliste fiel der Champion ins Bodenlose – Platz 21. Etwas später teilten Lewon Aronjan und Bu Xiangzhi ebenfalls den Punkt. Nach einem weiteren Unentschieden zwischen Yu Yangyi und Leinier Domínguez avancierte Wesley So mit seinem Gewinn gegen Wei Yi zum 2,5:1,5-Matchwinner für die USA. Mit am Ende 17:5 MP errangen die US-Amerikaner nach Feinwertung Silber vor Titelverteidiger Usbekistan mit Nodirbek Abdusattorow an der Spitze. Auf den Plätzen vier bis sechs rangieren China, Serbien und Armenien mit ebenfalls 17:5 MP.

Das deutsche Männerteam katapultierte sich mit zwei abschließenden Siegen gegen Argentinien und Bulgarien noch auf Rang sieben. Drei Niederlagen gegen die schwächer bewerteten Mannschaften aus Litauen, Montenegro und Armenien waren jedoch zu viel, um nach den Sternen greifen zu können. Frederik Svane überragte mit acht aus neun und der achtbesten ELO-Performance aller Teilnehmer. Dafür gab es die Goldmedaille am Reservebrett. Neben ihm konnte nur Matthias Blübaum mit 7,5/10 am dritten Brett überzeugen.

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Der Kulminationspunkt: Parham Maghsoodloo verrechnet sich mit 29.Sc4??

Im Frauenturnier gingen Indien und Kasachstan punktgleich in ihre letzten Duelle gegen Aserbaidschan und die USA. Die Inderinnen siegten hoch mit 3,5:0,5 und schürften damit wie die indischen Männer Gold, denn das Match zwischen Kasachstan und den USA endete nach einer wahren Achterbahnfahrt letztlich 2:2. Bei den Olympiasiegerinnen imponierte Divya Deshmukh mit 9,5/11, womit sie die Schallmauer von ELO 2500 durchbrach. Auch Vantika Agrawal beeindruckte mit 7,5/9. Silber ging an Kasachstan, die Bronzemedaillen erhielten die USA-Frauen nach Wertung vor den punktgleichen Mannschaften Spanien, Armenien und Georgien.

Von den deutschen Frauen bot einzig Elisabeth Pähtz eine starke Leistung. Trotz einer hartnäckigen Erkältung totalisierte sie 7,5/10 und gewann die Silbermedaille am zweiten Brett. Durch eine 1:3-Pleite im finalen Match gegen Armenien rutschte die deutsche Mannschaft auf Rang 22 ab und blieb deutlich hinter Setzlistenplatz acht zurück – Fluch des Schweizer Systems.

Der für die Seychellen erfolgreiche 38jährige Potsdamer André Stratonowitsch fasste seine Eindrücke so zusammen: »Die Teilnahme an der Schacholympiade in Budapest war ein unglaubliches Erlebnis für mich – umgeben von den besten Spielern der Welt in einem intensiven Wettkampf. Mein gutes Ergebnis mit sieben von zehn Punkten bei einem so prestigeträchtigen Event rechtfertigte all die harte Arbeit und Vorbereitung, die in jedes Spiel geflossen war. Die Begegnungen mit Freunden, Konkurrenten, Schiedsrichtern und Freiwilligen trugen zur lebendigen Atmosphäre bei.«

Parham Maghsoodloo – Dommaraju Gukesh, 45. FIDE-Schacholympiade 2024, Budapest, Indien – Iran, Runde acht, Brett eins, 19. September 2024, Tarrasch-Verteidigung – Dubow-Variante

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 c5 4.cxd5 exd5 5.Sf3 Sf6 6.g3 Sc6 7.Lg2 cxd4 (Dieses alte Abspiel wurde 2019 durch den jungen Russen Daniil Dubow wiederbelebt. Die Hauptvariante ergibt sich nach 7…Le7 8.0-0 0-0 9.Lg5.) 8.Sxd4 Lc5 (Die Pointe: Der schwarzfeldrige Läufer wird unter Tempogewinn entwickelt.) 9.Sb3 (Wei könnte auch mit 9.Sxc6 bxc6 10.Dc2 gegen die hängenden Bauern spielen, doch nach 10…O-O 11.O…O Lb6 12.Sa4 Ld7 13.b3 Te8 14.Lb2 h5 15.e3 h4 16.Sxb6 axb6 17.Dc3 Tc8 landete Dubow in Rodshtein-Dubow, Netanya 2019, einen vielbeachteten Schwarzsieg, der die Popularität der Variante rasant steigerte.) 9…Lb6 (Das von Paul Keres geprägte 9…Lb4?! ist weniger stark.) 10.O-O d4 11.Sa4 O-O 12.Te1 (In der theoretisch bedeutsamen Partie Karjakin-Dubow, Wijk aan Zee 2022, opferte Schwarz nach dem logischen 12.Lg5 mit 12…h6!? temporär einen Bauern und erreichte nahezu forciert ein remises Turmendspiel: 13.Sxb6 axb6 14.Lxc6 bxc6 15.Lxf6 Dxf6 16.Dxd4 Td8 17.Dxf6 gxf6 18.Tfd1 Txd1+ 19.Txd1 Le6 20.Sc1 Lxa2 21.Sxa2 Txa2 22.Td6 Kg7 23.Txc6 Txb2 1/2:1/2. Bei der Blitzweltmeisterschaft 2019 hatte Dubow gegen Carlsen noch mit 12…Te8 fortgesetzt, wonach Weiß zunächst den Bauern e2 decken konnte: 13.Te1 h6 14.Sxb6 axb6 15.Lxc6 bxc6 16.Lxf6 Dxf6 17.Dxd4 Dd8! 18.Dc3 c5 19.Tad1 De7 gab dem Russen dennoch genügend Kompensation für den geopferten Bauern.) 12…h6 13.Lf4 Le6 14.Sbc5 Ld5 15.Sxb6?! (Der Iraner verwechselte hier vermutlich die Züge. Er musste zuerst 15.Sxb7! ziehen. Nach 15…De7 [15…Dd7? 16.Sbc5!] 16.Sxb6 axb6 17.e4! dxe3 18.Txe3 Dxb7 19.Lxd5 Tad8 20.Td3 Sxd5 21.Txd5 Se5!! 22.Txd8 Sf3+ 23.Kg2 Sd4+ 24.f3 Txd8 hat der Nachziehende gutes Spiel für den Bauern.) 15…axb6 16.Sxb7 Dd7 17.e4 dxe3 18.Txe3?! (Besser geschah 18.fxe3 Sb4 19.Lxd5 Sfxd5 20.e4 =/+.) 18…Sb4 19.Sd6 Lxg2 20.Kxg2 Tad8 21.Tb3! (Maghsoodloo findet die beste Riposte auf die Drohung 21…Sbd5.) 21…Sbd5 22.Le5 De6 23.Dd4 Sg4? (Trotz 24minütigen Nachdenkens entscheidet sich Gukesh überraschend gegen das naheliegende 23…Txd6! 24.Lxd6 Dxd6 -/+.) 24.Td1 (Spannend wäre 24.Lxg7!? Sde3+ 25.Txe3 Sxe3+ 26.Dxe3 Kxg7 27.Dxe6 fxe6 28.Se4! Tc8 29.Sc3 = gewesen. Weiß hat zwei Bauern und die deutlich bessere Struktur für die Qualität.) 24…Se7! 25.Lxg7! Sf5 26.Df4 (26.Dxg4?? scheitert an 26…Se3+ 27.Txe3 Dxg4 -+.) 26…Sxg7 27.Txb6 f5 28.h3 (28.a4!) 28…Se5 29.Sc4?? (Der Iraner bricht nach hochtaktischem Verlauf unter Zeitdruck zusammen. 29.a4! war richtig, denn Freibauern müssen laufen! Der Anziehende hat drei Bauern für den Springer und die zwei starken verbundenen Freibauern.) 29…Dxc4 30.Txd8 Txd8 31.Dxe5 Td1! -+ (Das hatte Maghsoodloo übersehen. Es droht 32…Df1+ 33.Kf3 Td3+, und Weiß muss die Dame geben, um das Matt zu verhindern.) 32.Tb3 (32.Tb8+ Kh7 -+, und dem schwarzen König ist dank des Springers g7 nicht beizukommen.) 32…Df1+ 33.Kf3 Dh1+ 34.Kf4 Td5! (Der Vorhang fällt! Auf 35.Tb8+ Kh7 36.De7 folgt 36…Td4+ 37.Ke3 Te4+ -+ mit Damengewinn. 35.De2 wird schön mit 35…Sh5+! 36.Dxh5 De4# beantwortet.) 0:1

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